Samstag, 22. Dezember 2007

Grüße aus Eikwe, Ghana

Liebe Freunde

Nun bin ich schon annähernd drei Wochen in Ghana und habe außer dem Krankenhaus und dem örtlichen Strand wenig vom Land gesehen, was ich aber in Ordnung finde. Die Arbeit will hier nie enden.

Nach meinen schlechten Erfahrungen im Sudan bin ich schon mit weitaus besseren Gefühlen in den neuen Einsatz gefahren. Ich war mir ganz sicher, dass ich wirklich erwünscht und willkommen bin und dass man mich mit Freude erwartet. Im Vorfeld meiner Arbeit hatte ich einige gute Telefon-
gespräche mit den Schwestern in Ghana wie auch in Würzburg führen können. Entsprechend war der Empfang am Flughafen und in Eikwe. Ich bekam ein dreigängiges deutsches Mittagessen und anschließend ein wirklich komfor-
tables Zimmer, sehr liebevoll eingerichtet, in dem ich mich sehr wohl fühle.

Das Krankenhaus ist eine wirklich gut funktionierende Einheit, in dem sehr viel in hektischer Routine abläuft. Man sieht und spürt die langjährige deutsche Leitung in der, auch für afrikanische Verhältnisse, eine gewisse Ordnung und Disziplin eingehalten wird. Vier Schwestern aus der Gemein-
schaft der Missionshelferinnen aus Würzburg leben und arbeiten schon seit über 30 Jahren in diesem Hospital, welches ein wirkliches Missionshospital ist. Dazu vielleicht später etwas mehr. Die Schwestern sind schon alle älter als 60 Jahre und wünschen sich sehr, das Krankenhaus in einigen Jahren an einen indischen Missionsorden abzugeben. Dr. Gabi Köthe war für lange Jahre die einzige Ärztin in Eikwe, die Schwestern Irmgard und Ludovika sind erfahrene Hebammen, Schwester Elisabeth eine Krankenschwester, die mit ihren 72 Jahren noch immer die Ambulanz in Schwung hält. Schwester Irmgard kümmert sich jetzt um die Finanzen, Schwester Ludovika ist die Vorsteherin und macht das Personalmanagement. Ich bin wirklich beeindruckt von der Lebensleistung dieses Teams. Sie haben es geschafft, dass aus einem kleinen Missionshospital ein großes Regionalkrankenhaus geworden ist, an dem sich jetzt auch der ghanaische Staat beteiligt. So gibt es für Dr. Gabi auch eine regelmäßige Auszeit, da sie nicht mehr alle Dienste übernehmen muss.

Sie wird seit einigen Jahren von einem Arztehepaar entlastet. Dr. Paul Cooper, ein Ghanaer, hat in Kasachstan Medizin studiert und dort seine Frau kennen gelernt, die auch Ärztin ist. Paul war anschließend noch vier Jahre in Würzburg, wo er seinen Facharzt für Gynäkologie erworben hat. So spricht er ein gutes Deutsch, fällt jedoch immer wieder ins Englische, da es ihm schneller von der Zunge geht. Sein Russisch ist perfekt, dazu spricht er noch einige Stammessprachen. Frau Cooper sonographiert leidenschaftlich und möchte irgendwann mal Radiologin werden, jetzt muss sie alles machen, einschließlich der dauernd anfallenden Kaiserschnitte.

Dann gibt es noch zwei kubanische Ärzte, die wenig Kontakt zum übrigen Team haben, eher bedingt durch erhebliche Sprachbarrieren. Michael nennt sich Kinderarzt und Josephine ist angeblich Internistin. Der ghanaische Staat versucht durch den Zukauf von Fachkräften den Mangel an Ärzten in gewissem Maße zu beheben. Kuba schickt aber immer wieder Kollegen, die kaum Englisch sprechen und keine tropenmedizinische Ausbildung besitzen.
Mit mir gibt es jetzt sechs Ärzte, was aber immer noch nicht ausreichend ist.

Jetzt mal einige Zahlen zum besseren Verständnis. Es gibt 175 Betten, unterteilt in eine Kinder- und Erwachsenenstation, Gynäkologie und Geburtshilfe sowie eine Station für Infektionen und Tuberkulose. Dann noch eine Aufnahmestation für Akutfälle und Unfallverletzte. Wir haben sogar zwei Privatzimmer zum Vorzugspreis. Täglich werden ca. 40-50 Patienten aufgenommen und entlassen. Die Betten sind immer belegt, dazu noch die überdachten Gänge und Vorräume. Die Familienangehörigen, die die Patienten versorgen und pflegen müssen, schlafen mitten drin oder auf dem Rasen, wenn es trocken ist.

Es kommen im Durchschnitt 200 Patienten täglich in die Ambulanz und das 6 Tage in der Woche. Im Jahr werden ca. 2.000 Operationen durchgeführt und auch 2.ooo Kinder geboren. Es vergeht kein Tag ohne einen Kaiserschnitt, mitunter sind es fünf am Tag. Das Labor führt etwa 105.000 Untersuchungen im Jahr durch, die Blutbank läuft auf Hochtouren bei den vielen Anämien, hauptsächlich verursacht durch die Malaria. Die Eltern bringen die Kinder häufig eher tot als lebendig.

Die Schwangerenvorsorge läuft fast perfekt. Jede Frau erhält fast zweimal eine Ultraschalluntersuchung während der Schwangerschaft. Man mag es kaum glauben, es gibt sogar eine Sprechstunde für ungewollte Kinderlosigkeit. Die HIV Ambulanz wird immer zeitaufwendiger, die Zahl der zu behandelnden Menschen steigt immer mehr an, das Tuberkuloseprogramm nimmt einen ähnlichen Verlauf. Etwa 6% der hiesigen Bevölkerung ist HIV positiv und man versucht, die Betroffenen entsprechend den internationalen Richtlinien zu behandeln.

Außer dem Labor gibt es eine Röntgeneinheit, in der pro Jahr ca. 1.500 Bilder produziert werden und zwei Ultraschallgeräte mit mehr als 2.600 Untersuchungen pro Jahr, wobei eines der Gerät allerdings nicht mehr den modernen Ansprüchen genügt.

Im Krankenhaus arbeiten etwa 200 Menschen. Bis vor einigen Jahren wurde das Haus weitestgehend privat durch Spenden und Zuwendungen des Ordens finanziert. Jetzt ist es Teil des ghanaischen Gesundheitssystems geworden. Der Staat finanziert einen Teil der Gehälter und teilweise die laufenden Unterhaltskosten. Die finanzielle Beteiligung ist sicher eine Entlastung für den Orden, der Staat stellt allerdings auch Bedingungen und nimmt Einfluss auf Entscheidungen, die nicht immer sinnvoll für die Patienten und das Haus sind. Die Patienten müssen darüber hinaus einen kleinen Anteil an den Kosten der Behandlung bezahlen. So kostet ein Kaiserschnitt zum Beispiel ca. 10 Euro. Das Krankenhaus muss sich insgesamt selbst finanzieren. Schwester Irmgard schafft es aber wohl immer noch, etwas übrig zu behalten, um notwendige Dinge außerhalb des Bedarfsplanes kaufen zu können.

Das Areal des Hospitals entspricht etwa vier Fußballfeldern, auf denen die eben-erdigen Geschosse stehen. Alle haben die für Afrika typischen Überdachungen unter denen sich das meiste abspielt. Die Zimmer sind immer überfüllt und dadurch recht stickig und warm. Jeden Tag werden die Räume gewischt, und es gibt eine Sauberkeit im Haus, die ich in Afrika kaum für möglich gehalten hätte. Viel Wasser und Kernseife hält den Laden sauber. Teilweise helfen die Angehörigen der Patienten mit. Das weiträumige Areal hat auch zwei Arzthäuser und ein Gasthaus mit drei Zimmern und einer Küche, in dem ich mich zur Zeit allein aufhalte. Die Missionsschwestern wohnen gegenüber dem Krankenhaus in einem eigenen Haus. Da kommt das spirituelle Leben nicht zu kurz. Zwischen den Häusern gibt es blühende Pflanzen und Fächerpalmen, die dem ganzen ein sehr gutes Aussehen verleihen. Die Gärtner sind immer aktiv, und so findet man keinen Unrat oder Müll auf dem Gelände. Die Menschen genießen diesen kleinen Park sehr und schlafen im Schatten der Bäume oder schauen den Kindern beim Spielen zu. In dieser Atmosphäre kann man sicher wieder gesund werden.

Der Operationssaal ist schon rechter Luxus. Die Klimaanlage funktioniert perfekt und lässt Operationen ohne einen schwitzenden Arzt zu. Ich bin wohl der einzige, der trotzdem manchmal ans Schwitzen kommt, wenn mir einige Dinge nicht so gut von der Hand gehen, wie ich es mir wünschen würde. Meine Kollegen wie auch das OP Team sehen das aber gelassen. Es dauert bei mir halt länger, bis der Bauch zugenäht ist. Da ich aber jeden Tag im OP bin, kommt meine alte Fingerfertigkeit so langsam zurück. Die OP Helfer sind ausschließlich von Frau Köthe ausgebildet und stammen fast ausschließlich aus Eikwe. Sie haben keine weitere Ausbildung, was zum Beispiel die Anatomie usw. betrifft. Sie wissen aber nach tausenden von Eingriffen genau, wann es gefährlich werden kann.

Die zwei Anästhesiepfleger bekamen allerdings nach einiger Zeit ein Training an einer der Universitäten, es kommt gelegentlich ein Arzt aus Holland, der vor Ort die Ausbildung noch intensiviert. So habe ich bislang noch keine Komplikationen oder Narkosezwischenfälle erlebt. Die Infektionsrate ist sehr gering, allerdings werden die Patienten nach der OP sehr breit antibiotisch abgedeckt.

18.12.2007

Ich habe jetzt sehr viel Fakten geliefert und habe wenig von mir berichtet. Ich habe mir seit gestern eine kleine Auszeit genommen, was die ständige Bereitschaft betrifft. So habe ich drei Wochen keine Nacht wirklich durchschlafen können. Ich wollte möglichst schnell die Abläufe in dem Haus verstehen, damit ich auch wirklich eine Hilfe sein kann. Am ersten Wochenende habe ich den Kollegen bei sechs Kaiserschnitten assistiert und bei zwei Lapratomien bei extrauterinen Schwangerschaften. Wenigstens 10 Abrasiones (Ausschabungen) bei vaginalen Blutungen wurden so zwischendurch erledigt. Da macht man kein großes Aufhebens davon. So habe ich schnell auch diese Eingriffe lernen können. Bei dieser Fülle kommt man auch schnell an die Technik und macht seine Erfahrungen. Am schlimmsten war am ersten Sonntag ein Busunfall. Der Fahrer war eingeschlafen und hat den Bus gegen einige Bäume gefahren. Zuerst kamen die multitraumatisierten Verletzten. Irgendwie in ein Auto verfrachtet und halbtot wurden sie dann der Reihe nach auf die Waschbetonplatten gelegt. Oberschenkelfrakturen beidseits, wahnsinnige Kopfverletzungen, stumpfe Bauchtraumen. Es muss den Bus gewaltig geschüttelt haben. Ein Säugling hatte einen Oberarmbruch, die Mutter war genau so schwer verletzt. Alle, die helfen konnten, wurden eingesetzt. Wir haben genäht, es wurde geröntgt, sonographiert. Es wollte kein Ende nehmen, es kamen immer neue Verletzte. Dazwischen stritten sich die Taxifahrer mit den Verletzten, weil sie ihr Geld für den Transport wollten. Es war manchmal kaum möglich zu überblicken, wer nun noch nicht versorgt wurde. Die weniger Verletzten scharten sich dann um den Fahrer, der am Kopf schwer verletzt war. Sie wollten das Fahrgeld zurück, und er sollte die Kosten für die Versorgung bezahlen. Insgesamt haben wir 52 Personen behandelt. Drei Verletzte sind verstorben, einige auf dem Transport in ein anderes Krankenhaus. Es war nur schrecklich, kommt aber immer wieder vor. Die Verkehrsunfälle nehmen in Gesamtafrika enorm zu, es sterben an den Folgen mehr Menschen als an allen anderen Erkrankungen. Da alle Insassen bei uns im Krankenhaus waren, wurde inzwischen der Bus von Unbeteiligten geplündert. Dann hat sich doch tatsächlich der Busunternehmer bei uns sehen lassen. Er meint, dass er ruiniert sei, nachdem er alle Kosten gezahlt hat. Die Polizei hat das Ganze nicht interessiert, einige vom Staff auch nicht. Nachdem wir vier Stunden ununterbrochen gearbeitet hatten, war der Anästhesist und ein Teil des OP Teams verschwunden. Sie waren nach Hause gegangen, da sie müde und hungrig waren. Irgendwann trudelten sie dann wieder ein. Das ist Afrika live. Sie haben da kein Unrechtsbewusstsein, da ihnen ja eine Pause zusteht. Die Schwerstverletzten waren allerdings versorgt, das muss man zu ihrer Ehrenrettung sagen. Dazwischen musste dann auch noch die Routine laufen, es kamen Mütter mir hochfiebernder Kindern und einige mit Kopfschmerzen versuchten in all der Hektik auch noch zu ihrem Recht zu kommen. Wir brauchten nicht böse zu werden, das haben die Schwestern schon erledigt. Um 21 Uhr wollte ich nur noch schlafen.

Da die Klinik schwerpunktmäßig gynäkologisch ausgerichtet ist, habe ich einen Schnelldurchgang durch dieses Fachgebiet bekommen, was ich im Studium eigentlich immer gemieden habe. Alle Notfälle sind mir mittlerweile geläufig, deren Behandlung ebenso. Frau Köthe gab mir schnell die Gelegenheit operativ tätig zu werden, gynäkologische Untersuchungen sind mir nicht mehr fremd. So war ich in den ersten drei Wochen bei jeder Operation anwesend und habe auch schon wieder zwei Kaiserschnitte durchführen können. Jetzt denke ich so häufig an die Frauen im Sudan, was hätte ich dort einfach besser machen können, wenn ich so eine Anleitung vor dem Einsatz hätte bekommen können. Ich bin sehr dankbar, dass die Frauen und Kinder überlebt haben, trotz der möglichen Fehler, die ich in Unkenntnis meiner jetzigen Ausbildung gemacht habe.

Ich lerne also im Moment sehr viel, was die gynäkologischen Operationen angeht, gleichzeitig kümmere ich mich um eine internistische Weiterbildung meiner Kollegen und um die Fortbildung des Pflegepersonals. Ich habe neue Richtlinien für die Hochdruckbehandlung und den Diabetes erarbeitet. Da bestand Handlungsbedarf. Ich hätte nicht gedacht, dass ich dieses Problem in geballter Form in Eikwe vorfinde. Junge Menschen bekommen Schlaganfälle und wissen vorher nichts von ihrem Bluthochdruck, der über Jahre unbehandelt, zu diesem Ergebnis führen kann. Die Sonographie des Bauchraum mach ich im Moment, und Frau Cooper versucht schnell von mir zu lernen. Sie hat gute Vorkenntnisse und daher wird es kein großes Problem für sie sein, auf diesem Gebiet tätig zu sein. Ich meinerseits lerne den gynäkologischen Ultraschall, vor allem die Untersuchung der vielen Schwangeren. Da wir zusammen am Tag etwa 60 – 80 Patienten sehen, geht alles sehr schnell, und man sieht an einem Tag all die Besonderheiten, die man bei uns nur in entsprechenden Zentren und dann nicht mal in solcher Häufung antrifft. Auch ich habe in den Bäuchen Befunde gesehen, die ich bislang nur aus Lehrbüchern kannte.

Ich will damit heute einfach mal schließen, damit die Mail bald meine Renate erreicht, die den Bericht dann ins Internet stellt. Dazu muss ich den hiesigen Priester bitten, der als einziger einen Internetzugang besitzt. So kann ich nicht genau abschätzen, wann er wieder online ist und ob dann auch alles Deutschland erreicht.

In der nächsten Woche ist schon Weihnachten, was ich hier kaum empfinden kann. Es ist sehr heiß und man hört gelegentlich Stille Nacht, heilige Nacht in Deutsch aus dem Radio der Kantine dudeln. Die Schwestern zünden gelegentlich eine Kerze an und singen mal ein Weihnachtslied. Aber die Hektik der vielen Arbeit lässt eine beschauliche Stimmung kaum zu. Ich hoffe, dass es Euch da etwas besser geht. Hier soll es an Weihnachten häufig ein großes Fest mit einem Umzug geben, was sehr bunt sein soll. Ich bin mal gespannt darauf. Also, Euch allen ein frohes Fest und kommt gut in das neue Jahr. Ich melde mich dann wieder mit neuen Nachrichten.

Euer Klaus

Montag, 17. September 2007

Bilder aus dem Sudan

Liebe Freunde,
unter http://picasaweb.google.de/Dr.med.KlausEckert/
VortragRotary

findet Ihr weitere Bilder

Dienstag, 7. August 2007

Fazit meiner Erfahrungen nach vier Monaten im Sudan

Liebe Freunde,

folgenden Artikel versuchte ich in diversen Zeitungen zu veröffentlichen. Leider kam ich etwas zu spät, und das Thema Entwicklungshilfe im Zusammenhang mit Afrika ist nicht mehr aktuell. Letztendlich wird die Zukunft zeigen, in wie weit die finanziellen Zusagen auch eingehalten werden oder ob sie nur Lippenbekenntisse von populistischen Politern waren. So stelle ich den Artikel nun in meinen Blog. Es ist mein Fazit nach zehn Jahren Arbeit in Dritt-Welt-Ländern und ersten Erfahrungen mit Afrika. Ich gebe nicht auf, sehe aber meine Arbeit sehr viel kritischer als zuvor.


Durch den G8 Gipfel in Heiligendamm rückte Afrika wieder einmal in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Politiker feilschten um Geld, das man den Regierungen afrikanischer Staaten für sogenannte Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen will. Globalisierungsgegner, Künstler, Kirchen und nichtstaatliche humanitäre Organisationen (NGO´s) forderten eine Unterstützung für die Not leidenden Menschen des schwarzen Kontinents.

Die Frage ist: Welche Menschen leiden? Und sind es tatsächlich die bedürftigen Afrikaner, die unsere Unterstützung am Ende erreicht? Denken wir auch bis ins Letzte über die Auswirkungen unserer Hilfen nach - oder wollen wir mit einer finanziellen Spende nur unser Gewissen beruhigen? Sind die politisch Verantwortlichen überhaupt am Schicksal dieses Kontinents interessiert - oder sind nicht eher die wirtschaftlichen Erwägungen und Vorteile, die mit Entwicklungshilfe verbunden sind, ausschlaggebend für unsere Großzügigkeit?

Als Arzt habe ich vier Monate für eine regierungsunabhängige deutsche Organisation in den Nuba-Bergen des Sudan gearbeitet und dort vielfältige Erfahrungen mit UN- Organisationen, privaten humanitären Organisationen unterschiedlicher Nationen, Kirchen aller Konfessionen und den staatlichen Regierungsstellen gemacht. Das Erfahrene hat mich sehr nachdenklich werden lassen. In dieser Zeit habe ich reichliche Erfahrungen mit dem System der Entwicklungshilfe machen können. Diese Erlebnisse haben zu einer radikalen Veränderung meiner Ansichten geführt

Mittlerweile lehne ich eine uneingeschränkte Hilfe für Afrika ab und vertrete den Standpunkt, dass wir Nichtafrikaner uns weitestgehend zurückziehen und den Afrikanern die Selbstständigkeit zubilligen sollten, die ihnen zusteht. Ich finde, wir benehmen uns immer noch wie Eltern, die ihre Kinder nicht erwachsen werden lassen wollen, weil sie fürchten, damit ihren Einfluss zu verlieren. Genau wie jene Eltern beklagen wir uns aber über die Unselbstständigkeit der Kinder, obwohl diese durch unser eigenes Verhalten begünstigt wird. Gleichzeitig nehmen wir ihnen aber weiterhin die Möglichkeit eigene Initiative zu entwickeln, die man doch notwendig braucht, um Erfahrungen zu sammeln und wundern uns, dass kaum ein Kind freiwillig das „Hotel Mama“ verlässt.

Unsere einfache Klinik wird täglich von bis zu 200 Menschen besucht. Alle medizinischen Leistungen gibt es zum Nulltarif. Das klingt gut, erweist sich in der Praxis aber nicht immer als sinnvoll. Denn es hat zu einem „Medizintourismus“ geführt, bei dem Menschen in die Nuba-Berge kommen, um dort vor allem Medikamente einzufordern. Ob diese nützlich oder gar notwendig sind, ist den vielfach ungebildeten „Patienten“ egal. Sie betrachten die Forderung nach Medizin als ihr Recht und bestehen mit allen Mitteln darauf.

Das Militär benutzt uns als Militärkrankenhaus und verlangt eine Sonderbehandlung, ohne auch nur einen Cent dafür zahlen zu wollen, obwohl es inzwischen eine verlässliche Einnahmequelle durch Ölfunde im Südsudan gibt, von denen vor allem das Militär profitiert. Dieses ist auch an den neuen Waffen und dem klimatisierten Geländewagen der Kommandanten abzulesen, sowie am Sold der Soldaten.

Warum sollen deutsche Spendengelder für die medizinische Versorgung des Militärs und unnütz verordnete Medizin ausgegeben werden? Offenbar, weil sich die Empfänger keine Gedanken darüber machen, was wir für die sudanesische Bevölkerung erreichen wollen und warum wir überhaupt an diesem Ort sind. Niemand - weder Offizielle noch Militärs noch einfache Patienten - haben mir jemals eine Frage über unsere Organisation oder zu meiner Motivation gestellt. Es gibt uns, und man nimmt, was man bekommen kann.

Die lokale sudanesische Gesundheitsbehörde verhält sich nicht anders und unternimmt keinerlei Anstrengungen, um ein eigenes System aufzubauen. Die Deutschen werden gelobt und immer wieder aufgefordert ihre Bemühungen zu intensivieren. Man hat sogar versucht unsere Klinik als HIV/AIDS- Behandlungszentrum bei der WHO zu melden, da man vom großen Kuchen des Global Fund auch etwas abbekommen möchte. Der Global Fund stellt dem Sudan 28,5 Millionen Dollar jährlich für die Bekämpfung von HIV/AIDS zur Verfügung. Ich als Experte sollte die Sache in eine Form gießen, die Statistiken fälschen (!) und die Erfolge dann den Geldgebern mitteilen. Die Qualität der Arbeit war den Verantwortlichen völlig gleichgültig. Den räumlichen und personellen Aufwand sollte unsere Organisation selbstredend aus eigener Tasche zahlen. Die Politiker des Landes wollten die Lorbeeren und das Geld einheimsen, die Ausländer sollten die Arbeit verrichten. Mein Angebot, als Berater tätig zu werden, wurde abgelehnt. Daher gibt es bis heute keine Möglichkeit der AIDS-Beratung und -Therapie in den Nuba-Bergen.

Dann sind da noch UNO und WHO als die größten Organisationen in den Nuba-Bergen. Sie haben das meiste Geld und sind am besten ausgerüstet. Und sie verderben das Selbstwertgefühl der Sudanesen am nachhaltigsten, weil sie ihnen vorführen, wie man in der „zivilisierten Welt“ lebt. Zum einen gibt es die gut ausgebildeten, hoch bezahlten Mitarbeiter aus den westlichen Ländern, die Schlüsselpositionen besetzen und viele Ideen haben. Es sind oftmals Ideen, die das Planungsstadium nicht überleben.

Auf der anderen Seite gibt es die Mitarbeiter für das Grobe aus Drittwelt- oder Schwellenländern. Polizisten aus Ländern, die es selbst nicht immer so genau mit demokratischen Richtlinien nehmen, bilden sudanesische Polizisten aus. Genauso fragwürdig wie die Rolle der Ausbilder ist die der Auszubildenden. Denn nur Sudanesen, die über „Vitamin B“ verfügen, kommen in solch einen Ausbildungskursus. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob sie lesen oder schreiben können. Daher sehen die internationalen Ausbilder in ihrer Arbeit wenig Sinn und erwarten keine spürbaren Erfolge. Sie reden häufig abfällig über die Auszubildenden und lassen sie ihren Unmut spüren. Sie sind wegen des hohen Gehalts in den Sudan gekommen und machen ihren Job - mehr nicht.

Ähnlich ist es bei den 50 Blauhelmsoldaten in unserem Distrikt, die gelangweilt in einem Zeltcamp sitzen und auf ihre Ablösung in einem Jahr warten. Sie sollen Frieden sichern, haben aber keine klaren Vorstellungen, wie. Stromgeneratoren rattern rund um die Uhr, damit die Klimaaggregate und das Kabelfernsehen funktionieren. Ihr Hightech-Ambulanzauto steht auf einer Betonplattform. Es würde keine 200 m auf der Sandpiste überleben. Der ägyptische Kollege ist nicht in der Lage das englische Handbuch der Mini-Intensivstation zu lesen. Gerne wüsste ich, welche Tageskosten so eine Einheit verschlingt...

Die besser besoldeten Mitarbeiter der WHO schreiben viele Entwürfe zu unterschiedlichen Problemen und bieten Lösungsvorschläge an. Sie selbst müssen diese allerdings nicht umsetzen. So ist es kein Wunder, dass die Vorschläge manchmal nicht mehr wert sind als das Papier, auf dem sie stehen.
Wenn ich als Arzt praktische Hilfe anforderte, ging meine Bitte im Kompetenzwirrwarr der Organisation unter - und letztlich geschah nichts. So setzte ich schließlich nur noch wenig Hoffnung in Versprechungen dieser Leute.

Man verliert offensichtlich das Gespür für ein Land und seine Menschen, wenn man in klimatisierten Büros und Autos sitzt und im Hubschrauber das Land von oben betrachtet. Es handelt sich übrigens um einen Hubschrauber, der erst nach Rücksprache mit Washington einen Krankentransport durchführen durfte. In dieser Zeit erlag der Patient seinem Leiden.

Mit den privaten Organisationen geht es oft nicht viel besser. Eine amerikanische NGO z. B., die sich zur Aufgabe gesetzt hat Kinder zu retten, gibt ihren gesamten Etat für Gebäude-, Personal- und Unterhaltungskosten aus und bittet uns um Medikamentenspenden. Darüber hinaus werden Kinder und Schwangere, die zu sterben drohen, eilig zu uns verlegt, damit die eigenen Statistiken sauber bleiben. Wenn so eine Organisation nicht einmal Babynahrung für den Notfall bereitstellen kann - wie will sie da ihrem Namen gerecht werden?

Die Hilfe der katholischen Kirche wird größtenteils am Bau von Kirchen sichtbar. Da lässt man aus Kostengründen gerne mal einen begonnenen Krankenhausbau ruhen. Allerdings leisten sie mit dem Bau und Unterhalt von Schulen der Bildung im Sudan einen guten Dienst. Ob die Motivation dabei rein altruistisch ist, bleibt zu fragen. Immerhin lassen sich junge Menschen leicht prägen und manche ungläubige Seele kann bekehrt werden.

Zurück zur Frage „Wie ist Afrika zu helfen und wer soll helfen?“
Mit Geld ist dem Kontinent nicht zu helfen. Das ist auch die These des Kenianers James Shikwati , Leiter des Instituts „Inter Region Economic Network“ in Nairobi. Ergänzen möchte ich sie durch die Aussage eines italienischen Priesters, den ich in Kenia kennen lernte und der seit 30 Jahren in Afrika lebt: „Lasst die Afrikaner endlich allein. Behandelt sie wirtschaftlich fair. Entweder schaffen sie es, oder sie werden untergehen. Ich kenne jedoch die Afrikaner. Sie sind stark und werden sich durchsetzen. Sie müssen nur endlich erwachsen werden.“

Das ist auch mein Fazit, nach einer, wie ich zugebe, relativ kurzen Zeit von vier Monaten. Würde unser kleines Krankenhaus an die Sudanesen übergeben, müssten sich die Verantwortlichen selbst darum kümmern. Einige der einheimischen Mitarbeiter haben gute klinische Erfahrungen, die anderen müssten weiter ausgebildet werden. Darauf könnten die Sudanesen aufbauen. Wenn die politisch Verantwortlichen sich dann immer noch nicht bewegen würden, käme sicher Druck von unten, denn die Menschen haben durch uns eine gute medizinische Versorgung kennen gelernt. Sollte es gewünscht werden, könnten westliche Mediziner in beratender Form tätig werden. Aktive medizinische Hilfe aber sollte kein deutscher Arzt mehr leisten.

Afrikaner bauen mittlerweile gute medizinische Ausbildungsinstitute auf, deren Studiengebühren sich jedoch nur wenige Afrikaner leisten können. Die Ausbildungskosten der Studenten könnte das Ausland übernehmen. Diese Mediziner blieben nach dem Abschluss ihres Studiums in ihrem Land - anders als die afrikanischen Studenten mit einem vollfinanzierten Auslandsstudium, die häufig nicht mehr in ihre Heimat zurück kehren.

Die bisherige Praxis der Entwicklungshilfe erscheint mir vielfach als Selbsthilfe für uns Westler. Ein gut dotierter Job in einem fremden Land macht Eindruck. Da es auf Resultate nicht allzu sehr ankommt, entsteht nur selten Stress bei der Arbeit. Kann man sogar noch die Familie mitnehmen, umso besser.

So wird für die Versorgung der Helfer viel Geld aufgewendet. Ein weiterer großer Teil fließt in die Kanäle der Korruption und erst der Rest geht an die Bedürftigen. Viele Organisationen verfolgen primär ihre Eigeninteressen. Es geht um Jobs, um Rohstoffe, um politischen Einfluss und beim Einzelnen auch ein wenig um die Stärkung des Selbstwertgefühls. Mit unserem Geld und unserem Wissen sind wir die Mächtigen - wir wissen, wie die Welt zu regieren ist. Wenn dieses Abhängigkeitsverhältnis so bestehen bleibt, wird nie ein Austausch zwischen Gleichen stattfinden.

Deshalb spreche ich mich für einen Stopp der Entwicklungshilfe in der derzeitigen Form aus und für die Öffnung der westlichen Märkte für afrikanische Waren. Dazu gehört auch die faire Bezahlung der Rohstoffe aus Afrika und Investitionen in die wirtschaftlichen Infrastrukturen vor Ort, damit auch eine Veredelung der Rohstoffe im eigenen Land erfolgen kann.

Für den medizinischen Bereich wünschte ich mir mehr Unterstützung von Seiten der Pharmaindustrie. Es gibt schon seit vielen Jahren kaum neue Medikamente zur Bekämpfung der häufigsten Tropenerkrankungen. Während auf HIV/AIDS geblickt wird, vergisst man zum Beispiel, dass jährlich eine Millionen Menschen an Malaria sterben. Innovationen für medikamentöse Therapien kommen – wenn überhaupt - vielfach aus der Veterinärmedizin. Unsere an Profit orientierte Industrie sieht im armen Afrika noch keine geeigneten Absatzmärkte.

Klar ist für mich: Afrika muss geholfen werden. Das geht aber nur, wenn wir die Menschen als Partner ernst nehmen und ihnen auf gleicher Stufe begegnen. Dabei müssen wir es ertragen, dass die Entwicklung des Kontinents und seiner Menschen Zeit braucht und nicht immer nach unseren Wünschen verläuft. Wir müssen den kulturellen Unterschieden, den klimatischen Problemen und sogar Katastrophen Tribut zollen. Gezielte Hilfe ist weiterhin notwendig und sinnvoll. Sie sollte jedoch nur in Form von Ausbildung geleistet werden, nicht länger durch aktive Mitarbeit von außen. Demokratische Strukturen lassen sich nur mit gebildeten Menschen aufbauen und pflegen. Mit Menschen, die dann vielleicht einen eigenen afrikanischen Weg finden, der anders sein darf als der Weg, den wir gegangen sind.

Sonntag, 6. Mai 2007

Abschied












Liebe Freunde,

jetzt sitze ich wohl an meinem letzten Sonntag in den Nuba Bergen vor dem PC und versuche meinen Abschied zu formulieren, was ich sehr schwer finde, denn es wird Zeit brauchen, all die Eindrücke zu verarbeiten.

Am Dienstag kommt der Geschäftsführer von Cap-Anamur mit meinem Nachfolger und einem zweiten Techniker, einige Tage später werde ich meinen Heimweg antreten. Das große Problem ist immer, einen Flug nach Kenia zu bekommen. So weiß ich nicht ganz genau, wann es losgehen wird.

Ich freue mich auf mein Zuhause, vor allem auf Renate, die mir doch sehr fehlt. Das ist zumin-
dest eine der Erkenntnisse: dass ich nicht mehr so lange in irgendwelche Projekte oder Arbeit gehen will.

Es ist auch klar geworden, dass ich mir in Zukunft Einsatzorte und eventuelle Organi-
sationen viel genauer ansehe, bevor ich eine Zusage gebe. Diese Erkenntnis hatte ich schon früher, habe sie aber durch meine eigene innere Unruhe verdrängt. Alle Organisationen, für die ich tätig war, haben sicher etwas Gutes im Sinn und sind motiviert in der Umsetzung ihrer Zielvorgaben. Sie helfen vielen Bedürftigen. Die Nachhaltigkeit und die Anleitung zur Selbsthilfe der Betroffenen tritt aber vielfach in den Hintergrund. So werden die ursprünglichen Ideen immer weniger bedacht, und manche Projekte laufen schließlich irgendwie um ihrer selbst willen. Konzepte verliert man aus den Augen, oder es gibt keine mehr. Auch das hat mir mein Einsatz mit Cap-Anamur gezeigt.

Erst wenn ich mir wieder sicher bin, was meine Ziele und mein Konzept für eine Arbeit in der Dritten Welt oder sonst wo sind, werde ich erneut aufbrechen. Ich habe eine Menge Ideen im Kopf, die ich mit Renate und guten Freunden besprechen möchte. Ich bin mir sicher, dass etwas Vernünftiges und Tragfähiges dabei heraus kommen wird. Es kann aber nicht sein, dass Organisationen oder Privatpersonen Aufgaben für einen Staat übernehmen, mit dem man sich noch nicht einmal identifizieren kann und dass die Repräsentanten solch eines Staates sich die Erfolge fremder Arbeit von ihrem Volk honorieren lassen. Wirkliche Veränderungen treten nur dann ein, wenn sie gewollt werden oder die Verantwortlichen sich dem Druck der Wähler oder Menschen beugen müssen. Mit so einer Arbeit, wie ich sie im Moment leiste, handle ich diesem Prozess zuwider, ich stütze ein falsches System.

Es wird dann natürlich immer wieder das Argument der Humanität und das Sich- Sorgen um die Menschen in die Waagschale geworfen. Aber machen wir uns doch nichts vor: die Welt geht auch ohne humanitäre Hilfe nicht unter. Sie wird nicht schön sein, solche Phasen dauern aber nicht unendlich, und die Welt erneuert sich auch von allein. Es ist immer wieder unser Ego, das uns vorgaukelt, nur wir könnten etwas verändern, nur wir könnten die Menschen retten. Wir können zwar Hilfe anbieten, wir können Liebe und Mitgefühl geben, den Rest muss aber jedes Individuum leisten, muss selbst entscheiden können, wie es leben will. So sehe ich immer mehr auf das Wohl der Kinder. Sie sind abhängig und können vielfach nicht selbst entscheiden. Ihnen muss man Entscheidungen abnehmen, ihnen muss man eine Chance geben gesund aufzuwachsen und Bildung zu erlangen. Das sind dann Startvoraussetzungen zu einem selbstbestimmten Leben. Vielleicht werden sich in diesem Bereich meine Energien und Bemühungen konzentrieren.

Des weiteren finde ich die Unterstützung von einzelnen Personen über einen kurzen Zeitraum sinnvoll. So habe ich hier in Lwere einen jungen Mann kennen und schätzen gelernt, der als eingearbeiteter Pfleger sehr selbstständig arbeitet und eine große Stütze des Projekts ist. Er hatte eine Ausbildung zum Clinical Officer angefangen, die er aus finanziellen Gründen jedoch abbrechen musste. Rotarier aus Hamburg haben sich nun bereit erklärt, die restlichen zwei Jahre zu finanzieren. Ich konnte ihm bei der Vermittlung des Stipendiums helfen, im Wissen, dass er heimatverbunden ist und nach Nuba zurückkehren wird. Er träumt davon beim Aufbau seines Landes sinnvoll zu helfen. Solche Menschen gilt es zu unterstützen. Große Aktionen und Projekte helfen häufig mehr dem Ego der Ausführenden, wenig bleibt für die Betroffenen.

Fazit: Ich komme ernüchtert, acht Kilo leichter, aber nicht unzufrieden heim. Ich habe eine Menge gelernt, über mich, was die Medizin betrifft, über Regierungen und Regierungs-
organisationen, NGO`s und die damit ver-
bundenen Strukturen. Da ich vielfach im Mangel leben musste, kann ich sicher viele der alltäg-
lichen Dinge zu Hause mehr wertschätzen, über die ich sonst nicht nachdenke, so zum Beispiel sauberes und ausreichend vorhandenes Wasser, gesunde Ernährung, funktionierende Kommuni-
kationsmöglichkeiten, sichere hygienische Verhältnisse und vor allem Freunde, die mir ganz wichtig sind. Ich freue mich darauf, Euch wieder zu sehen. Ich werde langsam ankommen und mich dann melden.

Euch allen noch eine schöne Zeit,

Euer Klaus

Montag, 30. April 2007

Veränderung der Lebensumstände in den Nuba Bergen


Erstmals wurden die Menschen in den Nuba Bergen durch Leni Riefenstahl bekannt, die in den 60er Jahren zwei hervorragende Bildbände erstellte. Über Google kann man auf die Homepage der verstorbenen Fotografin kommen und sich einen Eindruck vom romantischen Afrika der damaligen Zeit verschaffen.
Der Gründer von Cap-Anamur, Rupert Neudeck, schaffte es dann 1999 die Politiker Heiner Geißler und Norbert Blüm zu einem aben-
teuerlichen Fußmarsch in die Berge zu bewegen. Mit dieser Werbeaktion sollte auf die Problematik des Konflikts im Südsudan aufmerksam gemacht werden, was auch halbwegs gelang. In einem weniger geglückten Buch wurde die Romantik in den Nuba Bergen beschrieben und auch die freundlichen Menschen, die nur für Seife und Lebensmittel Lasten für das Krankenhaus herbeischafften.
Dann wurde der Bürgerkrieg heftiger und bis an das damalige Krankenhaus in Kauda herangetragen, es wurde sogar bombardiert.
Aus diesem Grunde wählte man die Berge um den Ort Lwere aus, wo Cap-Anamur seit dieser Zeit das einfache medizinische Zentrum betreibt, das schon lange die Funktion eines Bezirkskrankenhauses erfüllt.

Seit 2004 gibt es, nach 22 Jahren Krieg, einen tragfähigen Waffenstillstand zwischen der südsudanesischen Rebellenarmee (SPLA) und der Zentralregierung in Khartoum. 2011 soll in einem Referendum entschieden werden, ob sich das Land teilt oder der Sudan das flächenmäßig größte Land Afrikas bleibt. Einzig und allein finanzielle Erwägungen, hervor gerufen durch große Erdölfunde im Südsudan, haben die Parteien an den Verhandlungstisch gebracht und lassen den jetzigen Waffenstillstand zu. Nun haben die Kriegsparteien Zeit, das Öl zu fördern, Geld zu verdienen und wieder aufzurüsten. Erst nach 2011 wird sich zeigen, was dieser vorübergehende Frieden für eine Bedeutung hat. Das verbrecherische Regime in Khartoum kann inzwischen seinen Vernich-
tungsfeldzug in Dafour weiterführen, eben auch mit den neuen Geldmitteln.

Die Menschen in den Nuba Bergen versuchten zunächst einmal ihr Leben so weiter zu führen, wie sie es seit Jahrhunderten kannten, was aber immer schwerer wird. Die Armee hat zum ersten Mal Geld und zahlt einen regulären Sold. Plötzlich wollen alle jungen Männer Soldaten werden. Daher schickt man die Soldatinnen heim, große Umstrukturierungen finden statt. Das hereinkommende Geld verteuert zwangs-
läufig das Leben. Die kapitalistische Markt-
wirtschaft funktioniert perfekt. Da die Männer wieder regelmäßig zu Hause sind, steigt schnell die Bevölkerungszahl. Durch das Missverhältnis Männer zu Frauen (weniger Männer) und den muslimischen Glauben ist Polygamie zwangsläufig. Kinder dominieren das Bild in den Dörfern und machen die größte Zahl unserer Patienten aus.

Geld weckt Begehrlichkeiten, die Kriminalität steigt. Auch bei uns im Krankenhaus wird gestohlen, so z. B. ganze Betten mit Matratzen, OP Schuhe - ich operiere jetzt in Badelatschen - auch unsere Spendendosen werden von Patienten geplündert. Der Alkoholismus ist ein zunehmendes Problem, und damit verbunden steigen auch die Gewaltdelikte. Gestern musste ich einen jungen Mann nach einer Messer-
stecherei in ein anderes Krankenhaus verlegen. Die OP zum Stoppen der Blutung habe ich mir nicht zugetraut. Ob der Patient den Transport überlebt hat, weiß ich nicht. Mit dem Geld kommt die Prostitution, die Geschlechtskrank-
heiten und dann HIV/AIDS.

Durch die Verteuerung des Lebens müssen auch die Gehälter unseres Personals angehoben werden, was das Erfordernis zusätzlicher Geldmittel aus Deutschland bedeutet. Für Seife und Lebensmittel arbeitet heute niemand mehr. Noch haben wir genügend Personal, doch Cap-Anamur zahlt auf unterstem Niveau im Vergleich zu anderen NGOs. Gäbe es andere Alternativen für die Angestellten, würden sie diese sicher nutzen.

Am meisten Sorgen macht mir aber die Umwelt. Durch den Krieg wurde schon viel zerstört. Jetzt kommen immer mehr Flüchtlinge zurück in ihre Dörfer. Sie haben ein anderes Leben kennen gelernt, andere Menschen und Kulturen. Sie wollen nicht mehr in Lehmhütten wohnen. Sie roden die wenigen Bäume, um damit Öfen zur Ziegelgewinnung zu befeuern. So werden auch bald die tollen Affenbrotbäume diesem Vor-
gehen zum Opfer fallen. Sie erinnern mich, auch jetzt in der Trockenzeit, an die Urkraft, die dieser Kontinent einmal gehabt haben muss. Ich liebe Bäume und diese ganz besonders. Leider sehe ich sie nicht mehr im Grün, denn meine Abreise steht bald bevor. Ich hoffe aber, dass die Menschen selbst ein Einsehen haben oder vielleicht ihre Miniwerkzeuge den Bäumen nichts anhaben können. Irgendwann, vielleicht sogar bald, werden aber die Kettensägen anrücken, die alles klein bekommen.

So ist die Zeit der Romantik in den Nuba Bergen Vergangenheit. Ich hoffe, dass nicht nur mir diese Erkenntnis gedämmert ist, sondern auch den Verantwortlichen in den Organisationen und Regierungen. Die Menschen brauchen Hilfe, die angemessen ist. Wie man "angemessen" definiert, darüber kann man allerdings lange diskutieren.

Euch allen eine schöne Woche

Euer Klaus

Sonntag, 22. April 2007

Entwicklungsarbeit, Teil zwei












Gestern bekam ich eine sudanesische Zeitung mit dem klangvollen Namen Sudan Vision vom 17.April 2007 geschenkt. Darin fand ich den fotografierten Artikel, der mich sehr nachdenklich und später ärgerlich gemacht hat. Jetzt verstehe ich auch die Hektik, mit der offizielle Gesundheitsbeauftragte in unserer Region das Problem HIV/AIDS behandelt wissen wollen: es gibt 28,5 Millionen US Dollar vom Global Fund, von dem jeder etwas abbekommen will.

Vor etwa zwei Monaten wurde ich zu einem Meeting über das Thema HIV/AIDS vom Secretary of Health eingeladen. Es gab wenig Informatives, keine Daten oder nähere Auskünfte zu diesem Thema. Sie wollten aber unbedingt etwas initiieren, zumindest in die Aufklärung und Diagnostik einsteigen und baten mal wieder um Hilfe. Sie hatten keinerlei Konzept, und es sollte darauf hinauslaufen, dass die ausländischen Organisationen ihnen diese Arbeit abnehmen. Cap-Anamur ist die einzige medizinische Hilfsorganisation in der Region, mit anderen Worten: ich sollte es tun. Wenn ich damit begonnen hätte, wäre für jede weitere Tätigkeit keine Zeit mehr gewesen, außerdem finde ich andere Probleme weitaus wichtiger. So habe ich klar und deutlich gesagt, dass wir nicht helfen werden. Das hat von den Offiziellen niemand verstehen wollen.

Eine Woche später kam eine Delegation aus der Kreisstadt mit einer Wagenladung von Papier, Postern, Kondomen, HIV-Tests und vielen Formularen, damit unser Krankenhaus als HIV Anlaufstation beginnen sollte. Wir verstanden uns zunächst nicht, da ich nicht wusste, was sie von mir wollten, und sie verstanden nicht, dass ich so ablehnend war. Das Secretary of Health hatte ihnen geschrieben, dass es bei uns losgehen kann. So wurden sie echt böse mit mir, als ich sie mit all ihrem Kram wieder fortschickte und auch eine Unterschrift unter ein Formular in arabischer Sprache verweigerte.

Rückblickend wird mir jetzt Vieles klar. Sie wollten dem Global Fund nachweisen, dass sie aktiv sind, Zentren eingerichtet haben usw., damit sie dann dafür Geld bekommen. Dabei scheint es unerheblich zu sein, wie effektiv so ein Zentrum ist. Wenn man die Betreuung von HIV Kranken ernst nimmt, dann ist das ein enormer Aufwand, und es braucht eine Menge geschultes Personal. Das wollte man mal kurz am Wochenende ausbilden, wir sollten das Personal zahlen und die Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Durch viel Geld werden so immer wieder Begehrlichkeiten erzeugt, es wird irgendwie versucht, von dem Kuchen etwas abzube-
kommen. Statistiken werden gefälscht, alles wird immer positiv dargestellt. Die Geldgeber sind weit entfernt von jeglicher Kontrollmög-
lichkeit. So wird meiner Meinung nach sehr viel Geld von diesen 28,5 Millionen US Dollar in Ineffektivität und private Taschen fließen, so wie bei uns Medikamente aus der Apotheke verschwinden, weil nicht einmal ich in dieser kleinen Einheit genügend kontrollieren kann.

Das World Food Programm versorgt viele Menschen im Südsudan mit Grundnahrungs-
mitteln. Auch wir bekommen für unsere stationären Patienten diese Nahrung. Es wird genau vorgeschrieben, wie viel wir abgeben dürfen. Die Menge der verteilten Lebensmittel variiert je nach Patientenzahl. So haben wir im Moment genug Vorrat in unserem Lager. Gestern bekamen wir die Aufforderung, die nächste Lieferung abzuholen. Auf die Antwort, dass wir noch genug haben, antwortete man, das sei egal, wir sollten es jetzt holen, sonst gäbe es nichts mehr. Ihnen ist es egal, ob jetzt die Ratten sich den Bauch voll fressen, Hauptsache, die Statistik stimmt. Da sitzen die Jungs hinter ihrem Schreibtisch und unser Techniker muss die Säcke allein schleppen. Auch ein Beispiel dafür, wie wir Internationalen uns um alles kümmern. Wir sind diejenigen, die die praktische Arbeit machen und sich um ihre Leute bemühen, während sie in Ruhe zuschauen.

Es gibt im Sudan noch enorm viel zu tun. HIV/AIDS ist nur ein Problem, es gibt keine Infrastruktur, das Leben ist enorm schwer, nur: wir tun diesen Menschen keinen Gefallen damit, dass wir ihnen immer wieder Geld geben und auch bildlich gesprochen „die Säcke schleppen“. Solange fremde Menschen und vor allem weiße Menschen ihnen die Arbeit abnehmen, werden sie nie selbstständig. Jeder, der Kinder erzogen hat, weiß wovon ich rede. Wir internationalen Helfer behandeln die Afrikaner immer noch wie Kinder, denen wir eine Selbstständigkeit absprechen und sie benehmen sich auch entsprechend.
Das Hotel Mama verlassen in Deutschland viele der Kinder nicht mehr freiwillig, sie brauchen einen sanften Tritt. Dieser Tritt fehlt auch diesen Ländern und im Speziellen dem Südsudan. So erinnere ich mich immer wieder an meine erste Begegnung mit dem italienischen Pater und an das Verhalten von Renate mit ihren Kindern. Die Kinder in die eigene Verantwortung zu entlassen ist sicher nicht einfach, aber zwingend notwendig. Wichtig ist eine liebevolle Begleitung, da sein, wenn man gebraucht wird, es ertragen können, wenn mal etwas nicht so läuft, wie man es selbst machen würde, Fehler zulassen, die Kinder eigene Erfahrungen machen lassen und auf Gott vertrauen.

Wie ihr aus der Entwicklung meiner Berichte und meiner eigenen Person erkennen könnt, ändert sich meine Einstellung zu meiner Arbeit ein wenig. Es ist nur gut, dass auch ich mich in diesem Kontext kritischer sehe. Ich bringe eine Menge Diskussionsstoff mit nach Hause und würde mich freuen, wenn ich von Euch dazu auch Meinungen erfahren könnte.

So wie es aussieht, bin ich Mitte Mai wieder in Bremen. Ich habe das Büro in Köln um eine vorzeitige Ablösung gebeten.

Auf bald, Euer
Klaus

Donnerstag, 19. April 2007

Sinn und Unsinn von Entwicklungsarbeit












Jetzt bin ich seit drei Monaten in den Nuba Bergen für Cap-Anamur tätig und versuche seit zehn Jahren im Entwicklungsdienst meine Berufung zu finden. Abgeschirmt von allen westlichen Einflüssen, lebend unter extremen Bedingungen, keine Vergnügungen, kein Alkohol, Essen nur zur Nahrungsaufnahme, keinerlei Ablenkungen, dafür aber Zeit zum Spüren, Fühlen, Nachdenken, um vielleicht so langsam zu einigen Erkenntnissen zu kommen, die für meine Zukunft entscheidend sein könnten. Davon versuche ich heute etwas zu Papier zu bringen.

Bitte versteht meine Ausführungen als eine Momentaufnahme, die sich eventuell zu Hause, nach einiger Erholung von den Strapazen hier, wieder verändern und deutlich versöhnlicher ausfallen kann. Aber im Augenblick geben die nachfolgenden Sätze meinen Standpunkt so wieder, wie ich es erlebe.

Kurz gesagt, ob ich hier bin oder in China ein Sack Reis umfällt, wem nützt das? Ist diese Arbeit wirklich so entscheidend wichtig? Um diese Frage kreisen meine Gedanken schon seit einigen Wochen. Und damit meine ich nicht speziell dieses Projekt von Cap-Anamur, sondern die Entwicklungsarbeit in Organisa-
tionen im Allgemeinen. Vielleicht verdeutlicht sich meine Kritik und das damit verbundene Unwohlsein hier genauer. Ich erlebe hautnah, wie sich immer alles wiederholt, wie wenig nachhaltig die Arbeit hier ist und wie wenig des hohen finanziellen und persönlichen Aufwandes hängen bleibt. Es kommt mir wie ein großes Spiel vor, jeder nimmt sich und seine Person wichtiger als die Menschen, um die es sich eigentlich drehen sollte. Ich will mich da nicht ausschließen.

Die großen Organisationen brauchen die armen Menschen und Krisen, um sich eine eigene Rechtfertigung zu geben, um die Kosten belegen zu können, die ihr Apparat verursacht. Extrem sind die gesamten UN Unterorganisationen, mit denen ich täglich zu tun habe. Ich höre da manchmal nicht mehr hin, da ich mir nicht merken kann, was ihre Abkürzungen bedeuten, und was sie überhaupt wollen. Sie fahren in ihren klimatisierten Geländewagen herum, haben einen enormen Personalaufwand und kommen nie weiter als über ihre Planungsphase hinaus. Aktive Arbeiter habe ich bislang noch nicht kennen gelernt. Dann gibt es hier UN Polizisten, die nach der Friedensphase sudanesische Polizisten ausbilden sollen. Die wenigsten der sudanesischen Polizisten können lesen oder schreiben, allenfalls Arabisch. Englisch versteht niemand. Uniformen gibt es nicht, Ausweise fehlen ebenfalls. Solche Leute bekommen dann Computerunterricht. Die Ausbilder kommen aus Staaten, die es mit den Bürgerrechten nicht so richtig ernst nehmen, wie zum Beispiel aus der Türkei, Ruanda, Sri Lanka, Indien. Alles Staaten, die ihre Leute teuer an die UN verkaufen. Die ausländischen Polizisten ihrerseits kommen des Geldes wegen und sagen einem klar heraus, „die lernen es nie“.

Dann gibt es die Frommen, die aber viel prak-
tischer sind. Sie bilden ihre Leute wenigstens aus und versuchen ihnen damit eine bessere Beschäftigungsmöglichkeit zu verschaffen. Sie haben ziemlich viel Geld und gehen damit pragmatisch um. Sie machen keine Medizin, sondern kümmern sich darum, dass die Menschen gesund bleiben. Da gibt es Nachhaltigkeit, wenn, ja, wenn die Menschen es überhaupt wollen...

Manchmal denke ich, dass es immer noch wir Weiße sind, die den Menschen unsere Wert-
vorstellungen als die richtigen verkaufen wollen. Wir können das Leid ihres Lebens nicht ertragen und wollen ihnen helfen, damit wir uns besser fühlen können.
Leiden die Menschen in Lwere eigentlich wirklich? Wenn es Wasser gibt, ist das gut, gibt es keines, trinke und wasche ich mich halt nicht. Wir sagen: wie fürchterlich! und fangen an zu organisieren. Dann heißt es: oh, da gibt es ja Wasser! und sie stehen bei uns Schlange. Gibt es uns nicht, auch gut.

In diesem Kontext sehe ich mittlerweile unser Krankenhaus und meine Arbeit. Wenn ein Arzt da ist, dann geht man dort hin und lässt sich untersuchen. Es könnte ja was umsonst geben. Er ist kein Chirurg? Nun gut, dann wartet man eben, bis einer kommt. Das Krankenhaus kann nicht helfen? Dann geht man halt wieder, der Kranke kann besser zu Hause sterben.

Sicher konnte ich einzelnen Menschen helfen und vielleicht auch das eine oder andere Leben retten, was aus Sicht der Nächstenliebe schon genug ist und mein Hiersein rechtfertigt, nur: mir reicht das nicht mehr. Ich weiß, dass die Menschen hier leben und sterben, und es ist völlig unerheblich , ob es mich gibt oder irgend jemand anderen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich wirklich willkommen bin. Letztlich wundert es mich auch nicht, da ich mich selbst angeboten habe und sie wissen, dass die Deutschen kom-
men und gehen. Wenn mal keine mehr kommen, geht das Leben auch weiter. Ich glaube, dass da der entscheidende Punkt zu suchen ist. Den Menschen ist es völlig egal, aus welchen Motiven man hier ist, die Hauptsache ist die, dass sie etwas abbekommen. Davon versuchen sie soviel abzugreifen, wie sie nur bekommen können. Auf staatlicher Ebene in extremem Maße, die Korruption - auf niedriger Ebene mit verdeckten Geschenken oder Betrug und Diebstahl - wird nicht einmal verdeckt. Wir Helfer kommen mit hehren Vorstellungen hierher, in diese Welt, die keiner von uns versteht. Und da ist es unerheb-
lich, ob ich in Afrika oder Asien bin. Es geht mit der Sprache los, nicht bestehendem Kultur-
verständnis und einer Unkenntnis der Macht-
strukturen in den Gastländern.

Dazu kommt, dass man häufig auch nicht die Führungsstrukturen in den Organisationen kennt, für die man arbeitet, was man sich dann aber selbst zurechnen muss. Es treten Konflikte auf, die einem die Arbeit zusätzlich erschweren können. Wenige Organisationen werden wirklich professionell geführt, was für eine gute Arbeit und Nachhaltigkeit der Arbeit wichtig wäre. Ich spreche da von Organisationen, die eine gewisse Größe angenommen haben. Sie versuchen dann, den Laden irgendwie am Laufen zu halten. Da ist es letztendlich auch egal, wer im Moment unterwegs ist.
Ich glaube, dass ich für keine Organisation mehr zu haben sein werde. Welche Konsequenz das letztendlich haben wird, kann ich im Moment nicht sagen. Es bedarf weiterer Überlegungen, Gespräche mit Renate, die mir jetzt besonders fehlt.

Meine wichtigste Einsicht ist die, dass man gebeten werden sollte und dass man sich und den anderen die nötige Zeit und Ruhe lässt, um dann etwas Nachhaltiges ins Leben zu rufen. Da denke ich nicht unbedingt an ein medizinisches Projekt. Im Vordergrund sollte eine prophylak-
tische Arbeit stehen: Bildung, die Emanzipation der Armen und im Speziellen die Emanzipation der Frauen in den Dritt-Welt-Ländern. Kleine, individuelle Projekte, die von Betroffenen selbst geführt werden, könnten für mich eine Lösung sein. Wir weißen, reichen, ach so klugen Menschen sollten uns weitestgehend aus der Gleichung heraus nehmen. Sind unsere Motive immer so lauter, wie wir es von uns denken? Wollen wir nicht auch mehr bekommen als wir bereit sind zu geben?

Euch einen schönen Frühling,
ein nachdenklicher Klaus

Sonntag, 15. April 2007

Local treatment













Ich hatte gerade ein sehr langes Gespräch mit UN- und zwei sudanesischen Polizisten. Der Grund sind unverhältnismäßig viele Todesfälle von Kindern und einigen Erwachsenen, die von traditionellen Heilern irgendwelche Wurzelsäfte zu trinken bekommen, an denen sie nach etwa drei Tagen schwer erkranken und nicht therapierbar versterben. Es ist nicht heraus-
zubekommen, wo die Medizin verabreicht wird und wer es tut. Die Eltern verneinen zuerst immer die Frage nach „local treatment“, erst wenn man heftiger wird, bekommt man verlässlichere Auskünfte.

So habe ich in den letzten drei Monaten sechs sterbende Kinder gebracht bekommen.
Symptome: hohes Fieber, das auch kaum auf Paracetamol reagiert, eingeschränkte Atmung, die wie eine schwere Pneumonie imponiert, dann zerebrales Koma, in dem die Kinder dann auch versterben. Wenn es länger dauert, ist ein Nierenversagen die Todesursache.
Alles, was ich versucht habe, blieb stets erfolglos, ich habe keinen Patienten retten können. Es ist sicher ein Dosis/Wirkungs-
problem, da in dieser Schwere fast nur Kinder betroffen sind und mir auch nicht klar ist, wie viele Kinder nach so einer Behandlung zu Hause sterben.

Mit unterschiedlichen Erkrankungen suchen die Menschen traditionelle Heiler auf. Ich weiß nichts über die Ausbildung oder Qualifikation dieser Medizin praktizierenden Nubier. Sie arbeiten sehr im Verborgenen und werden nie mit Namen genannt, sie wollen keine Kontakte zu Ärzten. Ich sehe nur die Auswirkungen ihrer Medizin, dann, wenn die Kranken zu uns kommen oder gebracht werden.

Die traditionelle Medizin ist eher eine brachiale und hat wenig mit dem zu tun, was ich von der Arbeit von Schamanen in Asien gesehen habe. Außerdem lassen sie sich ordentlich bezahlen, was die Familien der Kranken mitunter sehr belastet.

Gegen Durchfall entfernt man zum Beispiel die Eckzähne, gegen Gelbsucht (am ehesten Hepatits A oder E, eine selbst limitierende Virusinfektion) brennen sie über der Leber oder verletzen die Haut in anderer Weise. So findet man fast bei jedem Patienten irgendwelche Narben im rechten Abdominalbereich. Wo immer es weh getan hat, findet man solche Narben.

Ich bin sicher kein Gegner einer traditionellen Medizin, sondern fand es immer spannend mich mit diesen Heilern zu unterhalten und auch von ihnen zu lernen. Ich halte diese Form der über-
lieferten Medizin jedoch für so tödlich und verstümmelnd, dass ich mich entschlossen habe, offizielle Wege zu gehen, damit das Problem bekannt wird und die Menschen wissen, was sie sich und ihren Kindern antun, denn es scheint niemand daran gelegen zu sein, diesen Men-
schen das Handwerk zu legen oder zumindest mit ihnen zu reden. Die örtlichen Gesundheits-
verantwortlichen kümmern sich nicht um das Problem, sie sind eher an Statistiken interessiert, mit denen sie in den Ministerien dann angeben können, mit Leistungen, an denen sie nie mitgewirkt haben. (Werde ich nach solchen Daten gefragt, wende ich den suda-
nesischen Weg der Verweigerung an, indem ich ihnen sage: „Sorry, our printer is not working, but you can have a CD“ in der Kenntnis, dass sie keinen Rechner besitzen. Das ist aber ein anderes Thema.)

Das Bild zeigt Euch die Kinder, die primär gefährdet sind. Sie leben in Dörfern, die weit von uns entfernt liegen. Die Eltern gehen dann zu diesen Heilern in Ermangelung anderer Alternativen, es ist aber in vielen Fällen eine tödliche oder sehr schmerzhafte Alternative.

Ich grüße alle und hoffe, dass der Frühling Euch mehr Licht und Wärme bringt. Hier habe ich genug davon und sehne, wie alle Menschen um mich herum, die Regenzeit herbei. Alle Brunnen um uns herum sind trocken, und wir holen unser Wasser täglich aus einem Ort, vierzig Minuten mit dem Auto entfernt. Unsere Nachbarn müssen das zu Fuß erledigen.

Noch ein Nachtrag: gestern musste ich den 10. Kaiserschnitt durchführen, als Krönung gab es eine Sterilisation dazu, die für mich wiederum die erste war.

Bis zum nächsten Mal
Euer Klaus

Sonntag, 25. März 2007

Malaria












Klingt doch ganz melodisch, oder? Liebe Freunde, heute muss ich Euch von dieser schlimmen Krankheit berichten, da sie mich in den Nuba Bergen täglich beschäftigt und ich Menschen daran sterben sehe, ziemlich akut oder auch langsam im Rahmen von Blutarmut, Organveränderungen, Nierenversagen.

So wie den kleinen Jungen auf dem Bild bringen die Menschen die Erkrankten in unsere Ambulanz. Tief komatös, hoch fiebernd, ausgetrocknet und fast tot. Der kleine Junge hat es überlebt, was aber nicht unbedingt die Regel ist.

In den Statistiken der WHO aus dem Jahr 2004 ist zu lesen, dass jährlich 350 bis 500 Millionen Menschen an Malaria erkranken, es sterben daran jährlich etwa 1,5 bis 2 Millionen. Allein in Sub-Saharian-Afrika, wozu auch der Sudan gehört, sind das ca. 900.000 Kinder. Etwa 20% der kindlichen Todesfälle sind auf Malaria zurück zu führen. 40% bis 50% der Patienten, die stationär aufgenommen werden, sind an Malaria erkrankt. Soweit die nackten Zahlen.

Die Erkrankung ist in dieser Gegend endemisch, was bedeutet, dass es sie zu jeder Zeit gibt. Die Plasmodien (Erreger) leben im Körper der infizierten Menschen. Der Mensch ist der einzige Wirtsorganismus, den die Plasmodien zum Weiterbestehen benötigen. Die Anopheles-
Mücke ist der Überträger und wichtig für die Entwicklung der Parasiten. Sie brauchen die Symbiose Mensch und Mücke, um zu überleben. Dieses ist eine ganz einfache Erklärung, aber ausreichend, um zu verstehen, dass man unter den Bedingungen in Afrika immer nur die Symptome behandeln kann und das mitunter auch nicht, da die erforderlichen finanziellen Mittel fehlen. Daher hat sich der Global Fund, welcher unter anderem von Bill Gates gegründet und finanziert wird, sich dieses Problems angenommen. Er finanziert einen Teil der Forschung, stellt Mittel zur Therapie bereit und tut Einiges für die Prophylaxe. Diese beinhaltet die Bekämpfung der Brutstätten der Mücken und die Bereitstellung von imprägnierten Bettnetzen.

Ziel ist es, Kinder unter fünf Jahren und schwangere Frauen zu schützen. Im späteren Leben entwickeln die Menschen eine Teilimmunität, die sie vor den gefürchteten Komplikationen schützt. In unserem Projekt bin ich in der glücklichen Lage, über alle guten Medikamente zur Behandlung zu verfügen, und es gibt ausreichend Flüssigkeit in Form von Infusionen. Leider kommen die Menschen fast immer zu spät, und für solche Fälle fehlt dann doch die Intensivstation.
So haben wir durch cerebrale Malaria schon einige Kinder und Frauen verloren, die man hätte beatmen müssen. Schwangere haben ihre Kinder in einer Abortblutung verloren. Das ist noch die „einfachere Variante“. Wenn die Mutter verstirbt, ist das ein Drama für die ganze Familie, da es einen Stall voll Kinder gibt, die die Mutter und damit ihre nächste Bezugsperson verloren haben. Im Moment behandele ich einen kleinen Jungen nach einem akuten Nieren-
versagen, aus dem ich ihm heraushelfen konnte. Er hatte das Glück, auf den wahrscheinlich einzigen Nephrologen im Sudan zu treffen.

Die Menschen kennen diese Erkrankung seit Menschengedenken und akzeptieren
sie, wie so Vieles hier, was ich niemals könnte. Sie wollen nicht unter Moskitonetzen schlafen, da es ihnen zu heiß darunter ist. Ich kann das verstehen und schwitze auch des Nachts vor mich hin. Man muss sich halt dazu zwingen, was eine Mentalitätsfrage ist. Für das Sprühen der Hütten ist kein Geld vorhanden, der Staat kümmert sich nicht. Auch für die Bereitstellung der Medikamente gibt der Staat kein Geld aus. Das staatliche Gesundheitssystem hält an einer Therapie fest, die schon lange nicht mehr
wirksam ist. Das Gesundheitsministerium ist noch nicht einmal in der Lage, ein Auto bereit zu stellen, um Medikamente, die Cap-Anamur für die kommende Regenzeit zur Verfügung stellen will, bei uns abzuholen, um sie an die staatlichen Health posts zu verteilen. Das sollen wir auch noch für sie machen. So kommen die Menschen von weit her zu uns oder auch nicht. Man muss sich mal vorstellen, mit hohem Fieber bei 40°C Hitze 2 bis 6 Stunden zu laufen!
Ich wundere mich immer wieder, wie das geht.

Ich selbst habe zwar auch etwas Angst zu erkranken, schütze mich aber durch ein Antibiotikum, welches ich nun sechs Monate lang schlucke, schwitze unter dem Moskitonetz und sprühe mich abends ein. Ist sicher nicht alles so gesund, aber einer Malaria vorzuziehen. Bislang ist ja noch alles gut gegangen, die Regenzeit steht vor der Tür.

Nun noch der Bezug zur Heimat. Experten gehen davon aus, dass die Malaria auch in Europa wieder Einzug halten wird, wenn es mit der globalen Erwärmung so weiter geht. In Südeuropa soll es schon einige Erkrankungsfälle gegeben haben. Die letzte Erkrankung hatten die Engländer 1936 in Südwales diagnostiziert.

In den nächsten zwei Wochen wird es wohl keine neuen Blogs geben, da meine Liebste mit Freundinnen in die Sonne fliegt. Sie zeichnet verantwortlich für die Grammatik, das Layout und die Veröffentlichung. Ich hoffe, dass sie sich gut erholt und von Mücken verschont bleibt. Das römische Imperium hatte unter den Soldaten dort unten auch ein Malariaproblem. Von schwarzem Urin wurde zumindest berichtet.

Ich hoffe, dass es allen weiterhin gut geht,

Euer Klaus

Sonntag, 18. März 2007

Ach, Afrika – Die Promiskuität und ihre Folgen


Liebe Freunde,

heute ein ganz heißes Thema aus diesem heißen Kontinent. Ich denke da nicht einmal an die altbekannte Problematik HIV/AIDS. Dazu vielleicht später
mal mehr.
Bestimmt zweimal die Woche sehe ich Kinder, wie auf dem beigefügten Bild zu sehen. Gerade mal geboren und schon eine Geschlechtskrankheit, in diesem Fall eine Syphilis. Es ist immer schlimm anzusehen, wie die Säuglinge sich mit den Hauterkrankungen quälen und dann von uns mit Penicillininjektionen zusätzlich traktiert werden. Das Penicillin tut sehr weh, wenn es in die Muskulatur eingespritzt wird. Selbst den harten Männern treibt es die Tränen in die Augen.

Der afrikanische Mann braucht viele Frauen und will viele Kinder zeugen, vor allem in den moslemisch geprägten Ländern. Das scheint althergebracht zu sein und ist wohl eher kulturell zu verstehen. Ich kenne die Kultur viel zu wenig, um darüber urteilen zu wollen. Fakt ist, dass es in unserer modernen Zeit nicht mehr ohne Konsequenzen und Risiken praktizierbar ist. Die Gesellschaft ist mobiler geworden, die Gemeinschaft der Sexualpartner ist größer geworden. Soldaten werden weit vom Wohnort entfernt stationiert, sind lange von zu Hause fort und suchen sich Frauen vor Ort. Männer sind zur Arbeit häufig Monate unterwegs. Die zurück gebliebenen Frauen sind auch keine Kinder von Traurigkeit und leben ihr Leben. Die wenigsten Ehen entsprechen unserem Liebesideal, sie sind eher Zweckgemeinschaften, entsprechen den finanziellen Möglichkeiten der Männer. So ist die Bereitschaft für einen Ehebruch vorhanden und das Risiko für eine Ansteckung mit einer Geschlechtskrankheit entsprechend groß. Jeden Tag diagnostizieren wir Syphilis, Gonorrhöe und was es sonst noch alles gibt. HIV testen wir nicht, da es keine entsprechende Logistik und Therapiemöglichkeiten gibt. Ich bin mir aber sicher, dass wir auch da fündig würden.

Die Bildung der Menschen im Südsudan ist katastrophal schlecht, so dass es kaum möglich ist, die Betroffenen entsprechend aufzuklären. Im Südsudan werden so unterschiedliche Dialekte gesprochen, dass es mitunter schwer fällt, den nötigen Übersetzer zu finden. Es gibt eine Schamgrenze, die ich bei der Promiskuität nicht verstehen kann. Man spricht einfach nicht über Sexualität, man praktiziert sie nur. Meinen Übersetzern ist es oft mega-peinlich meine Fragen zu übersetzen. Kondome werden schlichtweg abgelehnt.

Die schwangeren Frauen, die in unsere Gynäkologie zu Vorsorge kommen, werden
alle entsprechend getestet und zur Paartherapie einbestellt. Es ist häufig äußerst schwierig, da der Mann all seine Frauen bringen muss, auch die, die gerade nicht schwanger sind. Die Frauen leben häufig weit voneinander entfernt und wollen oft nicht kommen. Was geht sie die andere Frau an? Dann behandeln wir doch, um das wachsende Kind zu schützen. Manchmal sind die Frauen dann wieder infiziert, aus welchen Gründen auch immer. Außerdem betreuen wir nur einen Bruchteil der Schwan-
geren in unserem Einzugsbereich. Die anderen Frauen kommen erst mit den erkrankten Kindern.

Ich musste feststellen, dass die gängigen Antibiotika zur Behandlung einer Geschlechts-
krankheit nicht mehr greifen. Kein Wunder, bei dem schnellen Griff zum Antibiotikum bei allen Gelegenheiten. Das macht die Behandlung nur noch komplizierter und teurer. Dass dafür Spendengelder benutzt werden, ist ein eigenes Thema.

Ich glaube, dass man das Problem der Geschlechtskrankheiten und damit auch HIV/AIDS nur durch eine umfassende und bessere Bildung der afrikanischen Menschen in den Griff bekommen kann. Das ganze Geld, das jetzt für Medikamente und Therapien investiert wird, ist unnütz ausgegeben. Wir behandeln mal wieder nur rein symptomatisch, stecken den entsprechenden Pharmafirmen das Geld in die Tasche, anstatt die Ursachen zu behandeln.
Ursachen in Form mangelnder Bildung, Armut, Hunger, Perspektivlosigkeit, ungerechter Entlohnung der Menschen in der Dritten Welt. Die Menschen, die jetzt infiziert sind, denen ist eh nicht mehr zu helfen, sie sterben über kurz oder lang. Der kleine Junge, der jetzt schon krank zu Welt gekommen ist, ohne sein Zutun, dem gilt es zu helfen. Das ist die Zukunft Afrikas, stellvertretend für den Rest der Armen. Daran müssen wir arbeiten.

Medizin wird für mich immer unwichtiger, denn sie ist keine präventive Hilfe, hilft vielleicht eher die Probleme zu verdecken und ist nur gut gegen ein schlechtes Gewissen.

Euer Klaus

Sonntag, 11. März 2007

Das Wasser wird knapp












Es ist heute sehr heiß, und ich tropfe nur noch vor mich hin. Ich versuche meinen PC vor meinem Schweiß zu schützen, so gut es geht. Staub überall und dann auch noch Wasser, das ist bestimmt nicht so gut.

Die Menschen um mich herum transpirieren genau so wie ich. Jetzt wird auch das Wasser in den Brunnen knapp und die Stimmung der Menschen zunehmend aggressiver. An der einzigen Pumpe vor unserem Krankenhaus steht eine lange Schlange von Kanistern, die alle langsam, wie von Geister Hand, Richtung Pumpe wandern. Sie sind irgendwie markiert und werden nach einem System gefüllt, das ich nicht durchschaue. Manchmal denke ich, welch eine Disziplin, dann wird es aber doch wieder etwas laut, da einige der Wartenden sich nicht an die Reihenfolge halten wollen. Diese Pumpe versorgt die Menschen aus einem Umkreis von 30 – 50 Minuten Fußweg. Wasser wird grundsätzlich von den Frauen und Mädchen geschleppt. Es scheint unter der Würde der Männer zu sein, diese schwere körperliche Arbeit zu verrichten.

Unsere Trägerin hat heute schlapp gemacht, sie kann auch allein die Arbeit nicht mehr schaffen. Es ist richtig schwer, das Wasser nach oben zu pumpen. So haben wir jetzt für die Nacht eine Zweite angestellt, da nachts nicht mehr so viele Menschen kommen und sich ein Fass schneller füllen lässt. Wir trinken dieses Wasser, gereinigt über Filter, benutzen es zum Waschen, Duschen und Kochen. Für vier Personen kommen da schon einige Liter zusammen. Wenn ich an den Verbrauch zu Hause denke, ist es aber nur ein Bruchteil dessen, was man so am Tag in Deutschland verbraucht. Man lernt den Wert von Wasser wieder zu schätzen. Wer macht sich bei uns darüber eigentlich noch Gedanken? Wenn der Brunnen austrocknet, müssen wir für viel Geld Wasser aus Kauda, dem nächsten Ort, kommen lassen. Ich befürchte, dass das dann nicht mehr so sauber ist. Weiß der Henker, in welchen Fässern das Wasser transportiert wird. Wir können das zahlen, die anderen vor der Tür nicht. Sie müssen dann ihr Wasser über eine Stunde lang schleppen. Dann trinken sie noch weniger als sonst üblich, und sie werden noch schmutziger.
Für mich kaum noch vorstellbar, was dann für Arbeit auf uns zu kommt.

Dieses Problem des Wassermangels werden wir weltweit erleben. Es gibt Landstriche auf der Welt, da ersaufen die Menschen im Wasser und andere Gebiete wie hier, wo man um jeden Tropfen ringen muss. Die Menschen in Lwere kennen das Problem, es besteht jedes Jahr. In diesem Jahr nur sehr viel früher als sonst. Global Warming kennen sie nicht als Begriff, nur die praktischen Auswirkungen lassen sie immer schlechter leben. In zwei Monaten kommt dann die Regenzeit, wo die trockenen Flussbetten zu reißenden Strömen werden und dann neue Gefahren auf die Menschen zu kommen. Unpassierbare Straßen, Schlamm und Schlamm-
lawinen, die Mücken und dann Malaria, an der die Kinder, die schwangeren Frauen und die alten Menschen sterben. Der Killer in Afrika schlechthin.

Wir Menschen in der westlichen Welt sind die Hauptverursacher dieser Umweltproble-
matik mit unserem Hunger nach Wohlstand, Luxus und den vielen anderen vermeintlich unentbehrlichen Annehmlichkeiten der westlichen Zivilisation. Es muss immer mehr sein, höher, weiter und schneller. Viel weiter als über unseren Tellerrand wollen wir nicht sehen. Klar ist, dass meistens die armen Menschen die Folgen zu tragen haben. Siehe meine derzeitige Lebenssituation in Hitze und Wassermangel oder Bangladesh mit Hitze und Überschwem-
mungen.
Wie mir Renate berichtete, ist aber gerade auch bei Euch die Diskussion über dieses Thema akut. Ich würde mir wünschen, dass möglichst viele Menschen wach werden, denn irgendwann wird es auch zu einem Problem von uns Menschen in den westlichen Ländern werden. Fakt ist, dass wir viel mehr zu verlieren haben als die Menschen hier. Wenn es sich nicht mehr leben lässt, verlassen die Menschen ihre Heimat in Afrika. Es gibt eh nichts mitzunehmen, da man nichts besitzt. Wir sind nicht so flexibel, da wir auf unserem Reichtum sitzen und über jeden Euro jammern, der verloren geht.

Mir geht es trotz allem gut, mitunter recht müde bei der anfallenden Arbeit und den Lebens-
bedingungen. Ich wünsche Euch eine gute Woche.

Euer
Klaus

Montag, 5. März 2007

Die Narben Afrikas




Liebe Freunde,

wieder ist eine Woche vergangen, nicht ohne eine weitere Schnitt- entbindung. Leider war das Kind schon tot, der Mutter konnten wir aber helfen, und es geht ihr trotz großem Blutverlust gut. Gewöhnen kann ich mich immer noch nicht an den damit verbunden Stress.

Das Foto der Nubafrau ist für mich ein Sinnbild, wie ich Afrika bisher erlebe: tiefe Narben, die in die Menschen und diesen Kontinent geschlagen wurden. Die Narben der Frau sind keine Unfallnarben, nein, sie hat sie sich selbst zugefügt. Es soll der Schönheit dienen, aber auch signalisieren, wie stark und kräftig man ist, diesem harten Leben die Stirn zu bieten, Gesicht zu zeigen. Ich verstehe nur wenig von den Menschen in meiner Umgebung, und es fällt mir sehr schwer in diese fremde Kultur einzusteigen.

Die Menschen sind sehr hart sich selbst und ihren Mitmenschen gegenüber. Emotionen sehe ich selten, alles wird stumm und kommentarlos akzeptiert, Widerstand selten geübt. Die Familie kommt mit den Kranken in Sorge. Sie tun die praktischen Dinge, die das Überleben sichern helfen, es fehlt mir aber in allem das, was ich mit einem Begriff des liebevollen Mitfühlens umschreiben würde. Vielleicht ist das ja auch ein Luxus, den nur wir uns in unserer Gesellschaft leisten können. Hier zählt einfach nur das Überleben und das gelingt nur, wenn man hart ist und bleibt. So wird auch kommentarlos akzeptiert, wenn dem Kranken nicht mehr zu helfen ist. Dann nehmen sie den Menschen zum Sterben mit nach Hause, wie immer das dann auch zu Ende geht. Der Wunsch kommt meistens vom Patienten, weniger von den Angehörigen. Das Sterben in dieser Gemein-
schaft ist Bestandteil des Lebens, und da haben sie uns in unserer Gesellschaft einfach etwas voraus. Das finde ich in all meiner Kritik bewundernswert, und insofern lerne ich von ihnen. Sie übernehmen im privaten Bereich Verantwortung für sich und fordern sie nicht von anderen ein. Sie hadern weniger mit ihrem Schicksal oder dem lieben Gott.

Gleichzeitig macht mich die Lethargie auch wiederum wütend, wenn es Lösungsmöglich-
keiten gibt. So schert es den Ehemann einer Patientin wenig, dass sie und das neugeborene Kind wahrscheinlich sterben werden, bloß weil sich niemand aus der Familie findet, der Blut spenden will. Ihm konnten wir nach viel Lärm 500 ml abzapfen, jetzt erzählt er allen, wie schwach er ist, und der Rest der Familie sucht das Weite. Das seine Frau kaum Kraft zum Atmen hat, geschweige denn genug Milch für das Kind vorhanden ist, interessiert ihn nicht. Wahrscheinlich hat er genug Geld, sich bald was Jüngeres fürs Bett und die harte Arbeit zu kaufen. Auch das zeigt die Härte dieser Menschen und ist für mich unverständlich. Es bleibt mir aber kaum etwas anderes übrig, als das zu akzeptieren. Es bestätigt die Thesen und Aussagen von Bartholomäus Grill in seinem Buch „Ach, Afrika“. Es war mir eine gute Hilfe in der Vorbereitung auf das Leben in Afrika.

Ich habe eh ein sehr gespaltenes Verhältnis zu den männlichen Patienten. Sie machen mich mitunter aggressiv. 90% von ihnen sind gesund und kommen mit Befindlichkeitsstörungen, die ich nicht mehr behandelt wissen möchte. Wie überall in der Dritten Welt sind die Frauen die Säulen der Gesellschaft. Sie leisten harte Arbeit, kümmern sich um die Kinder und die Familie und sind fast permanent schwanger. Deren Krankheiten versuche ich ernster zu nehmen, versuche zu helfen. Die Männer sind die großen Macher mit dem Maul. Vor allem, wenn sie meinen, etwas zu sagen zu haben. Gremienarbeit und Meetings sind ihr große Leidenschaft. Sie verlangen aber immer zu aller erst Geld, welches sie nicht besitzen. Sie erwarten von den internationalen Gesellschaften ein Sponsoring ohne Limit nach oben und bekommen das ja auch vielfach. Die Korruption lauert aber an jeder Ecke. Auch das ist Afrika, ein Fass ohne Boden und Menschen, die es gewohnt sind, die Hand aufzuhalten und uns ein schlechtes Gewissen zu machen, uns mit ihrem Elend und den Katastrophen drohen.

Ein katholischer Priester, der seit 30 Jahren in Afrika lebt und arbeitet, sagte mir neulich als Fazit seiner Erfahrung: „Gebt den Afrikanern für ihre Bodenschätze und Dinge, die sie zu bieten haben, das, was ihnen zusteht, behandelt sie korrekt wie jeden anderen Menschen, und lasst sie allein. Solange der weiße Mann sich kümmert und immer wieder in Situationen eingreift, von denen er nichts versteht, so lange wird sich auf diesem Kontinent nichts verändern.“

Ich weiß noch nicht so ganz, ob ich dem zustimmen kann, ich muss aber sehr häufig an diese Aussage denken. Das Leben geht hier weiter, ob ich/wir da sind oder nicht. Es wäre ein enorme Überheblichkeit, die Tatsache anders zu sehen.

Nichtsdestotrotz mache ich im Moment weiter, für meine Zukunft gilt es neue Überlegungen anzustellen.

Ich wünsche Euch alles Gute
Euer
Klaus

Sonntag, 25. Februar 2007

Der normale Wahnsinn eines Arbeitstages











Die Visite um 8.30 Uhr dauert länger als sonst. Ein junger Patient stirbt im Nierenversagen. Er kam sehr spät und hatte schon Ödeme und Durchfälle seit vier Wochen. Ein schwerer Amöbeninfekt. Gleichzeitig habe ich den hochgradigen Verdacht, dass er AIDS hat. Die Familie ist mit ihm ins Dorf zurück. Der angeschossene Soldat ist immer noch da, sein Kommandant kümmert sich einfach nicht. Lange Diskussion. Ein junger Patient mit einer Meningitis wird auch nicht besser. Ein junges Mädchen kommt mit Übelkeit und Brechreiz. Das Sono war für mich eindeutig, Niereninsuffizienz. Der Hochdruck und die Eiweißausscheidung sind die letzten Puzzleteilchen. Auch sie ist zum Sterben nach Hause gegangen.

Da zwei unserer Mitarbeiter mit Malaria flach liegen, habe ich begonnen, mich um die jammernden Kerle zu kümmern. Soldaten wurden rausgeschmissen, da sie nicht die 100 Dinar für die Behandlung zahlen wollten. Gerade die Soldaten bekommen regelmäßig Geld. Die Sprechstunde zieht sich wie zähe Brühe, da mein Übersetzer keine Lust hat und auch sein Englisch sehr zu wünschen lässt. Dann sehe ich alle Fälle, mit denen die anderen nicht klar kommen, unter anderem die Geschlechts- krankheiten. Nervt.
Dann die besonders schick gekleideten Damen von den internationalen Organisationen. Drängen sich immer vor und wollen dann so eine Art Krankschreibung, was ich grundsätzlich nie mache.

Plötzlich werden mir fünf Leute gebracht, alles Unfallverletzte. Auf Tragen und jämmerlich stöhnend. Hatten aber nur leichte Schnittver-
letzungen im Gesicht. Wird alles relativ unsteril genäht, da es von der Logistik nicht anders geht. Schlimm. Da wir Freitags nur bis 13 Uhr arbeiten, Moslemfeiertag, kommen plötzlich etliche von Rückenschmerzen Geplagte in den Raum gedrängt. Da hatte ich die Faxen dicke und habe die Sprechstunde offiziell beendet. Ich habe meinen Blick über die letzten 15 Kerle schweifen lassen. Es war niemand darunter, den ich nicht mit gutem Gewissen hätte gehen lassen können. Dann wird einen querschnittgelähmter junger Mann gebracht, der lange in Khartoum gelegen war. Er wollte von uns gesund gemacht werden. Die medizinischen Unterlagen hatten sie vergessen. Er wollte und konnte nicht verstehen, dass auch ich ihm mit unseren Möglichkeiten nicht helfen kann. Er hatte keinen Dekubitus und sah sonst oberhalb der Gürtel-
linie gut aus, so dass er mit dem gecharterten Auto gleich wieder heim konnte. Sie fragten mich, wofür sie dann das Geld für den Transport ausgegeben hätten. Wir haben hier aber wirklich nichts, keine KG oder Ähnliches, was ihm gut getan hätte.

Dann Mittagspause. Tomatenbrot und etwas Käse. Ich wollte nur nocheinmal nach meinen Jungs sehen, siehe Bild und dann den freien Nachmittag genießen, bzw. meinen Vortrag für den Samstag vorbereiten. Es kommt ein Auto der Organisation "Save the children" (böse Zungen sagen im Nebensatz „kill the mothers“) und bringen zwei schwerkranke Menschen. Eine Mutter, die vor zwei Tagen zu Hause ihr siebtes Kind geboren hat. Sie ist fast tot, hoch fiebernd, tachypnoeisch. Sie hat eine Malaria und eine Anämie von 4 g/dl, also kaum noch rote Blutkörperchen und ein Kind, was vielleicht den morgigen Tag nicht mehr erleben wird. Es kamen einige Verwandte mit, die Blut spenden mussten, was wir dann transfundierten. Diese Frau war schon lange krank, hat aber nie einen Arzt gesehen.

Den zweiten Patienten habe ich ihnen gleich wieder mitgegeben. Er hatte einen Gasbrand an seinem linken Unterschenkel und muss den Oberschenkel amputiert bekommen. Das kann ich nicht und will es auch nicht üben. Unser Anästhesiepfleger hat Malaria und der Einzige mit etwas chirurgischer Erfahrung ist im Urlaub.
Die Leute von "Save the children" kennen unsere Situation und kommen trotzdem. „You can do it, he will die anyway”. Ich habe ihm etwas gegen die Schmerzen gegeben und die Leute nach Kadugli, einer größeren Stadt mit einem schlechten Krankenhaus und noch schlechteren Chirurgen, geschickt. Die Fahrt wird sechs Stunden dauern. Der Ärmste hat sich etwas von einem Quacksalber an oder in den Unter-
schenkel spritzen lassen. Ich denke nicht, dass er das überlebt.

Zu guter Letzt habe ich dann doch noch meinen Vortrag über HIV geschafft und für Petra, eine der Schwestern, und mich Bratkartoffeln aus Süßkartoffeln mit Bohnen gekocht. Gibt es etwa 2 Mal pro Woche. Bald auch nicht mehr, die Bohnen gehen aus.

Man ist dann natürlich total müde, die Hitze lässt einen aber nur schwer einschlafen. Manchmal zweifle ich daran, das wirklich sechs Monate aushalten zu können. Ich werde es irgendwann wissen.

Euch allen liebe Grüße in das angenehm kühle Deutschland.

Euer
Klaus

Sonntag, 18. Februar 2007

Endlich wieder Sonntag











So eine Sechs-Tage-Woche schlaucht enorm, man kann eigentlich von einer Sieben-Tage-Woche reden. Lediglich am Sonntag ist es ruhiger, da wir nur Notfälle behandeln und ich davon nicht jeden zu sehen brauche. So kann ich mich nach der Visite in meinen sandigen Tukul zurück ziehen und eigentlich die Beine hoch legen, wenn, ja, wenn ich nicht etwas fürs Euch schreiben würde.

Unser Arbeitstag beginnt um 8.15 Uhr mit einem morgendlichen Meeting. Dann sitzen schon etwa 100 –150 Patienten unter den Sonnendächern. Teilweise kommen sie schon am Sonntag, da sie 6 bis 8 Stunden zu Fuß gehen müssen. Sie schlafen dann irgendwo auf dem Krankenhausgelände. Da wir Trockenzeit haben, ist nur die Kälte (18-20°C) der Nacht störend. Ein Dach über dem Kopf brauchen sie nicht unbedingt. Sie bringen alles mit, Kochgeschirr etc. und treffen häufig Verwandte von weit her. Leider räumt keiner den eigenen Müll fort, so dass dieser durch die Gegend geweht wird. Das nervt mich immerzu, ist aber für die Menschen hier völlig normal. Sie benehmen sich halt wie zu Hause. Wir haben einen Mann, der etwas Ordnung halten soll, das klappt aber auch nur bedingt.

Das Meeting hat den Sinn, dass ich die Mannschaft zu Pünktlichkeit zwingen will, sonst kommt jeder so, wie er will. Außerdem kann ich sehen, wer anwesend ist und wer nicht. Ein Tag Fehlen bedeutet ein Tag weniger Geld. Das wird nicht ohne Diskussion eingesehen. So langsam trägt das System Früchte. Außerdem kann man Ankündigungen machen und auf dem kurzen Dienstweg Anordnungen treffen. Die Asiaten sind ja schon nachlässig, die Sudanesen schlagen diese aber um Längen.

Um 8.30 Uhr mache ich meine Visite und sehe dann auch die Neuaufnahmen der Nacht. Die Patientenzimmer sind kleine traditionelle Hütten mit einem gestampften Lehmboden. Darin stehen drei bis vier Bettgestelle mit Matratzen, die sich in Auflösung befinden. Manche Betten haben Moskitonetze. Ich schlage mir noch fast regelmäßig den Kopf am Schilf des Daches beim Eintreten in die Hütte. Ist Gott sei Dank nicht so hart. In der Hütte ist es Dunkel wie im Pavianhintern. Sinnvolle Untersuchungen sind dort nicht möglich. Außerdem muss man aufpassen, dass man nicht in die Utensilien der Familie tritt, die sich meistens unter dem Bett des Patienten sammeln. Es sind immer zwei bis drei Familienmitglieder anwesend, die den Kranken versorgen müssen.
Unsere Pfleger teilen nur Medikamente aus, messen Fieber oder informieren uns, wenn etwas aus dem Ruder läuft. Der Rest ist Aufgabe der Angehörigen. Diese Einfachheit, solch einen Schmutz habe ich noch in keinem Krankenhaus diverser Organisationen gesehen. In diese Betten legt man die frisch Operierten und hoch fiebernden Kinder. Nach der Entlassung findet keine Reinigung statt, es sei denn, die deutschen Krankenschwestern erledigen diese Aufgabe. Sudanesische Pfleger kommen nie auf die Idee und erledigen einen Auftrag recht widerwillig oder schicken eine Putzfrau. Trotzdem bekommen die Kranken nicht mehr Infektionen als bei uns, und wenn, dann sind sie einfacher zu therapieren als in der westlichen Welt. Ich kann und will mich dennoch nicht an diese Zustände gewöhnen.

Dann gibt es noch einen extra Compound für die „Geburtshilfe und Wöchnerinnen“. Dieser liegt etwas abseits und hat noch dunklere Kammern. Die Neugeborenen sehen sicher keinen Unterschied zur gerade entflohenen Gebärmutter. Die Mütter gehen aber noch meistens am Tag der Geburt. Hier werden fast ausschließlich Schwangere versorgt, die an einer Malaria erkrankt sind, was sehr gefährlich für Mutter und Kind ist. Im Moment kümmert sich Petra um das MCH, eine sehr erfahrene Kranken- schwester, die diesen Job jetzt seit sechs Monaten macht.So brauche ich mich dort nur bei Notfällen sehen lassen. Leider geht Petra in drei Wochen, dann habe ich diese Arbeit auch noch an der Backe. Die einheimischen Hebammen sind aber sehr erfahren, so dass normale Geburten ohne mein Zutun laufen. Was die Kaiserschnitte angeht, so habe ich in dieser Woche nochmals zwei gesunden Jungen auf die Welt helfen können. Müttern und Kindern geht es sehr gut, dem Doktor auch. Jetzt, nach dem dritten Eingriff hat sich meine Angstschweiß- produktion sicherlich um die Hälfte reduziert. Ich hoffe, dass ich mich dran gewöhne und meine Aufmerksamkeit nicht einer falschen Sicherheit weicht. Also in drei Wochen schließt sich eine Visite bei den Frauen an.

Danach mache ich meine Sprechstunde. Ich will vor allem die Kinder sehen. Die drei anderen Paramediziner, die Sprechstunde halten, schicken mir alle Patienten, die von mir gesehen werden sollten. Über die Qualität dieser Kollegen mal später mehr.
Um 13 Uhr ist Mittagspause bis etwa 14 Uhr. Da niemand für uns kocht, muss man sehen, was es zu essen gibt. Ich esse nicht draußen vor der Tür. Die Gründe sind nahe liegend. So gibt es meistens ein Brot und Kaffee, der bald zur Neige geht. Dann gibt es Tee. Um 16 Uhr haben wir die Patienten geschafft und sie uns. Im Schnitt 200 pro Tag. Ich mag nicht daran denken, was da alles übersehen wird.

Dann noch einen schnellen Blick auf die stationären Patienten, eine Schöpfdusche
und Abendessen, was auch von uns zubereitet werden muss. Cap-Anamur scheint nur die Härtesten zu nehmen. Manchmal fragt man sich schon, wie verrückt man sein muss, um damit leben zu können. Einzig der stumme Dank der bedauernswerten Menschen lässt einen den kommenden Tag fröhlich angehen.

Auf bald
Euer
Klaus

Das Foto zeigt das Krankenhaus. Das Steingebäude ist unser OP. Rechts Aim
Grünen wohnen wir.

Sonntag, 11. Februar 2007

Fazit von zwei Wochen in Lwere, Nuba Mountains


Ich bin sehr müde erschöpft und dennoch zufrieden. Der Sonntag ist der einzige Tag, den man zum Ausruhen hat, wobei jederzeit ein Notfall eintreffen kann, der einen dann für einige Zeit beschäftigen kann.

Es gibt hier zwei Extreme, entweder geht es um Leben und Tod oder es sind Banalitäten. Ich habe das Gefühl, immer im Mangel zu arbeiten, und es muss andauernd improvisiert werden. Ich bräuchte eigentlich Zeit, um mich orientieren zu können, dazu kann es aber nicht kommen, da man Probleme nicht an die Seite schieben kann, wenn sie einem, im wahrsten Sinne des Wortes, vor die Füße gelegt werden.

Letzten Montag brauchte eine Frau einen Kaiserschnitt. Ich wollte die Verantwortung nicht übernehmen, und habe mich abends um 21 Uhr mit unserem Techniker Franz ins Auto gesetzt und bin sieben Stunden in die nächste Kreisstadt gefahren. Es ging teilweise nur im Schritttempo, wir fanden manchmal den Weg kaum. Der sogenannte Ortskundige war nicht unbedingt eine Hilfe. Ich merkte schon, dass das Kind während der Fahrt gestorben war. Im Krankenhaus angekommen, wurde alles für die Operation vorbereitet, man wollte uns aber nicht fahren lassen, da man uns als potentielle Blutspender brauchte. So bin ich mit in den Op. Ich habe ja schon einiges in fremden Ländern gesehen, das war aber der Gipfel. Unsere Schlachter arbeiten sauberer. Mehr will ich dazu nicht sagen.

Den Weg zurück bin ich gefahren, da Franz von der Nachtfahrt noch ziemlich fertig war. Ich hatte auch kein Auge zu getan, fühlte mich aber ganz gut. Leider habe ich das Auto im Sandbett eines größeren Flusses festgefahren. Mangelnde Übung. Die Seilwinde an dem Auto hat uns wieder rausgezogen. Der Rest der Fahrt war lang, aber unproblematisch.

Am Freitag dann das gleiche Problem. Mutter und Kind ging es noch gut, eine Sektio war aber nicht zu umgehen. So habe ich mich an die Bücher gesetzt, und dann sind wir angefangen. Ich habe vorher gebetet und meditiert, weil ich wusste, dass das die einzige Möglichkeit war, meine Angst zu überwinden. Ich habe dann ruhig und besonnen begonnen. Ich hatte einige Schwierigkeiten zu überwinden, deren Einzelheiten ich Euch ersparen will. Das Ergebnis zeigt das Foto. Mutter und Kind geht es gut, das Mädchen trinkt kräftig. Ich sehe sie immer noch drei mal pro Tag, um keine negative Entwicklung zu verpassen. Es ist fast wie ein Wunder, dass in all dem Schmutz, der Hitze und den Moskitos so etwas möglich ist.

Von meinem normalen Alltagsstress erzähle ich dann nächste Woche.

Ich grüße Euch recht herzlich
Euer
Klaus

Freitag, 9. Februar 2007

Meine erste Woche in Lwere, Nuba Mountains












Liebe Freunde,

mein erster freier Tag nach sechs Tagen harter Arbeit. Über die Arbeit will ich später einmal berichten. Alles der Reihe nach. So will ich zunächst etwas über mein Zuhause für die nächsten sechs Monate erzählen. Der Einfachheit halber habe ich etwas aus meinem Tagebuch kopiert, zumindest die Dinge, die Euch interessieren könnten. Ich komme nur an meinem freien Tag dazu, aber was heißt schon freier Tag, man ist hier immer im Einsatz. In der Woche komme ich nur dazu etwas Tagebuch und meiner Liebsten zu schreiben.

Welch ein Schock auf den ersten Blick. Ich bin sicher Einiges gewohnt, die Umstände hier haben aber alles getoppt. So einfach habe ich mir die Zustände nicht vorgestellt. Wir sind wirklich "in the middle of nowhere".

Das Land sieht am Boden genau so aus wie aus der Luft: trocken, staubig und heiß. Jetzt ist Trockenzeit, und der Wind weht gelegentlich, was Abkühlung bedeutet, aber auch eine völlige Versandung aller Gegenstände. So ging es über trockene Pisten, recht ausgefahren, und über Stock und Stein nach Lwere, dem Ort, in dem ich die nächsten sechs Monate leben werde. Plötzlich waren wir da.

Das Anwesen besteht aus vier getrennten Compounds. Einmal dem für die deutschen Mitarbeiter, der eigentlichen Klinik, der Geburtsabteilung und dem Compound der einheimischen Mitarbeiter. Mir wurde mein Tukul gezeigt, was ich mit einem tiefen Atemzug in Augenschein nahm. Eine einfache Hütte, aus Lehm gebaut, mit einem überdachten Vorraum. Dann der eigentliche Raum, circa vier mal drei Meter groß. Einfache Lehmwände mit einem Strohdach, durch das man an einigen Stellen hindurchsehen kann, von innen verkleidet mit Plastik. Einen Tropenregen wird das kaum überstehen, bis dahin ist aber noch etwas Zeit. In dem Raum steht ein klappriges Bett, das unter ehestandsähnlichen Bewegungen sicher zusammenbrechen würde. Da desgleichen nicht stattfinden wird, muss es die nächsten sechs Monate
lediglich mein Gewicht aushalten. Wenn ich mich auf dem Bett drehe, erinnert es mich an das Schlafen auf einem Schiff. Es gibt eine einfache Schaumstoffmatratze und ein lochfreies Moskitonetz. Meine Sachen habe ich halbwegs staubfrei in einem Stahlschrank untergebracht. Eine Sparlampe erhellt den Raum einigermaßen, da es nur zwei kleine Fenster gibt. Sicher sinnvoll, damit es nicht zu warm wird.

Ich habe aber etwa zwei Stunden damit zugebracht, den Raum halbwegs zu säubern. Drei große Kehrschaufeln Sand kamen zusammen, einige Spinnen mit Nestern, Käfern, halt was man alles so findet. Das Wasser zum Reinigen des Schrankes war entsprechend schwarz. Doch dann kam die Verwandlung. Ich bin so froh, dass ich mir so viele schöne Fotos habe drucken lassen. So habe ich mir eine Ecke der Liebe, eine Ecke des Schutzes und eine Ecke zum Träumen geschaffen. Mit Nägeln konnte ich die Bilder anbringen. Renates Bild aus Sri Lanka ist am Eingang in Augenhöhe, darunter Phulu und ich. In der Ecke oder im Eckfenster steht mein kleiner Reisebuddha und mein Quarzengel, dazu das Bild des Buddhas aus unserem Garten und ein Bild von Subudhi. Die weiteren Bilder von Peter Zandel verschönern den Rest der Wände. Vor meine Hütte
hängt eine Gebetsfahne. Jetzt fühle ich mich wohl!!!!

Mein Tukul ist jetzt wohl das sauberste, das es gibt. Ich habe die erste Nacht recht gut geschlafen, aber bei offener Tür. Es wäre sonst zu stickig gewesen. Pfeif doch auf die Schlangen und eventuelle Ratten. So habe ich am Morgen einen schönen Sonnenaufgang erlebt.

Es gibt vier dieser Tukuls für den deutschen Staff, alle ähnlich groß oder besser klein. Alle scheinen irgendwie damit klar zu kommen. Dann gibt es eine offene Dusche bzw. einen abgeteilten Platz, an dem man sich das Wasser, welches sich in einem Fass befindet, über den Kopf gießen kann. Einfach, aber praktisch und Wasser sparend.
Dieses Wasser muss von Frauen, die wir bezahlen, vom Brunnen geholt werden. Somit macht das Sinn.

Die Toilette ist eine Pitlatrine, bei der man die Abgänge klatschen hört. Die Fallhöhe ist nicht mehr die größte, so dass irgendwann eine neue Latrine gebaut werden muss. Hoffentlich erst in sieben Monaten. Sie ist sauber, es sinkt nicht und ist ebenfalls funktionell.

Dann gibt es ein Büro, in dem der Komitee PC steht. Alles ist total versandet, und ich frage mich, wie lange so ein Hightech Gerät das aushält. Dieser ist mit einem Satelliten Modem verbunden. Das letzte Gebäude beinhaltet unsere kleine Küche mit einem Gaskocher und einem Tisch und zwei offenen Regalen. Hierin steht immer verstaubtes Geschirr und essbare Dinge.
Ich habe noch drei Wasserfilter vergessen, aus denen wir uns bedienen. Auch dieses Wasser wird vom Brunnen geholt. Einziger Luxus ist, dass das Geschirr und unsere Wäsche gewaschen wird. Ansonsten gilt Selbstverpflegung, was nicht so einfach ist. Die Speisekammer leert sich mächtig, viel gibt es da nicht mehr zu holen. Heute habe ich aus Süßkartoffeln Bratkartoffeln gemacht, mit Dosenmais und Dosenananas. Es gibt einige Tomaten zu kaufen, ein paar Kartoffeln, und das war es auch schon. Ich denke, dass Abnehmen angesagt ist. Vielleicht gönne ich mir ja doch noch die eine oder andere Cola.

In der Mitte des Compounds steht ein großer Baum, der uns immer Schatten spendet. Die Mädels nutzen ihn als Rauchereck. Dann gibt es noch zwei Zelte, von denen eines als Notunterkunft genutzt wird, eines als Lager. Unser Compound ist von einer ca. zwei Meter hohen Mauer umgeben. Hab ich noch etwas vergessen? Ich glaube nicht. Alles ist jetzt, bei der Trockenheit, recht sandig und staubig, wie gesagt, man gewöhnt sich an alles. Ich hatte es sicher nicht so erwartet und bin froh, davon vorher nicht allzu viel gewusst zu haben. So hadert man nicht mehr so sehr mit dem Schicksal und begibt sich einfach hinein. Wenn die Arbeit all die Mühen wett macht, so soll es dann wohl so sein.

Ich bin gesund, fühle mich wohl. Seid alle recht herzlichst gegrüßt. Bis zum
nächsten Mal.

Euer Klaus

Freitag, 26. Januar 2007






















Ab in die Nuba Mountains

Gerade habe ich mein Ticket und die Bestätigung für meinen Flug nach Kauda/Nuba für morgen abgeholt. So hat die Zeit des Wartens ein Ende. Wenn man erst einmal aufgegeben hat, sich gegen das Unvermeidliche aufzulehnen, geht alles sehr viel einfacher, und ist dann gut zu ertragen.

Ich habe mir Aufgaben gesucht und mir meinen Tag ein wenig strukturiert. So ist keine Langeweile aufgekommen. Ich habe einige medizinische Dinge aufgearbeitet. Im Südsudan ist eine Meningokokken Meningitis Epidemie ausgebrochen und ich hoffe, dass wir wenig davon abbekommen werden. Ich habe dafür schon eine Richt- line ausgearbeitet. Des weiteren Power Point Präsentationen für die Fortbildung und eine Menge aus den Internetseiten der WHO downgeloaded.

Mittlerweile kenne ich auch schon eine Menge Leute auf dem Compound und so ergibt sich manches interessante Gespräch. Da alle PCs der NPA mit Viren verseucht sind, helfe ich etwas, indem ich Antivir installiere, um größeren Schaden zu vermeiden. Der Einäugige hilft dem Blinden.

Der nächste Bericht kommt dann aus den Bergen. Sicher nicht mehr so schnell und einfach wie bisher.

Auf bald, Klaus