Freitag, 4. Januar 2008

Ein Arbeitstag in Eikwe

Samstag, den 30.12.2007

Liebe Freunde,

jetzt will mal versuchen, Euch etwas aus meinem derzeitigen Leben zu erzählen, das sehr aufregend und vielfältig ist. Mir gehen dabei so viele Gedanken durch den Kopf, dass ich nicht recht weiß, wo ich anfangen soll.

Meine Tage fließen dahin, ich wundere mich, wie schnell es schon wieder dunkel wird und der Tag zu Ende geht. Erst dann merke ich, wie müde ich bin. Die Verarbeitung des Erlebten kommt dann so langsam. Renate bekommt davon am meisten mit, da wir jeden Tag lange telefonieren. Diesen Luxus gönne ich mir, zumal ich sonst keine Gelegenheit habe, mein Geld auszugeben.

Die Menschen in diesem westlichen Distrikt Ghanas sind schon recht arm, vor allem, wenn man die Menschen aus der Elfenbeinküste hinzu rechnet, die regelmäßig zur Behandlung kommen. Sie sind immer am schwersten erkrankt, vor allem an HIV/AIDS. Da weiß man kaum, was man zuerst und zuletzt machen soll. Die Unter-suchungsmöglichkeiten in unserem Haus sind schon recht gut, reichen aber immer noch nicht aus. Die Zeit ist vielfach auch nicht vorhanden, um sich intensiver um die Patienten zu kümmern. So ist die Therapie häufig nur symptombezogen, was mir widerstrebt, zumal ich weiß, wie man es besser machen könnte. Man kann aber nicht mit unseren deutschen Perfektionsansprüchen in diesen Bezügen arbeiten. Achtzig Prozent müssen reichen.

Ich will Euch einfach mal meinen gestrigen Freitag schildern.

Um 7.45 Uhr haben wir Ärzte uns zu einer Besprechung getroffen. Ich nutze diese Zeit, um eine kurze internistische Fortbildung zu geben, fast immer krankheitsbezogen. Ich sehe bei meinen Visiten und in der Ambulanz Fehler in der internistischen Therapie, die ich dann anspreche. Die Klinik ist halt gynäkologisch/
chirurgisch geprägt, und man kann als entsprechender Facharzt wirklich nicht alles wissen. So hatten wir an diesem Morgen eine längere Diskussion, die aber für alle Beteiligten lehrreich war.

Um 8.30 Uhr habe ich meine Visite auf der Aufnahmestation gemacht. Ich habe Patienten untersucht, entlassen, eben alles, was dazu gehört. Zwischendurch gab es Notfälle mit fieberkrampfenden Kindern und einem Alkoholiker im Delirium. Dann habe ich mir die neuen Patienten angesehen, die in der Nacht gekommen waren. Die Schwestern rufen uns Gott sei Dank nicht in jedem Fall. Darunter fand ich eine junge Frau mit einem inkompletten Abort, die entsprechend blutete. Da musste ich einfach mal zwischendurch eine Ausschabung machen, damit das Bluten ein Ende hatte.

Um 10.15 Uhr bin ich dann zum Ultraschall gegangen. Vor dem Untersuchungsraum saßen schon die Menschen in einer langer Reihe. Viele Routineuntersuchungen im Rahmen der Schwangeren-Vorsorge. Frau Dr. Köthe ist, nachdem sie die gynäkologische Abteilung visitiert hatte, in die Ambulanz gegangen. Kurze Zeit später schickte sie mir eine Frau, die Flüssigkeit im Bauch hatte und schwanger war. Also musste sie gleich in den Operationssaal, da es sich um eine extrauterine Schwanger-
schaft handelte, die sofort operiert werden muss. Der linke Eileiter war gerissen, aus dem die arme Frau blutete. Ich habe weitere schwerwiegende Befunde bei meinen Untersuchungen gesehen und dann gleich die entsprechende Therapie eingeleitet, was hier immer mit viel Schreiberei verbunden ist. Meine Kollegin, Frau Cooper, war am zweiten Gerät aktiv. Zwischendurch nehmen wir uns aber immer wieder die Zeit, wichtige Befunde zu demonstrieren und zu diskutieren. Da im Nachbarraum geröntgt wird, werden uns auch die Bilder zum Befunden immer wieder hineingereicht.

12 Uhr: Stellungswechsel. Ich bin kurz in mein Appartment gelaufen, um für meine Flüssigkeitsein- und -ausfuhr zu sorgen. Dann ging es in der Ambulanz weiter. Dort warteten vor meinem Zimmer schon eine Menge Leute. Viele Belanglosigkeiten, hervorgerufen durch die neue Krankenversicherung in Ghana. Der neu gewählte Präsident hat vor den Wahlen den Menschen versprochen, dass jeder Ghanaer eine Krankenversicherung bekommen kann. Sie zahlen etwa 140 Euro im Jahr. Die restlichen Kosten sollen aus dem Staatshaushalt mittels einer Art Mehrwertsteuer finanziert werden. Der Jahresbeitrag zur KV ist für die meisten Menschen noch zu-viel, so dass sich der Mittelstand versichern kann und jetzt sein Recht der Behandlung und vor allem der Therapie einfordert, denn alles zahlt die Versicherung. Dass es eine Solidarversicherung ist, verstehen die Menschen nicht, da die Gemeinschaft dem Einzelnen eh egal ist. Wenn keine Medizin verschrieben wird, gibt es immer Ärger. Das System kann so natürlich nicht funktionieren, und das Krankenhaus muss gelegentlich lange auf das Geld der Versicherung warten. Es gibt schon Krankenhäuser in Ghana, die die Behandlung auf Krankenschein ablehnen. Eikwe wird wohl bald folgen müssen. Dem neuen Präsidenten ist das jetzt aber offenbar egal. Er hat seine Wahl gewonnen und sein Versprechen eingelöst. Dennoch, es gibt auch bedauernswerte Menschen, die berechtigt nach Hilfe suchen.

13 Uhr Mittagspause, gebratener Reis und Fisch, war ja Freitag, wobei der Fisch vor der Tür gefangen wird und entsprechend frisch ist. Wenn sie in der Kantine die Musik leiser stellen würden, könnte man sich sogar etwas entspannen. So verschwinde ich lieber schnell in mein Zimmer, um mir noch einen Kaffee zu kochen.

Um 14 Uhr ging es in der Ambulanz weiter. Es kam eine HIV positive Mutter mit ihrem drei Monate alten Kind. Ich kannte sie schon aus der HIV Ambulanz. Der Mann ist vor drei Monaten an AIDS verstorben, das Kind ist auch HIV positiv, es ist der letzte Mensch, den sie hat. Das Kind hatte eine äußerst schwere Lungenent-
zündung und bekam kaum Luft. Die Mutter sah so traurig aus, den Kummer sah man in ihren Augen. Ich brauchte ihr nicht zu erzählen, dass es kaum Hoffnung gibt. In so einem Fall bräuchte ich mehr Zeit, um das Kind zu versor-
gen. Wie gerne hätte ich mit ihr persönlich gesprochen, für die Übersetzerin war das jedoch Zeitverschwendung. Allein an diesem Nachmittag habe ich drei neue HIV Fälle diagnostiziert. Auch die Syphilis treibt hier ihr Unwesen. Ein 28 Jahre alter Mann mit zwei hübschen Frauen holte sich seine Spritze ab. Beide Frauen hatten schon jeweils vier Kinder und der Spaßfaktor wurde außerehelich erhöht. So ging es im drei Minutentakt weiter, meine Übersetzerin und ich wurden leicht müde und die Schlange vor der Tür wurde nicht kürzer.

15.30 Uhr. Die ersten Verletzten eines Massenverkehrsunfalls wurden uns vor die Tür gelegt. Alle Mitarbeiter waren wieder hellwach. Die Verletzten hatten einen Bus gestürmt, um noch nach Hause zu kommen. Der Busfahrer hatte die Nase voll und ist einfach losgefahren. Die Leute sind von Dach und aus den Türen herausgefallen und dann in ihrer Panik übereinander getreten. Kinder waren darunter, ein Toter vor Ort. Die Patienten mit offenen Knochenbrüchen haben wir notfallmäßig behandelt und sofort ins nächste Krankenhaus verlegt, das die Brüche versorgen kann. Verletzte mit stumpfen Bauchtraumen, man war ja über sie hinweg gelaufen, habe ich sonographiert. Wir brauchten sie aber nicht zu operieren. Die meisten hatten fürchterlich schmutzige
Hautabschürfungen, teilweise bis auf die Knochen. So wurden die Wunden gesäubert, Verbände angelegt. Das alles inmitten der aufgeregten Angehörigen und Schaulustigen aus dem Krankenhaus. Es war wirklich ein Chaos, was auch nicht mit wütenden Ausbrüchen aufgelöst werden konnte. Frau Köthe war zwischenzeitlich im Kreißsaal, da ein Kind mit Steißlage geboren wurde und der Kopf stecken blieb, um den noch die Nabelschnur hing. Auch dieses Neugeborene musste wiederbelebt werden. Nachdem wir wieder einigermaßen einen Überblick hatten, wurden die letzten Patienten aus der Ambulanz versorgt.

18 Uhr, letzter Rundgang über die Aufnahme-
station. Die Veranda lag voll mit den Verletzten, da es kein Bett mehr gab im Hospital.

18.15 Uhr Geburtsstillstand bei einer Gebärenden seit einigen Stunden, genauer gesagt seit 12 Stunden. Das auswärtige Healthcenter schickte die Frau viel zu spät zum Kaiserschnitt, den sie dann auch erhielt. Mutter und Kind waren danach wieder in Ordnung.

19 Uhr Vorbereitung zum Abendessen, will heißen, endlich eine Dusche und raus aus den verschwitzten Klamotten.

19.15 Uhr Anruf aus der Aufnahmestation. Zwei Brandopfer aus der Elfenbeinküste. Benzin war explodiert und hat die beiden erwischt. Bei dem Einen war 20% der Haut betroffen, dem zweiten Opfer waren 15% der Haut verbrannt. Sie wurden entsprechend versorgt. Da wir nicht einmal ein Bett hatten, mussten zwei Patienten notfallmäßig entlassen werden. Sie haben draußen auf dem Rasen übernachtet.

20 Uhr Abendessen

21 Uhr Schlafen

3 Uhr klingelt das Telefon, wieder eine Frau, die so stark blutete, dass sie 30 Minuten später ausgeschabt werden musste wurde.

7 Uhr Anruf, Notfallkaiserschnitt.

Den heutigen Tag erspare ich Euch. Ich bin zwar jeden Abend müde und erschöpft, doch immer sehr zufrieden. Ich lerne jeden Tag neue Dinge, ich bin immer wieder gefordert und wundere mich, wie erfolgreich in all den Unzulänglich-
keiten unsere Arbeit ist. Die Brandverletzten würden in Deutschland in sterilen Spezial-
kliniken versorgt werden, hier muss es ohne sterile Raumluft gehen. 20 Meter weiter husten die TB Kranken Blut. Das HIV-Kind mit der Lungenentzündung schnauft wieder ruhiger, auch ohne Beatmung und Intensivstation. All diese positiven Erfahrungen lassen mich mit der Arbeit sehr zufrieden sein, lassen mich ruhig einschlafen. Ich habe jetzt nur von meinem Tag erzählt, die anderen Kollegen leisten die gleiche Arbeit und das schon seit vielen Jahren in eben diesem Tempo.

Ich nehme mir aber auch meine Auszeiten um in die Stille zu gehen. Meine morgend- und abendlichen Kontemplationen geben mir die Kraft, die ich im Moment sehr brauche. Vor allem auch, was die emotionale Verarbeitung der Arbeit angeht. Afrika ist wirklich ein besonderer Kontinent mit Menschen, die ich kaum verstehen kann. Doch dazu mehr im nächsten Blog.

Morgen werde ich mir einen Tag frei nehmen und in ein Hotel mit einem wirklich tollen Strand fahren. Weißer Sand, Palmen, frischer Fisch und viel Ruhe. Das Weihnachtsfest hält hier immer noch an. Es ist total laut und hat den Charakter von Karneval. Es gibt Umzüge mit lauter Musik und viel Alkohol. Ein so lautes Weihnachten habe ich noch nie erlebt. Auch das ist Afrika: laut und brüllend.

Euch Allen einen guten Rutsch ins neue Jahr. Mögen sich die Wünsche erfüllen!
Auf bald,

Euer Klaus

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