Donnerstag, 19. April 2007

Sinn und Unsinn von Entwicklungsarbeit












Jetzt bin ich seit drei Monaten in den Nuba Bergen für Cap-Anamur tätig und versuche seit zehn Jahren im Entwicklungsdienst meine Berufung zu finden. Abgeschirmt von allen westlichen Einflüssen, lebend unter extremen Bedingungen, keine Vergnügungen, kein Alkohol, Essen nur zur Nahrungsaufnahme, keinerlei Ablenkungen, dafür aber Zeit zum Spüren, Fühlen, Nachdenken, um vielleicht so langsam zu einigen Erkenntnissen zu kommen, die für meine Zukunft entscheidend sein könnten. Davon versuche ich heute etwas zu Papier zu bringen.

Bitte versteht meine Ausführungen als eine Momentaufnahme, die sich eventuell zu Hause, nach einiger Erholung von den Strapazen hier, wieder verändern und deutlich versöhnlicher ausfallen kann. Aber im Augenblick geben die nachfolgenden Sätze meinen Standpunkt so wieder, wie ich es erlebe.

Kurz gesagt, ob ich hier bin oder in China ein Sack Reis umfällt, wem nützt das? Ist diese Arbeit wirklich so entscheidend wichtig? Um diese Frage kreisen meine Gedanken schon seit einigen Wochen. Und damit meine ich nicht speziell dieses Projekt von Cap-Anamur, sondern die Entwicklungsarbeit in Organisa-
tionen im Allgemeinen. Vielleicht verdeutlicht sich meine Kritik und das damit verbundene Unwohlsein hier genauer. Ich erlebe hautnah, wie sich immer alles wiederholt, wie wenig nachhaltig die Arbeit hier ist und wie wenig des hohen finanziellen und persönlichen Aufwandes hängen bleibt. Es kommt mir wie ein großes Spiel vor, jeder nimmt sich und seine Person wichtiger als die Menschen, um die es sich eigentlich drehen sollte. Ich will mich da nicht ausschließen.

Die großen Organisationen brauchen die armen Menschen und Krisen, um sich eine eigene Rechtfertigung zu geben, um die Kosten belegen zu können, die ihr Apparat verursacht. Extrem sind die gesamten UN Unterorganisationen, mit denen ich täglich zu tun habe. Ich höre da manchmal nicht mehr hin, da ich mir nicht merken kann, was ihre Abkürzungen bedeuten, und was sie überhaupt wollen. Sie fahren in ihren klimatisierten Geländewagen herum, haben einen enormen Personalaufwand und kommen nie weiter als über ihre Planungsphase hinaus. Aktive Arbeiter habe ich bislang noch nicht kennen gelernt. Dann gibt es hier UN Polizisten, die nach der Friedensphase sudanesische Polizisten ausbilden sollen. Die wenigsten der sudanesischen Polizisten können lesen oder schreiben, allenfalls Arabisch. Englisch versteht niemand. Uniformen gibt es nicht, Ausweise fehlen ebenfalls. Solche Leute bekommen dann Computerunterricht. Die Ausbilder kommen aus Staaten, die es mit den Bürgerrechten nicht so richtig ernst nehmen, wie zum Beispiel aus der Türkei, Ruanda, Sri Lanka, Indien. Alles Staaten, die ihre Leute teuer an die UN verkaufen. Die ausländischen Polizisten ihrerseits kommen des Geldes wegen und sagen einem klar heraus, „die lernen es nie“.

Dann gibt es die Frommen, die aber viel prak-
tischer sind. Sie bilden ihre Leute wenigstens aus und versuchen ihnen damit eine bessere Beschäftigungsmöglichkeit zu verschaffen. Sie haben ziemlich viel Geld und gehen damit pragmatisch um. Sie machen keine Medizin, sondern kümmern sich darum, dass die Menschen gesund bleiben. Da gibt es Nachhaltigkeit, wenn, ja, wenn die Menschen es überhaupt wollen...

Manchmal denke ich, dass es immer noch wir Weiße sind, die den Menschen unsere Wert-
vorstellungen als die richtigen verkaufen wollen. Wir können das Leid ihres Lebens nicht ertragen und wollen ihnen helfen, damit wir uns besser fühlen können.
Leiden die Menschen in Lwere eigentlich wirklich? Wenn es Wasser gibt, ist das gut, gibt es keines, trinke und wasche ich mich halt nicht. Wir sagen: wie fürchterlich! und fangen an zu organisieren. Dann heißt es: oh, da gibt es ja Wasser! und sie stehen bei uns Schlange. Gibt es uns nicht, auch gut.

In diesem Kontext sehe ich mittlerweile unser Krankenhaus und meine Arbeit. Wenn ein Arzt da ist, dann geht man dort hin und lässt sich untersuchen. Es könnte ja was umsonst geben. Er ist kein Chirurg? Nun gut, dann wartet man eben, bis einer kommt. Das Krankenhaus kann nicht helfen? Dann geht man halt wieder, der Kranke kann besser zu Hause sterben.

Sicher konnte ich einzelnen Menschen helfen und vielleicht auch das eine oder andere Leben retten, was aus Sicht der Nächstenliebe schon genug ist und mein Hiersein rechtfertigt, nur: mir reicht das nicht mehr. Ich weiß, dass die Menschen hier leben und sterben, und es ist völlig unerheblich , ob es mich gibt oder irgend jemand anderen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich wirklich willkommen bin. Letztlich wundert es mich auch nicht, da ich mich selbst angeboten habe und sie wissen, dass die Deutschen kom-
men und gehen. Wenn mal keine mehr kommen, geht das Leben auch weiter. Ich glaube, dass da der entscheidende Punkt zu suchen ist. Den Menschen ist es völlig egal, aus welchen Motiven man hier ist, die Hauptsache ist die, dass sie etwas abbekommen. Davon versuchen sie soviel abzugreifen, wie sie nur bekommen können. Auf staatlicher Ebene in extremem Maße, die Korruption - auf niedriger Ebene mit verdeckten Geschenken oder Betrug und Diebstahl - wird nicht einmal verdeckt. Wir Helfer kommen mit hehren Vorstellungen hierher, in diese Welt, die keiner von uns versteht. Und da ist es unerheb-
lich, ob ich in Afrika oder Asien bin. Es geht mit der Sprache los, nicht bestehendem Kultur-
verständnis und einer Unkenntnis der Macht-
strukturen in den Gastländern.

Dazu kommt, dass man häufig auch nicht die Führungsstrukturen in den Organisationen kennt, für die man arbeitet, was man sich dann aber selbst zurechnen muss. Es treten Konflikte auf, die einem die Arbeit zusätzlich erschweren können. Wenige Organisationen werden wirklich professionell geführt, was für eine gute Arbeit und Nachhaltigkeit der Arbeit wichtig wäre. Ich spreche da von Organisationen, die eine gewisse Größe angenommen haben. Sie versuchen dann, den Laden irgendwie am Laufen zu halten. Da ist es letztendlich auch egal, wer im Moment unterwegs ist.
Ich glaube, dass ich für keine Organisation mehr zu haben sein werde. Welche Konsequenz das letztendlich haben wird, kann ich im Moment nicht sagen. Es bedarf weiterer Überlegungen, Gespräche mit Renate, die mir jetzt besonders fehlt.

Meine wichtigste Einsicht ist die, dass man gebeten werden sollte und dass man sich und den anderen die nötige Zeit und Ruhe lässt, um dann etwas Nachhaltiges ins Leben zu rufen. Da denke ich nicht unbedingt an ein medizinisches Projekt. Im Vordergrund sollte eine prophylak-
tische Arbeit stehen: Bildung, die Emanzipation der Armen und im Speziellen die Emanzipation der Frauen in den Dritt-Welt-Ländern. Kleine, individuelle Projekte, die von Betroffenen selbst geführt werden, könnten für mich eine Lösung sein. Wir weißen, reichen, ach so klugen Menschen sollten uns weitestgehend aus der Gleichung heraus nehmen. Sind unsere Motive immer so lauter, wie wir es von uns denken? Wollen wir nicht auch mehr bekommen als wir bereit sind zu geben?

Euch einen schönen Frühling,
ein nachdenklicher Klaus

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