Montag, 28. Januar 2008

Ach, Afrika, Teil drei

Liebe Freunde,

heute beginnen meine letzten vier Wochen in Eikwe. Es ist sicher noch nicht die Zeit, um ein Fazit zu ziehen, es scheint aber so, dass es heute hier etwas ruhiger zugehen wird - was sich in Eikwe allerdings schnell ändern kann. So nutze ich die Zeit, um mich wieder bei Euch zu melden. Die Schwestern beten schon den ganzen Morgen, und die Action Church lärmt im Hintergrund. Es scheint eine Art von Sekte zu sein, von denen es viele in Ghana gibt. Diese Kirche zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Gottesdienste enorm laut sind, es wird viel getrommelt, und dazwischen wird Jesus! geschrieen oder ein Halleluja!. Also Action im Sinne des Wortes. Das dauert immer so etwa drei Stunden, und die Menschen kommen ziemlich verschwitzt, aber strahlend, aus der Bretterbude heraus, die sie sich als Versammlungsraum gezimmert haben. Diese Form von Gottesdienst scheint den Menschen in Afrika am liebsten zu sein.
Der Sonntag ist den Menschen hier heilig und etwas Besonderes. Das erinnert mich an meine Kindheit. Auch damals wurde für meinen Vater der Sonntagsanzug herausgelegt und wir Kinder bekamen eine ähnliche Verkleidung verpasst. Fürchterlich, da man sich nicht schmutzig machen durfte und der Tag irgendwie kein Ende zu nehmen schien. Immerhin blieb uns später der Kirchgang erspart. Hier ist der Besuch der Kirche aber die einzige Abwechslung vom täglichen Trott und dem immer währenden Kampf ums Überleben. Wenn man noch nie in solchen Verhältnissen gelebt hat, kann man sich das kaum vorstellen. Da die wenigsten von Euch solche Erfahrungen kennen, möchte ich einfach mal einige Schicksale beschreiben. Ich blicke jetzt auf zehn Jahre Arbeit in Drittweltländern zurück und kann sagen, dass es dabei egal ist, ob man in Südamerika, Asien oder Afrika tätig ist. Dort, wo es Armut gibt, leiden die Menschen und werden zwangsläufig krank und sterben früh. Diese Situation ist überall ähnlich.

Ich will jetzt nicht über die einzelnen Kulturen sprechen, da gibt es sicher Unterschiede, und der Wille zur Veränderung ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Eines ist jedoch offensichtlich: die Armut ist nicht selbst verursacht und die Menschen werden kaum eine Chance haben, sich aus dem Dreck zu ziehen, wenn sich die Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft und der Globalisierung in Zukunft nicht wesentlich ändern. Die Menschen in den Drittweltländern sind seit jeher ausgebeutet worden, und diese Ausbeutung hält unverändert an. Wir Weißen versklaven sie nicht mehr im ursprünglichen Sinne, wir geben ihnen aber einfach nicht, was ihnen zusteht, und so betrügen wir sie weiterhin. Die Macht des Kapitals, das Geld der weltweit operierenden Firmen, hat ein Monopol aufgebaut, das billig Arbeitskräfte einkauft, die Bodenschätze der Länder plündert und zerstörte Landschaften zurück lässt. Die Menschen, die bleiben müssen, werden allein gelassen und sterben an den Folgen des Raubbaus. Sie haben sowieso nicht viel von der Ausbeutung der Bodenschätze gehabt. Die gut dotierten Posten gehören den Weißen, die einfache Arbeit bleibt über. Arbeitsschutz ist dabei ein Fremdwort. Das tägliche Leben wird teurer, die Töchter prostituieren sich, wollen raus aus dem Dreck, aber der „Freund“ wird sie nicht mitnehmen... Er hinterlässt, wenn die Mädchen Glück haben, nur ein Kind, wahr-
scheinlicher ein Kind und HIV. Das Kapital zieht weiter auf seinen Beutezügen, ohne sich Gedanken über die Folgen zu machen. Dem Ganzen wird ein Mäntelchen der Legalität umgehängt, indem man Verträge mit den jeweiligen korrupten einheimischen Politikern abschließt. Das Geld wandert wiederum auf europäische Konten der Potentaten und wird in Villen in London, in der Schweiz oder sonst wo investiert. Die großen Firmen haben sogar Privatarmeen in Afrika, um zum Beispiel ihre Diamanten oder Goldminen zu schützen. Es wird auch vor keinem Tyrannenmord zurück-
geschreckt, wenn es dem Profit nutzt. Diese Form des Postkolonialismus findet man vor allem in Afrika. Peter Scholl-Latour hat vor einiger Zeit ein sehr interessantes Buch darüber geschrieben: „Afrikanische Totenklage. Der Ausverkauf des Schwarzen Kontinents“. Er konnte sehr einfach nachweisen, dass all die fürchterlichen Kriege in Afrika nach der Selbstständigkeit der Staaten letztlich Stellvertreterkriege der großen Firmen und ideologische Grabenkämpfe der Weltmächte USA/kommunistische Staaten waren. Vor allem die Amerikaner haben da immer die Finger im Spiel, um ihre Interessen zu wahren. Für ein gutes Geschäft wird gemordet, gefoltert und weiß Gott welche Perversitäten angeordnet. Wie sollen sich einfache und dazu noch ungebildete Menschen gegen diese Macht wehren? Es gibt da eigentlich nur zwei Wege. In Demut alles hinnehmen, was sich in Afrika zur Zeit noch abspielt oder radikal werden und alles zerstören. Die Frage ist, wer mehr zu verlieren hat, die Armen oder die Reichen. Für mich ist die Antwort ganz klar. Wenn wir Europäer kein Auto mehr fahren können, weil es kein Öl mehr gibt oder wenn ein Flugzeug in ein Hochhaus knallt, dann kracht bei uns die Börse in den Keller, Panik bricht aus, wir fühlen uns verloren. Wenn ein Wirbelsturm über die Grashütten in Afrika hinweg rauscht, sind diese zerstört, stehen aber wieder in drei Tagen. Die Menschen haben ihr Hab und Gut verloren, leiden in dem Sinne aber kaum, da es eh nicht viel zu verlieren gab. Sie haben aber ihren Zorn und Stolz, der für uns kaum zu verstehen ist. Ich finde die Menschen in Afrika nicht berechenbar, soweit ich das nach sechs Monaten sagen kann, was aber Langzeitexperten bestätigen. Sie können in einem Wahn töten und morden, der für uns nicht vorstellbar ist. Beispiele sind die Exzesse in Liberia und Sierra Leone.

Afrika scheint noch weit entfernt von Europa zu sein. Der Exodus findet aber schon statt. Ich erinnere da an die vielen Afrikaner, die auf unseren heiß geliebten Kanaren jeden Tag anlanden. Noch können wir unseren Urlaub nur einige Kilometer entfernt genießen, das kann sich aber schnell ändern. So hohe Zäune kann es nicht geben, dass Menschen sie nicht über-
winden könnten, wenn ihnen die Not keine andere Wahl lässt. Dann werden wir die afrikanischen Probleme am eigenen Leib spüren und erleben. Diese Emigranten werden sich nicht in unsere Lebensgemeinschaft integrieren lassen. Dazu ist die Lebensweise zu verschieden, der Bildungsstandard zu unterschiedlich. Die Kriminalitätsrate wird ansteigen, denn, was man mir nicht freiwillig gibt, das nehme ich mir, lautet die Devise. Wir Westler sind es nicht gewohnt uns entsprechend wehren zu müssen. Wahrscheinlich werden wir uns dann später in bewachten Wohngegenden wiederfinden, in denen wir unseren Rassismus pflegen können, da alles Böse von Außen kommt.

Jetzt bin ich aber etwas abgeglitten. Nun wieder zurück zu meinem derzeitigen kleinen Mikrokosmos. Viele der Menschen in Eikwe sind Fischer und leben seit Jahrhunderten von ihrer Arbeit. Seit etwa 5 – 8 Jahren besteht ein Abkommen zwischen der EU und den Regierungen Westafrikas. Der Fischfang innerhalb der staatlichen Fischereizonen wurde den großen Flotten erlaubt. Das Vertrags-
volumen beträgt etwa 40 Millionen Euro jährlich. Die großen Flotten haben unserer nordeuropäisches Meer leergefischt, jetzt geht es vor Afrika weiter. Der Wert der gefangenen Fische beträgt auf dem europäischen Markt etwa 200 Millionen Euro. Die Fischer von Eikwe fangen seitdem nur noch wenig. Ich sehe auf dem Markt selten einen großen Fisch und wenn, dann landet der unter Umständen noch auf unserem Tisch. Die kleinen Fische kann man nur räuchern, was den Nährwert beträchtlich schmälert. So haben die Fischer große Verdienstausfälle, das gute Eiweiß fehlt in der Nahrung, die Unterernährung nimmt zu. Einen Ausgleich des Verdienstausfalls gibt es nicht. Wer ist der Verlierer? Einen der Fischer habe ich gestern als Patienten gesehen. Die Tuberkulose war schnell diagnostiziert bei ihm. Er kann jetzt erst einmal für längere Zeit nicht arbeiten. Bei uns bekommt er die TB-Medizin kostenlos, die Kosten des Krankenhauses und die Begleitmedikation muss er aber selbst zahlen. Da sind seine wenigen Ersparnisse schnell aufgebraucht. Er hat noch Glück, dass er bei uns gelandet ist. Ein kleineres Krankenhaus, weiter westlich von uns, verkauft die Medikamente an die TB-Kranken, obwohl es Spenden aus Dänemark sind und auf der Packung steht, dass sie nicht verkauft werden dürfen! Die Patienten wissen das nicht, der betrügerische Arzt will das zusätzliche Einkommen, die Behörde will den Arzt nicht vergraulen, da sie froh ist, dass er überhaupt dort arbeitet. Es interessiert sie auch nicht wirklich. Eigentlich müsste der Staat viel mehr Geld für die Patienten ausgeben, da er Geld aus dem Topf der WHO bzw. des Global Fund bekommt. Schaut man auf die offizielle Seite des Gesundheitsministeriums von Ghana, dann wird die sogenannte DOTS TB Behandlung angeblich nach den Richtlinien der WHO durchgeführt. Das stimmt jedoch nicht, zumindest nicht in unserer Region. Nach den DOTS Richtlinien muss ein unabhängiger, allgemein respektierter Mensch die tägliche Medikamenteneinnahme überwachen. Das verlangt, eine entsprechende Infrastruktur in den Dörfern zu schaffen. Diese Mühe machte man sich von offizieller Seite nicht, und vom Personal unsres Hauses ist diese Aufgabe nicht auch noch zu schaffen. Es gibt im derzeitigen System lediglich Familienmitglieder, die die Therapie unter einander überwachen. Diese Form ist aber von den Geldgebern nicht gewollt, und sie funktioniert auch nicht. Entsprechend hoch ist die Rate der Therapieversager und der Patienten, die ihre Therapie vorzeitig abbrechen. Im Jahr 2007 waren das immerhin 15%, was unglaublich viel ist. Diese Zahlen findet man natürlich auf keiner offiziellen Verlautbarung des Staates. So kann keine sinnvolle TB-Therapie durchgeführt werden. Der Staat lässt die Menschen wieder allein. Da die antibiotische Therapie der TB sehr effektiv ist und schnell anschlägt, fühlen die Menschen sich schnell besser und sehen dann natürlich nicht ein, warum sie sich länger behandeln lassen und dafür Geld ausgeben sollten, Geld, das auch nicht vorhanden ist und für das sie sich verschulden müssten. In Indien dagegen habe ich gesehen, wie das DOTS-System funktionieren kann, wenn man sich bemüht und die entsprechende staatliche Unterstützung gewährleistet ist.

Ghana exportiert leckere Ananas. Diese wird während des Reifungsprozesses mit Chemikalien besprüht, die in Europa/USA/Indien hergestellt werden. Es ist das pure Gift. Im Beipackzettel steht, dass man beim Spritzen entsprechenden Schutz, Atemmasken etc. benutzen soll. Der Arbeiter kann das nicht lesen, den Planta-
genbesitzer interessiert das nicht, er will nicht in diese Dinge investieren. Der Arbeiter sprüht ohne jegliche Vorsichtsmaßnahmen. Dann kommt zu uns mit einer zunehmenden Luftnot. Man hört zwar kaum Lungengeräusch, der Mensch sieht noch irgendwie rosig aus. Im Röntgenbild sieht man allerdings dann eine schlimme atypische Pneumonie, die nur mit teuren Antibiotika intravenös behandelt werden kann. Wenn der Patient wieder gesund geworden ist, hat er seinen Job verloren, ca. 50 Euro Behandlungskosten gezahlt und einen Schaden an der Lunge, der ihn in Zukunft häufigere Entzündungen erleben lässt.

Über das Problem HIV/AIDS will ich heute nichts berichten. Das ist die Zeitbombe überhaupt. Das Problem bekommt Afrika nicht in den Griff, auch wenn es andere, offizielle Meinungen darüber gibt. Einzig eine Impfung könnte die jungen Leute retten. Die Infizierten sind verloren.

Manchmal habe ich das Gefühl, ich sollte von meiner medizinischen Arbeit Abstand nehmen und mich mehr politisch engagieren. Dann sehe ich jedoch die Politiker, die sich wichtiger nehmen als sie sind, denn Macht besitzen sie eh nicht. Sie lassen sich korrumpieren, weil sie ihr bisschen Ego bestätigt sehen wollen und kleben an ihrem Posten. Die Macht ist aber auf Seiten der großen, weltweiten Konzerne. Sie mani-
pulieren und suchen sich die Politiker aus, die ihnen genehm sind. Dazu habe ich wenig Lust und zudem kaum eine Chance. Gibt es unab-
hängige Organisationen, die wirklich etwas für die Armen und Rechtlosen machen und mit denen man arbeiten kann? Ich habe mich noch nicht bemüht, das genauer zu erforschen. Ist es nicht ebenso gut, auf dem Kissen zu sitzen und der Welt etwas von der guten Energie, die sich daraus ergibt, zukommen zu lassen? Ich beschäftige mich im Moment sehr viel mit Mystik und versuche in der Stille eine Antwort zu finden. Williges Jäger hat mir gesagt, dass der mystische Weg immer wieder zurück in die Welt und in die Weltverantwortung führt. „Er führt in Aktion, ins Handeln und zum Mitmenschen und ist Grundlage einer Ethik der Liebe, die im anderen Menschen sich selbst erkennt. Wir brauchen diese mystische Erfahrung, um die Erde und die Menschen heil in die Zukunft zu bringen“. Ich konnte es nie so gut ausdrücken wie Williges, habe die Wahrheit dieser Worte aber immer tief in meinem Innern gespürt. Im Moment überprüfe ich mich sehr, ob es für mich noch stimmig ist in solcher Aktion zu bleiben. Ich habe viel erlebt und eine Menge Erfahrungen gesammelt. Diese Erfahrungen gilt es neu zu überdenken. Ich fühle mich häufig allein. Renate fehlt mir, der Austausch mit meinen Freunden fehlt mir. Vieles geht in meinem Kopf herum und will bedacht sein.

Erstaunlicherweise ist es so, dass ich immer wieder Menschen ein wenig Mut machen kann, gerade dann, wenn ich stimmungsmäßig selbst etwas down bin. Dies wird dann an kleinen Begebenheiten deutlich. Gerade hier in Eikwe. Die Menschen sind schon froh, dass es dieses Krankenhaus gibt, von dem ich ein Mitglied geworden bin. Gelegentlich kommt doch ein leises Danke oder mal ein Handvoll Bananen. Was will ich mehr?

Also, bis in vier Wochen.
Euer Klaus

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