Samstag, 22. Dezember 2007

Grüße aus Eikwe, Ghana

Liebe Freunde

Nun bin ich schon annähernd drei Wochen in Ghana und habe außer dem Krankenhaus und dem örtlichen Strand wenig vom Land gesehen, was ich aber in Ordnung finde. Die Arbeit will hier nie enden.

Nach meinen schlechten Erfahrungen im Sudan bin ich schon mit weitaus besseren Gefühlen in den neuen Einsatz gefahren. Ich war mir ganz sicher, dass ich wirklich erwünscht und willkommen bin und dass man mich mit Freude erwartet. Im Vorfeld meiner Arbeit hatte ich einige gute Telefon-
gespräche mit den Schwestern in Ghana wie auch in Würzburg führen können. Entsprechend war der Empfang am Flughafen und in Eikwe. Ich bekam ein dreigängiges deutsches Mittagessen und anschließend ein wirklich komfor-
tables Zimmer, sehr liebevoll eingerichtet, in dem ich mich sehr wohl fühle.

Das Krankenhaus ist eine wirklich gut funktionierende Einheit, in dem sehr viel in hektischer Routine abläuft. Man sieht und spürt die langjährige deutsche Leitung in der, auch für afrikanische Verhältnisse, eine gewisse Ordnung und Disziplin eingehalten wird. Vier Schwestern aus der Gemein-
schaft der Missionshelferinnen aus Würzburg leben und arbeiten schon seit über 30 Jahren in diesem Hospital, welches ein wirkliches Missionshospital ist. Dazu vielleicht später etwas mehr. Die Schwestern sind schon alle älter als 60 Jahre und wünschen sich sehr, das Krankenhaus in einigen Jahren an einen indischen Missionsorden abzugeben. Dr. Gabi Köthe war für lange Jahre die einzige Ärztin in Eikwe, die Schwestern Irmgard und Ludovika sind erfahrene Hebammen, Schwester Elisabeth eine Krankenschwester, die mit ihren 72 Jahren noch immer die Ambulanz in Schwung hält. Schwester Irmgard kümmert sich jetzt um die Finanzen, Schwester Ludovika ist die Vorsteherin und macht das Personalmanagement. Ich bin wirklich beeindruckt von der Lebensleistung dieses Teams. Sie haben es geschafft, dass aus einem kleinen Missionshospital ein großes Regionalkrankenhaus geworden ist, an dem sich jetzt auch der ghanaische Staat beteiligt. So gibt es für Dr. Gabi auch eine regelmäßige Auszeit, da sie nicht mehr alle Dienste übernehmen muss.

Sie wird seit einigen Jahren von einem Arztehepaar entlastet. Dr. Paul Cooper, ein Ghanaer, hat in Kasachstan Medizin studiert und dort seine Frau kennen gelernt, die auch Ärztin ist. Paul war anschließend noch vier Jahre in Würzburg, wo er seinen Facharzt für Gynäkologie erworben hat. So spricht er ein gutes Deutsch, fällt jedoch immer wieder ins Englische, da es ihm schneller von der Zunge geht. Sein Russisch ist perfekt, dazu spricht er noch einige Stammessprachen. Frau Cooper sonographiert leidenschaftlich und möchte irgendwann mal Radiologin werden, jetzt muss sie alles machen, einschließlich der dauernd anfallenden Kaiserschnitte.

Dann gibt es noch zwei kubanische Ärzte, die wenig Kontakt zum übrigen Team haben, eher bedingt durch erhebliche Sprachbarrieren. Michael nennt sich Kinderarzt und Josephine ist angeblich Internistin. Der ghanaische Staat versucht durch den Zukauf von Fachkräften den Mangel an Ärzten in gewissem Maße zu beheben. Kuba schickt aber immer wieder Kollegen, die kaum Englisch sprechen und keine tropenmedizinische Ausbildung besitzen.
Mit mir gibt es jetzt sechs Ärzte, was aber immer noch nicht ausreichend ist.

Jetzt mal einige Zahlen zum besseren Verständnis. Es gibt 175 Betten, unterteilt in eine Kinder- und Erwachsenenstation, Gynäkologie und Geburtshilfe sowie eine Station für Infektionen und Tuberkulose. Dann noch eine Aufnahmestation für Akutfälle und Unfallverletzte. Wir haben sogar zwei Privatzimmer zum Vorzugspreis. Täglich werden ca. 40-50 Patienten aufgenommen und entlassen. Die Betten sind immer belegt, dazu noch die überdachten Gänge und Vorräume. Die Familienangehörigen, die die Patienten versorgen und pflegen müssen, schlafen mitten drin oder auf dem Rasen, wenn es trocken ist.

Es kommen im Durchschnitt 200 Patienten täglich in die Ambulanz und das 6 Tage in der Woche. Im Jahr werden ca. 2.000 Operationen durchgeführt und auch 2.ooo Kinder geboren. Es vergeht kein Tag ohne einen Kaiserschnitt, mitunter sind es fünf am Tag. Das Labor führt etwa 105.000 Untersuchungen im Jahr durch, die Blutbank läuft auf Hochtouren bei den vielen Anämien, hauptsächlich verursacht durch die Malaria. Die Eltern bringen die Kinder häufig eher tot als lebendig.

Die Schwangerenvorsorge läuft fast perfekt. Jede Frau erhält fast zweimal eine Ultraschalluntersuchung während der Schwangerschaft. Man mag es kaum glauben, es gibt sogar eine Sprechstunde für ungewollte Kinderlosigkeit. Die HIV Ambulanz wird immer zeitaufwendiger, die Zahl der zu behandelnden Menschen steigt immer mehr an, das Tuberkuloseprogramm nimmt einen ähnlichen Verlauf. Etwa 6% der hiesigen Bevölkerung ist HIV positiv und man versucht, die Betroffenen entsprechend den internationalen Richtlinien zu behandeln.

Außer dem Labor gibt es eine Röntgeneinheit, in der pro Jahr ca. 1.500 Bilder produziert werden und zwei Ultraschallgeräte mit mehr als 2.600 Untersuchungen pro Jahr, wobei eines der Gerät allerdings nicht mehr den modernen Ansprüchen genügt.

Im Krankenhaus arbeiten etwa 200 Menschen. Bis vor einigen Jahren wurde das Haus weitestgehend privat durch Spenden und Zuwendungen des Ordens finanziert. Jetzt ist es Teil des ghanaischen Gesundheitssystems geworden. Der Staat finanziert einen Teil der Gehälter und teilweise die laufenden Unterhaltskosten. Die finanzielle Beteiligung ist sicher eine Entlastung für den Orden, der Staat stellt allerdings auch Bedingungen und nimmt Einfluss auf Entscheidungen, die nicht immer sinnvoll für die Patienten und das Haus sind. Die Patienten müssen darüber hinaus einen kleinen Anteil an den Kosten der Behandlung bezahlen. So kostet ein Kaiserschnitt zum Beispiel ca. 10 Euro. Das Krankenhaus muss sich insgesamt selbst finanzieren. Schwester Irmgard schafft es aber wohl immer noch, etwas übrig zu behalten, um notwendige Dinge außerhalb des Bedarfsplanes kaufen zu können.

Das Areal des Hospitals entspricht etwa vier Fußballfeldern, auf denen die eben-erdigen Geschosse stehen. Alle haben die für Afrika typischen Überdachungen unter denen sich das meiste abspielt. Die Zimmer sind immer überfüllt und dadurch recht stickig und warm. Jeden Tag werden die Räume gewischt, und es gibt eine Sauberkeit im Haus, die ich in Afrika kaum für möglich gehalten hätte. Viel Wasser und Kernseife hält den Laden sauber. Teilweise helfen die Angehörigen der Patienten mit. Das weiträumige Areal hat auch zwei Arzthäuser und ein Gasthaus mit drei Zimmern und einer Küche, in dem ich mich zur Zeit allein aufhalte. Die Missionsschwestern wohnen gegenüber dem Krankenhaus in einem eigenen Haus. Da kommt das spirituelle Leben nicht zu kurz. Zwischen den Häusern gibt es blühende Pflanzen und Fächerpalmen, die dem ganzen ein sehr gutes Aussehen verleihen. Die Gärtner sind immer aktiv, und so findet man keinen Unrat oder Müll auf dem Gelände. Die Menschen genießen diesen kleinen Park sehr und schlafen im Schatten der Bäume oder schauen den Kindern beim Spielen zu. In dieser Atmosphäre kann man sicher wieder gesund werden.

Der Operationssaal ist schon rechter Luxus. Die Klimaanlage funktioniert perfekt und lässt Operationen ohne einen schwitzenden Arzt zu. Ich bin wohl der einzige, der trotzdem manchmal ans Schwitzen kommt, wenn mir einige Dinge nicht so gut von der Hand gehen, wie ich es mir wünschen würde. Meine Kollegen wie auch das OP Team sehen das aber gelassen. Es dauert bei mir halt länger, bis der Bauch zugenäht ist. Da ich aber jeden Tag im OP bin, kommt meine alte Fingerfertigkeit so langsam zurück. Die OP Helfer sind ausschließlich von Frau Köthe ausgebildet und stammen fast ausschließlich aus Eikwe. Sie haben keine weitere Ausbildung, was zum Beispiel die Anatomie usw. betrifft. Sie wissen aber nach tausenden von Eingriffen genau, wann es gefährlich werden kann.

Die zwei Anästhesiepfleger bekamen allerdings nach einiger Zeit ein Training an einer der Universitäten, es kommt gelegentlich ein Arzt aus Holland, der vor Ort die Ausbildung noch intensiviert. So habe ich bislang noch keine Komplikationen oder Narkosezwischenfälle erlebt. Die Infektionsrate ist sehr gering, allerdings werden die Patienten nach der OP sehr breit antibiotisch abgedeckt.

18.12.2007

Ich habe jetzt sehr viel Fakten geliefert und habe wenig von mir berichtet. Ich habe mir seit gestern eine kleine Auszeit genommen, was die ständige Bereitschaft betrifft. So habe ich drei Wochen keine Nacht wirklich durchschlafen können. Ich wollte möglichst schnell die Abläufe in dem Haus verstehen, damit ich auch wirklich eine Hilfe sein kann. Am ersten Wochenende habe ich den Kollegen bei sechs Kaiserschnitten assistiert und bei zwei Lapratomien bei extrauterinen Schwangerschaften. Wenigstens 10 Abrasiones (Ausschabungen) bei vaginalen Blutungen wurden so zwischendurch erledigt. Da macht man kein großes Aufhebens davon. So habe ich schnell auch diese Eingriffe lernen können. Bei dieser Fülle kommt man auch schnell an die Technik und macht seine Erfahrungen. Am schlimmsten war am ersten Sonntag ein Busunfall. Der Fahrer war eingeschlafen und hat den Bus gegen einige Bäume gefahren. Zuerst kamen die multitraumatisierten Verletzten. Irgendwie in ein Auto verfrachtet und halbtot wurden sie dann der Reihe nach auf die Waschbetonplatten gelegt. Oberschenkelfrakturen beidseits, wahnsinnige Kopfverletzungen, stumpfe Bauchtraumen. Es muss den Bus gewaltig geschüttelt haben. Ein Säugling hatte einen Oberarmbruch, die Mutter war genau so schwer verletzt. Alle, die helfen konnten, wurden eingesetzt. Wir haben genäht, es wurde geröntgt, sonographiert. Es wollte kein Ende nehmen, es kamen immer neue Verletzte. Dazwischen stritten sich die Taxifahrer mit den Verletzten, weil sie ihr Geld für den Transport wollten. Es war manchmal kaum möglich zu überblicken, wer nun noch nicht versorgt wurde. Die weniger Verletzten scharten sich dann um den Fahrer, der am Kopf schwer verletzt war. Sie wollten das Fahrgeld zurück, und er sollte die Kosten für die Versorgung bezahlen. Insgesamt haben wir 52 Personen behandelt. Drei Verletzte sind verstorben, einige auf dem Transport in ein anderes Krankenhaus. Es war nur schrecklich, kommt aber immer wieder vor. Die Verkehrsunfälle nehmen in Gesamtafrika enorm zu, es sterben an den Folgen mehr Menschen als an allen anderen Erkrankungen. Da alle Insassen bei uns im Krankenhaus waren, wurde inzwischen der Bus von Unbeteiligten geplündert. Dann hat sich doch tatsächlich der Busunternehmer bei uns sehen lassen. Er meint, dass er ruiniert sei, nachdem er alle Kosten gezahlt hat. Die Polizei hat das Ganze nicht interessiert, einige vom Staff auch nicht. Nachdem wir vier Stunden ununterbrochen gearbeitet hatten, war der Anästhesist und ein Teil des OP Teams verschwunden. Sie waren nach Hause gegangen, da sie müde und hungrig waren. Irgendwann trudelten sie dann wieder ein. Das ist Afrika live. Sie haben da kein Unrechtsbewusstsein, da ihnen ja eine Pause zusteht. Die Schwerstverletzten waren allerdings versorgt, das muss man zu ihrer Ehrenrettung sagen. Dazwischen musste dann auch noch die Routine laufen, es kamen Mütter mir hochfiebernder Kindern und einige mit Kopfschmerzen versuchten in all der Hektik auch noch zu ihrem Recht zu kommen. Wir brauchten nicht böse zu werden, das haben die Schwestern schon erledigt. Um 21 Uhr wollte ich nur noch schlafen.

Da die Klinik schwerpunktmäßig gynäkologisch ausgerichtet ist, habe ich einen Schnelldurchgang durch dieses Fachgebiet bekommen, was ich im Studium eigentlich immer gemieden habe. Alle Notfälle sind mir mittlerweile geläufig, deren Behandlung ebenso. Frau Köthe gab mir schnell die Gelegenheit operativ tätig zu werden, gynäkologische Untersuchungen sind mir nicht mehr fremd. So war ich in den ersten drei Wochen bei jeder Operation anwesend und habe auch schon wieder zwei Kaiserschnitte durchführen können. Jetzt denke ich so häufig an die Frauen im Sudan, was hätte ich dort einfach besser machen können, wenn ich so eine Anleitung vor dem Einsatz hätte bekommen können. Ich bin sehr dankbar, dass die Frauen und Kinder überlebt haben, trotz der möglichen Fehler, die ich in Unkenntnis meiner jetzigen Ausbildung gemacht habe.

Ich lerne also im Moment sehr viel, was die gynäkologischen Operationen angeht, gleichzeitig kümmere ich mich um eine internistische Weiterbildung meiner Kollegen und um die Fortbildung des Pflegepersonals. Ich habe neue Richtlinien für die Hochdruckbehandlung und den Diabetes erarbeitet. Da bestand Handlungsbedarf. Ich hätte nicht gedacht, dass ich dieses Problem in geballter Form in Eikwe vorfinde. Junge Menschen bekommen Schlaganfälle und wissen vorher nichts von ihrem Bluthochdruck, der über Jahre unbehandelt, zu diesem Ergebnis führen kann. Die Sonographie des Bauchraum mach ich im Moment, und Frau Cooper versucht schnell von mir zu lernen. Sie hat gute Vorkenntnisse und daher wird es kein großes Problem für sie sein, auf diesem Gebiet tätig zu sein. Ich meinerseits lerne den gynäkologischen Ultraschall, vor allem die Untersuchung der vielen Schwangeren. Da wir zusammen am Tag etwa 60 – 80 Patienten sehen, geht alles sehr schnell, und man sieht an einem Tag all die Besonderheiten, die man bei uns nur in entsprechenden Zentren und dann nicht mal in solcher Häufung antrifft. Auch ich habe in den Bäuchen Befunde gesehen, die ich bislang nur aus Lehrbüchern kannte.

Ich will damit heute einfach mal schließen, damit die Mail bald meine Renate erreicht, die den Bericht dann ins Internet stellt. Dazu muss ich den hiesigen Priester bitten, der als einziger einen Internetzugang besitzt. So kann ich nicht genau abschätzen, wann er wieder online ist und ob dann auch alles Deutschland erreicht.

In der nächsten Woche ist schon Weihnachten, was ich hier kaum empfinden kann. Es ist sehr heiß und man hört gelegentlich Stille Nacht, heilige Nacht in Deutsch aus dem Radio der Kantine dudeln. Die Schwestern zünden gelegentlich eine Kerze an und singen mal ein Weihnachtslied. Aber die Hektik der vielen Arbeit lässt eine beschauliche Stimmung kaum zu. Ich hoffe, dass es Euch da etwas besser geht. Hier soll es an Weihnachten häufig ein großes Fest mit einem Umzug geben, was sehr bunt sein soll. Ich bin mal gespannt darauf. Also, Euch allen ein frohes Fest und kommt gut in das neue Jahr. Ich melde mich dann wieder mit neuen Nachrichten.

Euer Klaus