Montag, 30. April 2007

Veränderung der Lebensumstände in den Nuba Bergen


Erstmals wurden die Menschen in den Nuba Bergen durch Leni Riefenstahl bekannt, die in den 60er Jahren zwei hervorragende Bildbände erstellte. Über Google kann man auf die Homepage der verstorbenen Fotografin kommen und sich einen Eindruck vom romantischen Afrika der damaligen Zeit verschaffen.
Der Gründer von Cap-Anamur, Rupert Neudeck, schaffte es dann 1999 die Politiker Heiner Geißler und Norbert Blüm zu einem aben-
teuerlichen Fußmarsch in die Berge zu bewegen. Mit dieser Werbeaktion sollte auf die Problematik des Konflikts im Südsudan aufmerksam gemacht werden, was auch halbwegs gelang. In einem weniger geglückten Buch wurde die Romantik in den Nuba Bergen beschrieben und auch die freundlichen Menschen, die nur für Seife und Lebensmittel Lasten für das Krankenhaus herbeischafften.
Dann wurde der Bürgerkrieg heftiger und bis an das damalige Krankenhaus in Kauda herangetragen, es wurde sogar bombardiert.
Aus diesem Grunde wählte man die Berge um den Ort Lwere aus, wo Cap-Anamur seit dieser Zeit das einfache medizinische Zentrum betreibt, das schon lange die Funktion eines Bezirkskrankenhauses erfüllt.

Seit 2004 gibt es, nach 22 Jahren Krieg, einen tragfähigen Waffenstillstand zwischen der südsudanesischen Rebellenarmee (SPLA) und der Zentralregierung in Khartoum. 2011 soll in einem Referendum entschieden werden, ob sich das Land teilt oder der Sudan das flächenmäßig größte Land Afrikas bleibt. Einzig und allein finanzielle Erwägungen, hervor gerufen durch große Erdölfunde im Südsudan, haben die Parteien an den Verhandlungstisch gebracht und lassen den jetzigen Waffenstillstand zu. Nun haben die Kriegsparteien Zeit, das Öl zu fördern, Geld zu verdienen und wieder aufzurüsten. Erst nach 2011 wird sich zeigen, was dieser vorübergehende Frieden für eine Bedeutung hat. Das verbrecherische Regime in Khartoum kann inzwischen seinen Vernich-
tungsfeldzug in Dafour weiterführen, eben auch mit den neuen Geldmitteln.

Die Menschen in den Nuba Bergen versuchten zunächst einmal ihr Leben so weiter zu führen, wie sie es seit Jahrhunderten kannten, was aber immer schwerer wird. Die Armee hat zum ersten Mal Geld und zahlt einen regulären Sold. Plötzlich wollen alle jungen Männer Soldaten werden. Daher schickt man die Soldatinnen heim, große Umstrukturierungen finden statt. Das hereinkommende Geld verteuert zwangs-
läufig das Leben. Die kapitalistische Markt-
wirtschaft funktioniert perfekt. Da die Männer wieder regelmäßig zu Hause sind, steigt schnell die Bevölkerungszahl. Durch das Missverhältnis Männer zu Frauen (weniger Männer) und den muslimischen Glauben ist Polygamie zwangsläufig. Kinder dominieren das Bild in den Dörfern und machen die größte Zahl unserer Patienten aus.

Geld weckt Begehrlichkeiten, die Kriminalität steigt. Auch bei uns im Krankenhaus wird gestohlen, so z. B. ganze Betten mit Matratzen, OP Schuhe - ich operiere jetzt in Badelatschen - auch unsere Spendendosen werden von Patienten geplündert. Der Alkoholismus ist ein zunehmendes Problem, und damit verbunden steigen auch die Gewaltdelikte. Gestern musste ich einen jungen Mann nach einer Messer-
stecherei in ein anderes Krankenhaus verlegen. Die OP zum Stoppen der Blutung habe ich mir nicht zugetraut. Ob der Patient den Transport überlebt hat, weiß ich nicht. Mit dem Geld kommt die Prostitution, die Geschlechtskrank-
heiten und dann HIV/AIDS.

Durch die Verteuerung des Lebens müssen auch die Gehälter unseres Personals angehoben werden, was das Erfordernis zusätzlicher Geldmittel aus Deutschland bedeutet. Für Seife und Lebensmittel arbeitet heute niemand mehr. Noch haben wir genügend Personal, doch Cap-Anamur zahlt auf unterstem Niveau im Vergleich zu anderen NGOs. Gäbe es andere Alternativen für die Angestellten, würden sie diese sicher nutzen.

Am meisten Sorgen macht mir aber die Umwelt. Durch den Krieg wurde schon viel zerstört. Jetzt kommen immer mehr Flüchtlinge zurück in ihre Dörfer. Sie haben ein anderes Leben kennen gelernt, andere Menschen und Kulturen. Sie wollen nicht mehr in Lehmhütten wohnen. Sie roden die wenigen Bäume, um damit Öfen zur Ziegelgewinnung zu befeuern. So werden auch bald die tollen Affenbrotbäume diesem Vor-
gehen zum Opfer fallen. Sie erinnern mich, auch jetzt in der Trockenzeit, an die Urkraft, die dieser Kontinent einmal gehabt haben muss. Ich liebe Bäume und diese ganz besonders. Leider sehe ich sie nicht mehr im Grün, denn meine Abreise steht bald bevor. Ich hoffe aber, dass die Menschen selbst ein Einsehen haben oder vielleicht ihre Miniwerkzeuge den Bäumen nichts anhaben können. Irgendwann, vielleicht sogar bald, werden aber die Kettensägen anrücken, die alles klein bekommen.

So ist die Zeit der Romantik in den Nuba Bergen Vergangenheit. Ich hoffe, dass nicht nur mir diese Erkenntnis gedämmert ist, sondern auch den Verantwortlichen in den Organisationen und Regierungen. Die Menschen brauchen Hilfe, die angemessen ist. Wie man "angemessen" definiert, darüber kann man allerdings lange diskutieren.

Euch allen eine schöne Woche

Euer Klaus

Sonntag, 22. April 2007

Entwicklungsarbeit, Teil zwei












Gestern bekam ich eine sudanesische Zeitung mit dem klangvollen Namen Sudan Vision vom 17.April 2007 geschenkt. Darin fand ich den fotografierten Artikel, der mich sehr nachdenklich und später ärgerlich gemacht hat. Jetzt verstehe ich auch die Hektik, mit der offizielle Gesundheitsbeauftragte in unserer Region das Problem HIV/AIDS behandelt wissen wollen: es gibt 28,5 Millionen US Dollar vom Global Fund, von dem jeder etwas abbekommen will.

Vor etwa zwei Monaten wurde ich zu einem Meeting über das Thema HIV/AIDS vom Secretary of Health eingeladen. Es gab wenig Informatives, keine Daten oder nähere Auskünfte zu diesem Thema. Sie wollten aber unbedingt etwas initiieren, zumindest in die Aufklärung und Diagnostik einsteigen und baten mal wieder um Hilfe. Sie hatten keinerlei Konzept, und es sollte darauf hinauslaufen, dass die ausländischen Organisationen ihnen diese Arbeit abnehmen. Cap-Anamur ist die einzige medizinische Hilfsorganisation in der Region, mit anderen Worten: ich sollte es tun. Wenn ich damit begonnen hätte, wäre für jede weitere Tätigkeit keine Zeit mehr gewesen, außerdem finde ich andere Probleme weitaus wichtiger. So habe ich klar und deutlich gesagt, dass wir nicht helfen werden. Das hat von den Offiziellen niemand verstehen wollen.

Eine Woche später kam eine Delegation aus der Kreisstadt mit einer Wagenladung von Papier, Postern, Kondomen, HIV-Tests und vielen Formularen, damit unser Krankenhaus als HIV Anlaufstation beginnen sollte. Wir verstanden uns zunächst nicht, da ich nicht wusste, was sie von mir wollten, und sie verstanden nicht, dass ich so ablehnend war. Das Secretary of Health hatte ihnen geschrieben, dass es bei uns losgehen kann. So wurden sie echt böse mit mir, als ich sie mit all ihrem Kram wieder fortschickte und auch eine Unterschrift unter ein Formular in arabischer Sprache verweigerte.

Rückblickend wird mir jetzt Vieles klar. Sie wollten dem Global Fund nachweisen, dass sie aktiv sind, Zentren eingerichtet haben usw., damit sie dann dafür Geld bekommen. Dabei scheint es unerheblich zu sein, wie effektiv so ein Zentrum ist. Wenn man die Betreuung von HIV Kranken ernst nimmt, dann ist das ein enormer Aufwand, und es braucht eine Menge geschultes Personal. Das wollte man mal kurz am Wochenende ausbilden, wir sollten das Personal zahlen und die Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Durch viel Geld werden so immer wieder Begehrlichkeiten erzeugt, es wird irgendwie versucht, von dem Kuchen etwas abzube-
kommen. Statistiken werden gefälscht, alles wird immer positiv dargestellt. Die Geldgeber sind weit entfernt von jeglicher Kontrollmög-
lichkeit. So wird meiner Meinung nach sehr viel Geld von diesen 28,5 Millionen US Dollar in Ineffektivität und private Taschen fließen, so wie bei uns Medikamente aus der Apotheke verschwinden, weil nicht einmal ich in dieser kleinen Einheit genügend kontrollieren kann.

Das World Food Programm versorgt viele Menschen im Südsudan mit Grundnahrungs-
mitteln. Auch wir bekommen für unsere stationären Patienten diese Nahrung. Es wird genau vorgeschrieben, wie viel wir abgeben dürfen. Die Menge der verteilten Lebensmittel variiert je nach Patientenzahl. So haben wir im Moment genug Vorrat in unserem Lager. Gestern bekamen wir die Aufforderung, die nächste Lieferung abzuholen. Auf die Antwort, dass wir noch genug haben, antwortete man, das sei egal, wir sollten es jetzt holen, sonst gäbe es nichts mehr. Ihnen ist es egal, ob jetzt die Ratten sich den Bauch voll fressen, Hauptsache, die Statistik stimmt. Da sitzen die Jungs hinter ihrem Schreibtisch und unser Techniker muss die Säcke allein schleppen. Auch ein Beispiel dafür, wie wir Internationalen uns um alles kümmern. Wir sind diejenigen, die die praktische Arbeit machen und sich um ihre Leute bemühen, während sie in Ruhe zuschauen.

Es gibt im Sudan noch enorm viel zu tun. HIV/AIDS ist nur ein Problem, es gibt keine Infrastruktur, das Leben ist enorm schwer, nur: wir tun diesen Menschen keinen Gefallen damit, dass wir ihnen immer wieder Geld geben und auch bildlich gesprochen „die Säcke schleppen“. Solange fremde Menschen und vor allem weiße Menschen ihnen die Arbeit abnehmen, werden sie nie selbstständig. Jeder, der Kinder erzogen hat, weiß wovon ich rede. Wir internationalen Helfer behandeln die Afrikaner immer noch wie Kinder, denen wir eine Selbstständigkeit absprechen und sie benehmen sich auch entsprechend.
Das Hotel Mama verlassen in Deutschland viele der Kinder nicht mehr freiwillig, sie brauchen einen sanften Tritt. Dieser Tritt fehlt auch diesen Ländern und im Speziellen dem Südsudan. So erinnere ich mich immer wieder an meine erste Begegnung mit dem italienischen Pater und an das Verhalten von Renate mit ihren Kindern. Die Kinder in die eigene Verantwortung zu entlassen ist sicher nicht einfach, aber zwingend notwendig. Wichtig ist eine liebevolle Begleitung, da sein, wenn man gebraucht wird, es ertragen können, wenn mal etwas nicht so läuft, wie man es selbst machen würde, Fehler zulassen, die Kinder eigene Erfahrungen machen lassen und auf Gott vertrauen.

Wie ihr aus der Entwicklung meiner Berichte und meiner eigenen Person erkennen könnt, ändert sich meine Einstellung zu meiner Arbeit ein wenig. Es ist nur gut, dass auch ich mich in diesem Kontext kritischer sehe. Ich bringe eine Menge Diskussionsstoff mit nach Hause und würde mich freuen, wenn ich von Euch dazu auch Meinungen erfahren könnte.

So wie es aussieht, bin ich Mitte Mai wieder in Bremen. Ich habe das Büro in Köln um eine vorzeitige Ablösung gebeten.

Auf bald, Euer
Klaus

Donnerstag, 19. April 2007

Sinn und Unsinn von Entwicklungsarbeit












Jetzt bin ich seit drei Monaten in den Nuba Bergen für Cap-Anamur tätig und versuche seit zehn Jahren im Entwicklungsdienst meine Berufung zu finden. Abgeschirmt von allen westlichen Einflüssen, lebend unter extremen Bedingungen, keine Vergnügungen, kein Alkohol, Essen nur zur Nahrungsaufnahme, keinerlei Ablenkungen, dafür aber Zeit zum Spüren, Fühlen, Nachdenken, um vielleicht so langsam zu einigen Erkenntnissen zu kommen, die für meine Zukunft entscheidend sein könnten. Davon versuche ich heute etwas zu Papier zu bringen.

Bitte versteht meine Ausführungen als eine Momentaufnahme, die sich eventuell zu Hause, nach einiger Erholung von den Strapazen hier, wieder verändern und deutlich versöhnlicher ausfallen kann. Aber im Augenblick geben die nachfolgenden Sätze meinen Standpunkt so wieder, wie ich es erlebe.

Kurz gesagt, ob ich hier bin oder in China ein Sack Reis umfällt, wem nützt das? Ist diese Arbeit wirklich so entscheidend wichtig? Um diese Frage kreisen meine Gedanken schon seit einigen Wochen. Und damit meine ich nicht speziell dieses Projekt von Cap-Anamur, sondern die Entwicklungsarbeit in Organisa-
tionen im Allgemeinen. Vielleicht verdeutlicht sich meine Kritik und das damit verbundene Unwohlsein hier genauer. Ich erlebe hautnah, wie sich immer alles wiederholt, wie wenig nachhaltig die Arbeit hier ist und wie wenig des hohen finanziellen und persönlichen Aufwandes hängen bleibt. Es kommt mir wie ein großes Spiel vor, jeder nimmt sich und seine Person wichtiger als die Menschen, um die es sich eigentlich drehen sollte. Ich will mich da nicht ausschließen.

Die großen Organisationen brauchen die armen Menschen und Krisen, um sich eine eigene Rechtfertigung zu geben, um die Kosten belegen zu können, die ihr Apparat verursacht. Extrem sind die gesamten UN Unterorganisationen, mit denen ich täglich zu tun habe. Ich höre da manchmal nicht mehr hin, da ich mir nicht merken kann, was ihre Abkürzungen bedeuten, und was sie überhaupt wollen. Sie fahren in ihren klimatisierten Geländewagen herum, haben einen enormen Personalaufwand und kommen nie weiter als über ihre Planungsphase hinaus. Aktive Arbeiter habe ich bislang noch nicht kennen gelernt. Dann gibt es hier UN Polizisten, die nach der Friedensphase sudanesische Polizisten ausbilden sollen. Die wenigsten der sudanesischen Polizisten können lesen oder schreiben, allenfalls Arabisch. Englisch versteht niemand. Uniformen gibt es nicht, Ausweise fehlen ebenfalls. Solche Leute bekommen dann Computerunterricht. Die Ausbilder kommen aus Staaten, die es mit den Bürgerrechten nicht so richtig ernst nehmen, wie zum Beispiel aus der Türkei, Ruanda, Sri Lanka, Indien. Alles Staaten, die ihre Leute teuer an die UN verkaufen. Die ausländischen Polizisten ihrerseits kommen des Geldes wegen und sagen einem klar heraus, „die lernen es nie“.

Dann gibt es die Frommen, die aber viel prak-
tischer sind. Sie bilden ihre Leute wenigstens aus und versuchen ihnen damit eine bessere Beschäftigungsmöglichkeit zu verschaffen. Sie haben ziemlich viel Geld und gehen damit pragmatisch um. Sie machen keine Medizin, sondern kümmern sich darum, dass die Menschen gesund bleiben. Da gibt es Nachhaltigkeit, wenn, ja, wenn die Menschen es überhaupt wollen...

Manchmal denke ich, dass es immer noch wir Weiße sind, die den Menschen unsere Wert-
vorstellungen als die richtigen verkaufen wollen. Wir können das Leid ihres Lebens nicht ertragen und wollen ihnen helfen, damit wir uns besser fühlen können.
Leiden die Menschen in Lwere eigentlich wirklich? Wenn es Wasser gibt, ist das gut, gibt es keines, trinke und wasche ich mich halt nicht. Wir sagen: wie fürchterlich! und fangen an zu organisieren. Dann heißt es: oh, da gibt es ja Wasser! und sie stehen bei uns Schlange. Gibt es uns nicht, auch gut.

In diesem Kontext sehe ich mittlerweile unser Krankenhaus und meine Arbeit. Wenn ein Arzt da ist, dann geht man dort hin und lässt sich untersuchen. Es könnte ja was umsonst geben. Er ist kein Chirurg? Nun gut, dann wartet man eben, bis einer kommt. Das Krankenhaus kann nicht helfen? Dann geht man halt wieder, der Kranke kann besser zu Hause sterben.

Sicher konnte ich einzelnen Menschen helfen und vielleicht auch das eine oder andere Leben retten, was aus Sicht der Nächstenliebe schon genug ist und mein Hiersein rechtfertigt, nur: mir reicht das nicht mehr. Ich weiß, dass die Menschen hier leben und sterben, und es ist völlig unerheblich , ob es mich gibt oder irgend jemand anderen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich wirklich willkommen bin. Letztlich wundert es mich auch nicht, da ich mich selbst angeboten habe und sie wissen, dass die Deutschen kom-
men und gehen. Wenn mal keine mehr kommen, geht das Leben auch weiter. Ich glaube, dass da der entscheidende Punkt zu suchen ist. Den Menschen ist es völlig egal, aus welchen Motiven man hier ist, die Hauptsache ist die, dass sie etwas abbekommen. Davon versuchen sie soviel abzugreifen, wie sie nur bekommen können. Auf staatlicher Ebene in extremem Maße, die Korruption - auf niedriger Ebene mit verdeckten Geschenken oder Betrug und Diebstahl - wird nicht einmal verdeckt. Wir Helfer kommen mit hehren Vorstellungen hierher, in diese Welt, die keiner von uns versteht. Und da ist es unerheb-
lich, ob ich in Afrika oder Asien bin. Es geht mit der Sprache los, nicht bestehendem Kultur-
verständnis und einer Unkenntnis der Macht-
strukturen in den Gastländern.

Dazu kommt, dass man häufig auch nicht die Führungsstrukturen in den Organisationen kennt, für die man arbeitet, was man sich dann aber selbst zurechnen muss. Es treten Konflikte auf, die einem die Arbeit zusätzlich erschweren können. Wenige Organisationen werden wirklich professionell geführt, was für eine gute Arbeit und Nachhaltigkeit der Arbeit wichtig wäre. Ich spreche da von Organisationen, die eine gewisse Größe angenommen haben. Sie versuchen dann, den Laden irgendwie am Laufen zu halten. Da ist es letztendlich auch egal, wer im Moment unterwegs ist.
Ich glaube, dass ich für keine Organisation mehr zu haben sein werde. Welche Konsequenz das letztendlich haben wird, kann ich im Moment nicht sagen. Es bedarf weiterer Überlegungen, Gespräche mit Renate, die mir jetzt besonders fehlt.

Meine wichtigste Einsicht ist die, dass man gebeten werden sollte und dass man sich und den anderen die nötige Zeit und Ruhe lässt, um dann etwas Nachhaltiges ins Leben zu rufen. Da denke ich nicht unbedingt an ein medizinisches Projekt. Im Vordergrund sollte eine prophylak-
tische Arbeit stehen: Bildung, die Emanzipation der Armen und im Speziellen die Emanzipation der Frauen in den Dritt-Welt-Ländern. Kleine, individuelle Projekte, die von Betroffenen selbst geführt werden, könnten für mich eine Lösung sein. Wir weißen, reichen, ach so klugen Menschen sollten uns weitestgehend aus der Gleichung heraus nehmen. Sind unsere Motive immer so lauter, wie wir es von uns denken? Wollen wir nicht auch mehr bekommen als wir bereit sind zu geben?

Euch einen schönen Frühling,
ein nachdenklicher Klaus

Sonntag, 15. April 2007

Local treatment













Ich hatte gerade ein sehr langes Gespräch mit UN- und zwei sudanesischen Polizisten. Der Grund sind unverhältnismäßig viele Todesfälle von Kindern und einigen Erwachsenen, die von traditionellen Heilern irgendwelche Wurzelsäfte zu trinken bekommen, an denen sie nach etwa drei Tagen schwer erkranken und nicht therapierbar versterben. Es ist nicht heraus-
zubekommen, wo die Medizin verabreicht wird und wer es tut. Die Eltern verneinen zuerst immer die Frage nach „local treatment“, erst wenn man heftiger wird, bekommt man verlässlichere Auskünfte.

So habe ich in den letzten drei Monaten sechs sterbende Kinder gebracht bekommen.
Symptome: hohes Fieber, das auch kaum auf Paracetamol reagiert, eingeschränkte Atmung, die wie eine schwere Pneumonie imponiert, dann zerebrales Koma, in dem die Kinder dann auch versterben. Wenn es länger dauert, ist ein Nierenversagen die Todesursache.
Alles, was ich versucht habe, blieb stets erfolglos, ich habe keinen Patienten retten können. Es ist sicher ein Dosis/Wirkungs-
problem, da in dieser Schwere fast nur Kinder betroffen sind und mir auch nicht klar ist, wie viele Kinder nach so einer Behandlung zu Hause sterben.

Mit unterschiedlichen Erkrankungen suchen die Menschen traditionelle Heiler auf. Ich weiß nichts über die Ausbildung oder Qualifikation dieser Medizin praktizierenden Nubier. Sie arbeiten sehr im Verborgenen und werden nie mit Namen genannt, sie wollen keine Kontakte zu Ärzten. Ich sehe nur die Auswirkungen ihrer Medizin, dann, wenn die Kranken zu uns kommen oder gebracht werden.

Die traditionelle Medizin ist eher eine brachiale und hat wenig mit dem zu tun, was ich von der Arbeit von Schamanen in Asien gesehen habe. Außerdem lassen sie sich ordentlich bezahlen, was die Familien der Kranken mitunter sehr belastet.

Gegen Durchfall entfernt man zum Beispiel die Eckzähne, gegen Gelbsucht (am ehesten Hepatits A oder E, eine selbst limitierende Virusinfektion) brennen sie über der Leber oder verletzen die Haut in anderer Weise. So findet man fast bei jedem Patienten irgendwelche Narben im rechten Abdominalbereich. Wo immer es weh getan hat, findet man solche Narben.

Ich bin sicher kein Gegner einer traditionellen Medizin, sondern fand es immer spannend mich mit diesen Heilern zu unterhalten und auch von ihnen zu lernen. Ich halte diese Form der über-
lieferten Medizin jedoch für so tödlich und verstümmelnd, dass ich mich entschlossen habe, offizielle Wege zu gehen, damit das Problem bekannt wird und die Menschen wissen, was sie sich und ihren Kindern antun, denn es scheint niemand daran gelegen zu sein, diesen Men-
schen das Handwerk zu legen oder zumindest mit ihnen zu reden. Die örtlichen Gesundheits-
verantwortlichen kümmern sich nicht um das Problem, sie sind eher an Statistiken interessiert, mit denen sie in den Ministerien dann angeben können, mit Leistungen, an denen sie nie mitgewirkt haben. (Werde ich nach solchen Daten gefragt, wende ich den suda-
nesischen Weg der Verweigerung an, indem ich ihnen sage: „Sorry, our printer is not working, but you can have a CD“ in der Kenntnis, dass sie keinen Rechner besitzen. Das ist aber ein anderes Thema.)

Das Bild zeigt Euch die Kinder, die primär gefährdet sind. Sie leben in Dörfern, die weit von uns entfernt liegen. Die Eltern gehen dann zu diesen Heilern in Ermangelung anderer Alternativen, es ist aber in vielen Fällen eine tödliche oder sehr schmerzhafte Alternative.

Ich grüße alle und hoffe, dass der Frühling Euch mehr Licht und Wärme bringt. Hier habe ich genug davon und sehne, wie alle Menschen um mich herum, die Regenzeit herbei. Alle Brunnen um uns herum sind trocken, und wir holen unser Wasser täglich aus einem Ort, vierzig Minuten mit dem Auto entfernt. Unsere Nachbarn müssen das zu Fuß erledigen.

Noch ein Nachtrag: gestern musste ich den 10. Kaiserschnitt durchführen, als Krönung gab es eine Sterilisation dazu, die für mich wiederum die erste war.

Bis zum nächsten Mal
Euer Klaus