Freitag, 4. Juli 2008

Kann Afrika die westliche Welt kopieren?

Liebe Freunde,

Ihr fragt Euch jetzt sicherlich: über was will er denn heute berichten?
Ich bin nun schon fast ein Jahr in Afrika tätig, und mir fällt immer wieder auf, wie von Politikern versucht wird, die sogenannte „afrikanische Rückständigkeit“ schnellstens auszugleichen und Afrika ins 21. Jahrhundert zu katapultieren. Den guten Vorsatz will ich dabei nicht einmal in Frage stellen, es fehlt aber an genügend ausgebildeten Menschen, die die Pläne in die Tat umsetzen und mit Leben füllen könnten. Dazu einige Beispiele.

Der derzeitige Präsident hat - unter anderem mit dem Versprechen der Einführung einer Krankenversicherung - die Wahl gewonnen. Jeder Einwohner Ghanas hat nun die Möglichkeit sich zu versichern. Finanziert wird das System durch die Beiträge der Versicherten und einer Sondersteuer, also einem staatlichen Zuschuss.
Das Ganze begann vor zwei Jahren recht schleppend. Es gab Probleme mit der Aufklärung der Menschen, der Registrierung mit einem Pass und Foto etc... Natürlich waren die Akademiker und Stadtmenschen die Ersten, die sich versicherten. Bei uns auf dem Lande sind bislang nur wenige Menschen registriert. Sie brauchen mehr Zeit für die Aufklärung um zu verstehen, welche Vorteile ihnen diese Neuigkeit bringen kann. Das muss in den verschiedenen Stammessprachen geschehen. Und sie brauchen Geld, um den ersten Jahresbetrag zu zahlen. Auch wenn der nicht hoch ist, ist es doch für Viele eine nicht zu nehmende Hürde. Unser Personal nimmt sich wenn möglich Zeit, um die Kranken aufzuklären, leider ist Zeit aber immer knapp.

Jetzt haben schon viele Menschen für die Versicherung gezahlt und wollen auch etwas dafür bekommen. Ich will den Menschen in Ghana nicht einmal einen Vorwurf für diesen Anspruch machen, denn selbst von den „gebildeten Deutschen“ wird das Solidaritätssystem nicht verstanden.
Gerade bei meinem zweiten Aufenthalt fällt mir jedoch auf, dass die Versicherten mit jeder Kleinigkeit angelaufen kommen und Medizin einfordern. „Can not sleep at night”, “can not go to toilet”, “all body pain”. Einige kommen ohne eine Anamnese, einfach mit der Forderung nach einer Sonographie oder einem Röntgenbild. Wird es ihnen verweigert, können sie recht böse werden. Wie bei uns in Deutschland gibt es ein „Doktor hopping“, das heißt, ein Arzt nach dem anderen wird konsultiert. So kommt es zu Mehrfachverschreibungen und unnötigen Kosten. Davon mal abgesehen, ist es auch gefährlich für die Patienten. Sie bekommen mit der Medizin keine „Waschzettel“ wie bei uns, zumal sie deren Inhalt ohnehin nicht verstehen würden.

Die Operationsambulanz wird vermehrt frequentiert. Alle Männer mit Leistenbrüchen wollen operiert werden, die unfruchtbaren Frauen wollen chirurgische Eingriffe. Schwester Irmgard muss sich dann allerdings mit der Verwaltung der Versicherung um das Geld schlagen. Das angebotene Geld für die Operationen reicht nicht einmal zur Deckung der Selbstkosten. Verständlicherweise sind wir zurückhaltend mit unseren Operationen, Selbstzahler haben eine größere Chance auf die OP. Auf das uns zustehende Geld wartet die Verwaltung immer sehr lange und bekommt nie alle Rechnungen gezahlt, monatlichen Pauschalen sind völlig unbekannt. Wenn der Staat nicht seiner Zahlungspflicht nachkommt, wie soll dann die Versicherung zahlen können?

Seit gestern müssen wir Ärzte den Versicherungen Diagnosen mitteilen, die von trainierten Verwaltungsleuten codiert werden sollen. Das geschieht alles von Hand.
Wir Ärzte sollen den Patienten mitteilen, dass sie mit ihrem Hochdruck nur noch vier Mal im Jahr kommen dürfen und sollen die Medikamente gleich für drei Monate rezeptieren. Auf meine Frage, wer sich denn diesen Schwachsinn ausgedacht hat, bekam ich zur Antwort, dass wir Westler unsere Patienten auch nicht anders therapieren würden. Klug gedacht, dabei wird unterstellt, dass es sich um die gleichen Menschen mit gleichem Bildungsniveau handelt. Man setzt einen Menschen, der nur seinen Esel als Transporttier kennt, in ein Auto, sagt ihm wo die Bremse und das Gas ist und lässt ihn fahren. Man kann ihn sicher am nächsten Baum verletzt abholen.

Die politischen Vorgaben können so einfach nicht umgesetzt werden, was man den Wählern aber vorgaukelt. Es bedarf mehr vernünftig ausgebildeter Menschen, die beraten können und die gute Idee umsetzen. Das kostet Geld. Politiker sind überall auf der Welt gleich, sie versprechen Dinge, von denen sie schon im Vorherein wissen, dass sie nicht zu halten sind. Die Wähler sind auch überall dumm genug, ihnen die Lügen abzunehmen.

Zweites Beispiel. Im Zuge dieser Codierungs-
reform träumt unser Verwaltungschef von einer Vernetzung der Abteilungen mit Computern an jedem Arbeitsplatz. Hat ja auch jedes Krankenhaus in Europa und den USA. Wie das funktionieren soll, kann ich mir nun überhaupt nicht vorstellen. Die Ghanaer schaffen es ja noch nicht einmal unsere Telefonanlage zum Laufen zu bringen. Die Anlage hat von Anfang an nicht ordnungsgemäß gearbeitet. Ein deutscher Techniker konnte bei der vorhanden Installation kein System erkennen und Abhilfe schaffen. Obwohl die Firma aus Accra keine vernünftige Arbeit gemacht hat, kommt sie gerne zum Reparieren, da sie dafür trotzdem kassiert. Wie soll dann so eine EDV funktionieren?
Von der hohen Luftfeuchtigkeit in Eikwe will ich nicht einmal reden. Die Software und Menschen, die PCs bedienen können, werden sich finden lassen. Die Hardware kann jedoch niemand warten. Trotzdem wird es an vielen Orten versucht, im Vertrauen darauf, dass es irgendwie und halbwegs klappt.
Zum Glück verwaltet Schwester Irmgard das Geld mit eiserner Hand, und diese Hürde muss der liebe John, mein geschätzter Verwaltungschef, erst einmal nehmen.

Dass die Menschen in Ghana den Wunsch nach einem guten Leben und Fortschritt haben, ist nur zu verständlich. Sie sehen fern, haben Angehörige in Europa und den USA und wollen ihren Standard verbessern. Außerdem können sie sich der Globalisierung unserer Welt nicht entziehen. Dabei wird aber vergessen, dass es in der westlichen Welt ein langsamer, kontinuierlicher Weg war, auf dem auch wir Fehler gemacht haben. Die Afrikaner können diese Entwicklung nicht so einfach und schnell nachholen. Wenn sie es versuchen, werden sie krank, vor allem auch an ihrer Seele.
Einige der jungen Menschen, die die traditionellen Strukturen aufgebrochen haben, haben niemanden mehr, an dem sie sich orientieren können. Sie schauen auf den westlichen Konsum und sehen nicht, wie hart man dafür arbeiten muss und was er uns kostet. Häufig werden sie kriminell und schaden sich und anderen. Das Krankenhaus wurde gerade neulich um viel Geld betrogen, welches ein junger Mitarbeiter unterschlagen hat.

So ist meine Forderung immer wieder die Gleiche: steckt viel mehr Geld in die Bildung und setzt die trainierten Leute verantwortungs-
voll ein! Ich sehe jede Menge kluger Menschen um mich herum. Sie wollen lernen. Es gibt soviel geistiges Potential in Ghana und sicher in der gesamten Dritten Welt. Lasst die Menschen ausprobieren und ihren eigen Weg gehen. Gebt ihnen, was ihnen zusteht.
Es macht keinen Sinn sie mit Preisen für Energie und Lebensmittel auszunehmen, um dann später großzügig Darlehen zu gewähren, die sie wiederum teuer bezahlen müssen. Gerade jetzt explodieren die Preise für Benzin und die Grundnahrungsmittel in Ghana. Die Menschen können die Waren kaum noch bezahlen. Das Fahrtgeld zum Krankenhaus wird bald zu einer unüberbrückbaren Hürde werden, um sich noch behandeln zu lassen.
Reis und Mehl ist um fast 30% teurer geworden. Wenn das Geld bei uns in Deutschland für die Familie nicht mehr reicht, gibt es noch den Staat und die Sozialhilfe, die Menschen hier jedoch hungern, werden krank und sterben.
Ich bin kein Pessimist und sehe, dass das Leben weiter gehen wird. Die Menschen bemühen sich trotz all der Widrigkeit und haben trotzdem ihre Fröhlichkeit und Vertrauen ins Leben. Davon kann ich immer wieder lernen und könnte mir denken, das es manchen Menschen in unserer reichen Welt gut tun würde, sich so etwas anzuschauen.

Ich will nicht zu moralisch werden und schließe daher für heute meine Ausführungen,

Euer Klaus.

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Dienstag, 24. Juni 2008

Korruption

Liebe Freunde,

lange habe ich überlegt, ob ich darüber schreiben soll und wie ich es darstellen kann. Die Bestechung an allen Orten des täglichen Lebens in Ghana gehört aber zum Leben der Menschen hier, und daher sollte ich auch darüber berichten. Es ist ein Thema, das alle kennen und irgendwie auch akzeptieren, es redet aber niemand darüber, höchstens heimlich und hinter vorgehaltener Hand. Lediglich Auswüchse in größerem Rahmen werden verfolgt, und es wird versucht eine verlässliche Lösung zu finden. So auch in unserem Missionshospital.

Mir selbst fällt immer wieder auf, dass heimlich Geld zwischen den ghanaischen Schwestern ausgetauscht wird. Ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht, bis mir Schwester Gabi berichtete, dass sie immer wieder einschreiten müssten, wenn es zu offensichtlich wird. Grundsätzlich soll und darf es Bestechlichkeit in Eikwe nicht geben, verhindern lässt sie sich aber nicht.
Niemand von den Mitarbeitern aus dem Westen spricht die Sprachen der Patienten. Die meisten Patienten haben vielleicht Angst vor uns und den Folgen für sie, wenn sie sich über Korruptionen beschweren würden. Also spielen sie dieses Spiel bis zu einem gewissen Grad mit.
Ich wundere mich manchmal, wenn ich die Schwestern bitte einen Patienten von einer Liege in ein reguläres Bett zu verlegen, dass später jemand anderes darin liegt. Auf Nachfrage erhalte ich jede Menge Erklärungen, die mich selten befriedigen. Den Patienten wieder rauswerfen kann ich auch nicht. Die Hebammen bekommen auch immer etwas Extra zur Geburt, angeblich nur eine Seife, die sie schließlich zur Entbindung bräuchten. Es wurde ihnen aber vor längerer Zeit nachgewiesen, dass sie auch Geld verlangten, vor allem hohe Beträge von Frauen aus der Elfenbeinküste. Es gibt einen Disziplinarausschuss, der solche Vergehen bespricht und Konsequenzen aussprechen soll, Bestrafungen gibt es aber kaum. So erhalten die Betroffenen eine Verwarnung. Nicht einmal das Geld müssen sie zurückzahlen. Eine Krähe hackt der anderen schließlich kein Auge aus. Mich macht es immer traurig, wenn ich so ein Verhalten sehe, vor allem, wenn es sich dabei um Schwestern handelt, die ich sonst für ihren Einsatz schätze .

Die Schwestern zahlen ihrerseits wiederum Bestechungsgelder, wenn sie ihre Kinder in einer guten Schule unterbringen wollen. Von dem hohen Schulgeld mal abgesehen, bekommen die Schulleiter große Geldsummen, damit sie das Kind überhaupt zulassen. Ist diese Hürde geschafft, zocken die Lehrer die Eltern ab. Sie erwarten an ihrem Geburtstag eine Party, die von den Eltern finanziert wird. Pech haben diese dann, wenn noch ein Angehöriger des Lehrers stirbt, dann müssen sie auch noch einen Teil der Beerdigung zahlen.

An den Straßen stehen Polizeibeamte mit Laserpistolen. Es wird angeblich immer „zu schnell“ gefahren. Für den Staat nehmen die Polizisten wenig Geld ein. Warum wohl?
Frau Cooper, eine der Ärztinnen, hatte eine falsche Steuermarke an ihrem Auto. Das Auto sollte still gelegt werden. Erst nachdem sie zum dritten Mal die Papiere vorgezeigt hatte, die Banknote wurde natürlich größer, konnte sie fahren und hoffen, nicht in die nächste Kontrolle zu geraten.

Die drastischste Geschichte, die mir erzählt wurde, lautete folgendermaßen: Ein alter Mann musste notfallmäßig operiert werden. Zwei Enkelinnen betreuten ihn. Angeblich hatte der Arzt darauf bestanden mit beiden Frauen zu schlafen, bevor er bereit war zum Messer zu greifen. Der Großvater verbot es seinen Enkelinnen und verstarb nach all den Diskussionen. Keine erfundene Geschichte, die Quelle ist verlässlich.

Unsere deutschen Schwestern hatten sich bislang immer standhaft geweigert am Zoll und sonst wo irgendwelche Zahlungen zu leisten. So dauerte es immer, bis die entsprechenden Waren freigegeben wurden. Erst nachdem eine Zollbeamtin, die wohl etwas zu sagen hatte, bei uns erfolgreich behandelt wurde, erhöhte sich das Arbeitstempo. Einige Naturalien aus den Paketen aus Deutschland werden dann aber immer verteilt, über die man sich dann freut.

Nicht nur die sowieso schon armen Leute werden ausgenommen, auch die Reichen untereinander scheuen sich nicht, sich in die Tasche greifen zu lassen oder selbst die Hand aufzuhalten. So ist unser junger Kollege Dr. S. jetzt gerade nach Accra unterwegs, um seine ärztliche Zulassung zu verlängern. Es gilt, etliche Professoren aufzusuchen, die ihre Unterschrift zu leisten haben. Leider sind alle sehr beschäftigt, und es wird ihn reichliche Zeit kosten, den amtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Geld würde die Türen schneller öffnen. Uns fehlt er hier aber dringend.

Auf allerhöchster Stelle lässt sich man am meisten verdienen. Es gilt dann, die Familienangehörigen in entsprechende Positionen zu bringen. Haben diese Verantwortungen für den Handel und die Vergabe öffentlicher Aufträge, kommt dies praktisch einer Lizenz zum Gelddrucken gleich.

Das Verhalten unseres einheimischen Personals, wenn sie denn Geld verlangen, finde ich nicht zu entschuldigen. Sie selbst sind ohne jegliches Schuldgefühl für diese Handlungsweise. Mir ist klar, dass ich über sie urteile, ohne je selbst in so einem System gelebt zu haben, nur finde ich, dass doch irgendwo mal ein Anfang gemacht werden muss, damit sich auf dem Gebiet der Korruption etwas tut. Vielleicht würden öffentliche Diskussionen etwas bringen, mehr Demokratieverständnis und den Willen zur Veränderung. Davon aber ist Ghana sicher noch 50 Jahre entfernt.

Als Nebenbemerkung dazu möchte ich Euch noch etwas erzählen. Heute morgen habe ich einen Patienten in die Universität nach Accra verlegt. Er hatte wohl gute Beziehungen zum örtlichen katholischen Priester. Dieser stellte nämlich für die Verlegung sein Auto zur Verfügung. Einen neuen schicken japanischen Landcruiser mit Aircondition, Vierrad getrieben. Der Clou war ein transportabler DVD Player, an den Kopfstützen der Vordersitze angebracht, so wie ich es von den Familien-
kutschen aus Deutschland kenne. Im Hinblick auf die hohen Einfuhrzölle des Staates Ghana ist das eine große Investition. Wozu braucht der Mann so ein Auto? Es gibt keine Kirchensteuer in Ghana, nur die Kollekte am Sonntag und die Spenden aus Deutschland oder der weiteren Welt. Alle im Dorf wundern sich, doch niemand traut sich den Geistlichen zu kritisieren. Pfaffen sind halt auch nur Menschen. Vielleicht fühlen sie sich dem lieben Gott näher und ziehen daraus eine Berechtigung für Vorzugs-
behandlung?

Jetzt will ich aber meinen Mund halten, die schlechten Beispiele sollten reichen. Ein ganz anderes Licht fällt da für mich immer wieder auf unsere Ordensschwestern, die solchen Luxus nicht brauchen, geschweige denn wollen und die jeden Spendeneuro für die Armen ausgeben, ihre Kraft opfern und ihr Leben dieser Aufgabe gewidmet haben. Es sind Frauen, die Liebe nicht predigen, sondern leben.

Meine Zeit rast nur so dahin, am 18.7.08 bin ich wieder zurück. Bis dann

Euer Klaus

Samstag, 14. Juni 2008

Ghana , die Zweite

Liebe Freunde,

ich melde mich heute wieder aus Ghana. Ich arbeite seit dem 4.6.08 an altbekannter Stelle im Missionskrankenhaus in Eikwe. Der Empfang war sehr freundlich, es war eher ein großes Hallo, was mich sehr gefreut hat. So wurde ich noch am gleichen Abend in die anstehenden Probleme eingewiesen. Irgendwie hatte ich das Gefühl nur für ein Wochenende fort gewesen zu sein. Es hat sich nicht viel geändert, die Anzahl der Patienten hat - bedingt durch die Jahreszeit - weiter zugenommen.
Wir haben Regenzeit, es ist in der Nacht kühler als um die Jahreswende, tagsüber ist es heiß und feucht. Ein ideales Klima für die Malariamücke und alle Arten von Infektionen. Dazu kommt, dass die umliegenden Krankenhäuser und deren Personal noch fauler geworden sind. Die Ärzte verlassen ihre Kliniken am Freitag um 13 Uhr und tauchen irgendwann montags wieder auf. So versorgen wir auch noch deren Patienten mit Kaiserschnitten und sonstigen Notfällen.
Für mich ist es immer wieder unfassbar, wie man so verantwortungslos sein kann. Das Verhalten der Ärzte hat jedoch für sie keinerlei Konsequenzen, weil sich niemand für diesen Missstand interessiert. Die meist armen Patienten haben keine Lobby in diesem Land. Häufig genug kommen sie auch gleich zu uns und sparen sich den Umweg. Hier wird niemand abgewiesen, auch wenn das über die körperlichen und emotionalen Grenzen von Schwestern und Ärzten geht. Ich bin ja immer nur kurz in Eikwe, umso mehr bewundere ich die langjährig anwesenden Mitarbeiter für ihren Einsatz und die nicht enden wollende, aufopfernde Arbeit.

Ich möchte Euch heute über meine Erfahrungen in der Arbeit mit HIV/AIDS Kranken in Eikwe berichten. Da Dr. Cooper zur Zeit Urlaub hat, habe ich die Betreuung der Patienten in dieser Abteilung des Krankenhaus übernommen.
Der Einzugsbereich der Klinik ist sehr groß, die Patienten kommen von weit her. Das Gesundheitsministerium von Ghana hat ein nationales Programm erarbeitet, das sich an den Richtlinien der WHO orientiert. Sie haben die HIV Center mit all dem ausgerüstet, was man nach diesen Richtlinien zur Diagnostik und Therapie benötigt. Sie haben Kranken-
schwestern ausgebildet, die auch zu regelmäßigen Fortbildungen erscheinen müssen. Für Ärzte gibt es ähnliche Veranstaltungen. HIV Medikamente der ersten Generation sind ausreichend vorhanden, Tuberkulosemedikamente fehlen leider immer wieder. Das theoretische Konzept klingt gut, lässt Ghana in einem recht positiven Licht erscheinen und stellt die Geldgeber zufrieden.
Das Geld für dieses Programm kommt aus den Töpfen der WHO und dem Fund von Bill Gates, nur ist die Verteilung des Geldes nicht öffentlich. Es ist zu vermuten, dass ein großer Betrag anderweitig abgeschöpft wird. Dafür müssen die Patienten jeden Monat ca. 4 Euro für die Medikamente bezahlen plus ihre Fahrtkosten zum Hospital. Eine Menge Geld, wenn man bedenkt, dass sie häufig nicht mehr arbeiten können oder nur Minieinkommen haben. Eine neue Studie aus Kenia hat gezeigt, dass die Therapie gerade dort unverhältnismäßig häufig abgebrochen wird, wo die Patienten zahlen müssen. Ich unterstelle mal, dass, wenn das an Ghana gezahlte Geld insgesamt ausgeschüttet würde, die Behandlung von HIV kostenlos sein könnte.

Wenn ich nun das theoretische Konzept mit der Realität vergleiche, so kann man nur verzweifeln. Von staatlicher Seite geht man davon aus, dass die Konzepte, die in den westlichen Ländern erfolgreich sind, auch für Ghana gelten können, was aber völlig unrealistisch ist. Wie will ich einem Analphabeten und kaum gebildeten Menschen erklären, was Viren sind, wie sie den Körper zerstören und ihn töten? Alles muss mündlich vermittelt werden. Informationen können sie nicht lesen, das Internet nicht nutzen. Im Center gibt es einen Fernseher und ein DVD Gerät zur Aufklärung. Meistens laufen aber für die Menschen interessantere Dinge wie Kampffilme oder Soap Operas.
Es gibt vier Schwestern, die die Aufklärungs-
gespräche führen können, die sind jedoch ständig unter Zeitdruck. Gerade unsere Patienten bräuchten viel mehr Zeit, will heißen, wir benötigen mehr Personal, was es nicht gibt. Ein Arzt ist im Moment für mehr als 100 Patienten unter Therapie zuständig und einer weit größeren Anzahl HIV Positiver ohne Behandlung. Undenkbar in Deutschland.

Die Aufklärungskampagnen halte ich für nicht ausreichend. HIV wird wie Aussatz behandelt, man will nicht viel davon hören. Alles bleibt streng geheim und die Patienten verheimlichen häufig ihren Status. Auf den Krankenakten erscheint an einer Ecke klein die Zahl 279, das bedeutet HIV positiv. Einige Betroffene werfen ihre Karte fort, damit ihr Stigma sich auflöst, sie wollen und können ihre Erkrankung nicht akzeptieren. Beim nächsten Krankenhausbesuch verlangen sie eine neue Karte, schildern ihre Beschwerden und hoffen auf Hilfe. Wenn nicht zufällig eine Schwester sich an den Patienten erinnert, werden alle Untersuchungen erneut durchgeführt mit einem hohen Ansteckungspotential für alle Beteiligten.
Über ihre Verantwortungslosigkeit sind die Menschen hier sich noch nicht einmal bewusst. Für die meisten Patienten ist diese Krankheit nur ein persönliches Problem, an die Konsequenzen für den Partner, die Familie, geschweige für die Gesamtbevölkerung denken Wenige. Über den Gebrauch von Kondomen wird gesprochen, die Schwestern müssen ihnen die Gummis aber fast nachtragen.
So habe ich gestern bei einer Frau eine HIV Therapie begonnen, die im vierten Monat schwanger ist und seit sieben Monaten weiß, das sie positiv ist. Der Mann ist vor einigen Jahren gestorben, ebenso die letzten zwei Kinder. Sie hat einen Freund, der verheiratet ist. Nun wird er sicher auch seine Frau anstecken. Vielleicht war er ja noch negativ, bevor er seine Freundin kennen lernte, die sicher schon eine längere Zeit das Virus hat. Im Konzept der Regierung steht, dass eine gute Aufklärung Erfolg haben wird.

Heute kam eine HIV positive Frau nach einer häuslichen Entbindung in die Ambulanz. Sie war so stark gerissen, dass sie sehr viel Blut verloren hat und genäht werden musste. Das Blut ist sicher in ihrer Hütte verteilt, durch die Laken in die Matratze gelaufen. Die Schwiegermutter, die geholfen hat, hatte keine Handschuhe an oder sich auch nur irgendwie geschützt. Im Programm der WHO und Ghana steht, dass man bei HIV positiven Schwangeren - wenn möglich - einen Kaiserschnitt favorisieren soll.
Einen vorzeitigen Blasensprung gilt es zu vermeiden, Scheidenrisse sollte es nicht geben. Das Baby soll am besten mit wenig Körperflüssigkeiten der Mutter in Kontakt kommen. Darüber wurde diese Mutter im Vorfeld aufgeklärt, sie sollte bei uns entbinden. Die Schwiegermutter hat aber auf die Hausgeburt bestanden. „Was für mich gut war, ist mindestens genau so gut für Dich.“ Die Schwiegermutter wusste von der Erkrankung nichts, es wäre ihr sicher auch egal gewesen. So sahen wir das Baby noch früh genug, dass es wenigstens noch seine Prophylaxe bekommen konnte.
So weit klaffen Theorie und Praxis auseinander.

Dass die HIV Therapie wirkungsvoll ist, sehe ich auch in Eikwe. Die Menschen fühlen sich wieder besser und werden mitunter auch wieder arbeitsfähig. Ein positiver Effekt. Sie werden aber auch wieder sexuell aktiv, was ich vielfach als etwas Negatives sehe, wenn die Kranken nicht die entsprechenden Schutzvorkehrungen treffen. Sie fühlen sich halt nicht mehr krank und kommen dann auch nicht mehr zu den Kontrollen, sondern brechen die Therapie ab.
Für die Mitarbeiter ist es häufig schwer die Patienten zu suchen und zur Rede zu stellen. Es gibt kein Telefon, keine vernünftige Adresse. Am Fluss vierte Palme links, was immer das auch heißen mag.
So warten wir halt, bis der Betroffene wieder schwach, müde und abgemagert gebracht wird. Resistenzmessungen und andere spezialisierte Untersuchungen können wir nicht machen. So bleibt zu hoffen, dass die Medikamente, die wir noch zu Verfügung haben, wirken werden. Das ist die Realität, und ich weiß nicht, ob diese Daten in den Berichten an die Geldgeber erscheinen, oder wie die Statistiken aussehen. Wir melden unsere Zahlen korrekt an die übergeordnete Behörde.

Ich glaube fest, dass Ghana oder ganz Afrika das Problem HIV/AIDS nicht in den Griff bekommen wird. Es ist nicht damit geholfen eine Diagnostik und Therapie anzubieten, ohne die Lebens-
umstände der Menschen in Afrika oder der gesamten Dritten Welt zu verändern. Die HIV positiven Menschen in Afrika sterben sehr schnell, worüber ich immer wieder betroffen bin. Ich fände es weitaus sinnvoller, wenn das Geld für Bildung ausgegeben würde. Unsere Schwestern gehen häufig in Schulen, um mit Jugendlichen, die bald ihre Sexualität entdecken, zu reden. Sie versuchen eine umfassende Aufklärung zu geben und finden dabei eine große Aufmerksamkeit.
Das sollte die Zielgruppe aller Kampagnen sein, denn die bereits Erkrankten sind eigentlich schon verloren. Die Bildung und Aufklärung der jungen Bevölkerung ist dagegen eine Investition in die Zukunft. Leider denken Politiker selten an die Zukunft, da sie jetzt gewählt werden wollen und sofort vorzeigbare Ergebnisse wollen.

Noch einige Daten:
· derzeit gibt es weltweit etwa 40 Millionen HIV positive Menschen, davon leben ca. 90% südlich der Sahara, Tendenz steigend
· 5,7% oder 2,3 Millionen davon sind Kinder unter 15 Jahren, Tendenz steigend
· jede Minute stirbt ein Kind an einer durch HIV verursachten Erkrankung

Mehr will ich nicht dazu sagen, wir kämpfen in Eikwe weiter. Gibt es sonst andere Alternativen? Ich hoffe nur, dass es nicht schlimmer wird.

Jetzt gehe ich schlafen, der Freitag ist immer ein harter Tag.

Euer Klaus

Dienstag, 4. März 2008

Abschließende Gedanken

Liebe Freunde,

nun bin ich schon wieder 14 Tage in Bremen und bin immer noch sehr mit meinen Gedanken in Eikwe, zumal ich Ende Juni nochmals für 6 Wochen dort arbeiten werde. Dieser erneute Einsatz zeugt auch davon, dass ich mich mit der Arbeit und den vorgefundenen Bedingungen sehr wohl gefühlt habe im Vergleich zu der Arbeit im Sudan. Die Organisation „German Rotary Volunteer Doctors e.V.“, kurz GRVD, hält es für notwendig, regelmäßig deutsche Ärzte zur Unterstützung in das Missionshospital Eikwe zu entsenden.
Das wirft natürlich die Frage auf, warum Entwicklungsländer immer wieder diese Hilfe brauchen. Wo sind die ghanaischen Ärzte? Z.B. In London! Es gibt mehr ghanaische Ärzte in London als in der Hauptstadt Accra, ganz zu schweigen von den ländlichen Regionen. Ich habe gehört, das 80% der in Ghana oder für Ghana ausgebildeten Ärzte im Ausland arbeiten. Das sogenannte „Brain Drain“ Afrikas. Warum muss das so sein? Ich kann einerseits die afrikanischen Kollegen verstehen, dass sie sich für sich und ihre Familie ein besseres Leben wünschen, andererseits sind sie aber ihrem Land und den Menschen zu einem gewissen Dank verpflichtet. Wenn immer wieder Eliten das Land verlassen, kann sich kein wirklicher Fortschritt entwickeln. Der Kollege Cooper hat in Russland Medizin studiert. Russland hat für lange Jahre die Ausbildung von Afrikanern unterschiedlicher Nationen finanziert, warum auch immer. Es war wohl noch ein Relikt aus den Zeiten des kalten Krieges und der Einflussnahme auf diesen Kontinent. Danach hat Dr. Cooper eine erste Stelle in Eikwe gefunden. Die war an sich schon untypisch, da die meisten Ärzte in großen Städten arbeiten wollen. Nach zwei Jahren in Eikwe hat er ein Stipendium bekommen und in Deutschland eine gynäkologischen Facharztausbildung erhalten, die ihm auch die Möglichkeit gegeben hätte, bei uns zu arbeiten und zu leben. Er ist aber zurück in den Busch gegangen. Seine Motivation war die Entwicklung Ghanas und seine Liebe zu den Menschen dort. Diese Einstellung muss aus dem Herzen kommen, man kann sie kaum lernen.
Da den meisten afrikanischen Ärzten so ein Mitgefühl fehlt, muss man ihnen das Bleiben abringen. Das kann der ghanaische Staat nur bedingt leisten. Ein finanzieller Anreiz und die Aussicht auf eine ausländische Facharzt-
ausbildung wären sicher eine Verlockung. Dazu gehört aber auch die Mitarbeit der westlichen Staaten. Sie müssten den afrikanischen Ärzten nach der Facharztausbildung eine Anstellung verweigern. Dann und nur dann würden die Kollegen in Afrika bleiben, da ihnen die fehlende finanzielle Basis in den westlichen Ländern entzogen würde. Die entwickelten Staaten und das Kapital bedienen sich aber an dem afrikanischen geistigen Potenzial und Reichtum in jeglicher Hinsicht und es ist ihnen egal, wie es dem Land in der Ferne und seinen Menschen ergeht. Das schlechte Gewissen wird durch Spenden verdrängt, am wirkungsvollsten, wenn uns von neuen Katastrophen berichtet wird. Wir entsorgen dort unseren Müll, unsere alten Autos (in Ghana dominiert Opel), zerstören ihre Landschaft und betrachten es irgendwie als gutes Recht, legitimiert durch die Zahlung der Waren und Leistungen, wobei das Kapital des Westens den Preis bestimmt. Die Zahlung von Entwicklungshilfe gibt dem Ganzen dann noch ein humanes Mäntelchen. Die Frage nach Gewinnern und Verlierern ist schnell beantwortet.

Die kranken Menschen in Ghana sind die Verlierer, wenn man die medizinische Situation betrachtet. Daher finde ich es auch richtig, dass deutsche Ärzte kommen und sich um diese Menschen kümmern. Ebenso gilt es, die afrikanischen Ärzte zu unterstützen und zu motivieren. Ich empfand unsere Zusammenarbeit in Eikwe als sehr kollegial und befruchtend. Wir haben jeder voneinander gelernt und einander unser Wissen zur Verfügung gestellt. Ich habe einen Schnell-
durchgang durch die Gynäkologie erlebt und konnte die neuen Diagnostik- und Behandlungsmethoden in der inneren Medizin und Tropenmedizin vermitteln. Gemeinsam wurden neue Standards und Richtlinien definiert. So habe ich es mir immer gewünscht in Deutschland zu arbeiten, nur leider viel zu selten erlebt. Auch hier können wir von unseren afrikanischen Kollegen lernen.

So gut wie wir z.B. in Deutschland ausgebildet sind, so gut können wir als Ärzte in Afrika nie sein. Zum einen fehlt uns häufig die technische Ausrüstung, von der wir abhängig geworden sind, zum anderen fehlt uns das Verständnis für die fremde Kultur und Sprache. Auch da haben uns die afrikanischen Ärzte Einiges voraus. Ärztliche Arbeit lebt von der Sprache, darüber bekommen wir einen Zugang zu den Patienten. Wenn sie mir ihr Leid erzählen, ist vielfach schon geholfen. Sie können Vertrauen schöpfen, wenn ich meine Anteilnahme ausdrücke. Ich rede aber nicht in ihrer Muttersprache und muss alles übersetzen lassen. Was davon dann zum Patienten gelangt und in welcher Form, entzieht sich meiner Kenntnis. Viel liegt dabei auch an der Motivation und Erfahrung des Übersetzers. Wegen dieser Sprachbarriere sind immer wieder eigene Erfahrung, gute medizinische Kenntnisse und der klinische Blick gefragt. Ich bin zwar jetzt seit 10 Jahren mit der Drittweltarbeit vertraut, kann aber nicht sagen, dass ich immer richtig liege mit meiner Diagnostik und Therapie, wenn ich die Ergebnisse meiner Arbeit sehe. Es gibt im Kontakt mit den Menschen so viele Unwägbarkeiten, die in diese Arbeit einfließen. Sie lassen einen manchmal verzweifeln. Da fangen plötzlich Wunden an zu eitern ohne erkennbaren Grund. Später erfahre ich, dass die Angehörigen dem Operierten eine Masse auf den Bauch oder die Wunde geschmiert haben, die alles sein kann bis zum Morgenurin der Ziege. Von den jungen Menschen, die im Nierenversagen sterben, habe ich schon berichtet. Im Sudan habe ich Menschen in einem zentralen Fieber versterben sehen, auch sie hatten aus irgendeinem Grund Kräuter von Fetischpriestern bekommen. Für uns in Deutschland unvorstellbar, in Afrika die Regel.
Jeder Ort in der dritten Welt, an dem ich gearbeitet habe, hatte seine eigenen Probleme und Eigenarten. Sie mussten mir erklärt werden, meine Aufmerksamkeit musste darauf gerichtet werden, die einheimischen Kollegen kennen die Details, manchmal sogar die Menschen, die für die Probleme verantwortlich sind. So muss man irgendwie versuchen, einen Zugang zu den Menschen zu finden.
Anfänglich war ich nur sauer, aber auf wen? Ich bemerkte, dass ich der Außenseiter war, und dieses Gefühl behagte mir nicht. Ich habe dann versucht, nicht nur die Unvollkommenheiten zu beklagen, sondern auch das Positive zu sehen und zu betonen. Erst da bekam ich einen besseren Zugang zu den Menschen und ihren Problemen. So haben wir in Eikwe eine Zusammenarbeit mit einem Heiler begonnen, der schon seit vielen Jahren Knochenbrüche in der Region behandelt. Ich hatte in Deutschland von einer Frakturbehandlung nach Samiento gehört. Genau nach diesem Verfahren arbeitet der Bone Setter in Eikwe. Er hat zwar nicht so schöne Plastikmanschetten wie wir in Deutschland, sein fein bearbeiteter Bambus hat aber die gleiche Wirkung. Wir haben ihn angesprochen, da uns der Gips fehlte und ich ihn außerdem gerne kennen lernen wollte. Ich habe ihm zugeschaut und bin von seiner Arbeit nun überzeugt. Er schickt die Patienten in bestimmten Abständen zum Röntgen und wir sehen den Erfolg. Allen ist dabei geholfen. Der Heiler fühlt sich akzeptiert, er schickt uns Patienten, die zusätzliche Hilfe brauchen, der Patient bekommt eine kostengünstige Behandlung ohne Messer und Infektionen, das Hospital wird noch besser akzeptiert.

Ich habe es aufgegeben die Menschen verstehen zu wollen. In dieses Verstehenwollen fließt immer eine, vor allem meine, Wertung und Bewertung mit ein. Dieser Fakt verbaut mir aber den Zugang zu einer fremden Kultur. Ich versuche sie zu nehmen, wie sie ist, was nicht heißen soll, dass ich alles kritiklos schlucke. Ich kenne meine Grenzen und versuche diese deutlich zu machen, genau so wie ich ihre Grenzen akzeptiere und sie nicht überschreite. Manchmal ist das ein mühevolles Unterfangen. Es lässt mich aber in der fremden Kultur überleben. Das ist meine Erfahrung in all den Jahren meiner Arbeit und des Reisens in fremde Länder. Respekt vor den Menschen zu haben ist mir wichtig, Mitgefühl und Liebe für den Nächsten zu praktizieren. Dabei ist es unerheblich, wie gut oder schlecht der Mensch gekleidet ist, welcher Religion er angehört oder wie „gebildet“ er ist.
Der Dalai Lama sagte einmal: „Wenn wir das Mitgefühl sorgfältig pflegen, werden wir sehen, dass es die anderen guten menschlichen Eigenschaften hervorbringt“. Die Liebe zu den Menschen und die Vermittlung dieser Haltung öffnet Tore. Meines Erachtens ist Liebe die Grundlage des Mitgefühls. Liebe und Mitgefühl sind an keine Lehre oder Überzeugung gebunden, auch an keine Religion. Sie sind der Ursprung des Lebens selbst. Sie sind das, worauf sich wahre Menschlichkeit gründet.

So fahre ich auch ein zweites Mal und wohl auch noch des öfteren nach Eikwe. Ich werde weiterhin versuchen etwas von mir zu geben, versuchen zu lernen und zu wachsen. Auf die Kollegen und Mitarbeiter freue ich mich. Ich weiß, dass ich wieder viel arbeiten muss, diese Arbeit aber macht mich zufrieden. Der oft stumme Dank der Kranken und das fröhliche Lachen der wieder genesenen Kinder machen mir ein gutes Gefühl. Ich lebe!

Meine freie Zeit nutze ich im Moment auch für Dinge, die sonst liegen bleiben. So findet Ihr unter www.picasaweb.google.de/dr.med.klauseckert ein Fotoalbum von mir. Zur Zeit gibt es Bilder aus Ghana, dem Sudan, Nepal und von einigen von Euch. Die Galerie wird je nach Zeit erweitert.

Ich wünsche Euch allen einen blühenden Frühling
Euer
Klaus

Montag, 28. Januar 2008

Ach, Afrika, Teil drei

Liebe Freunde,

heute beginnen meine letzten vier Wochen in Eikwe. Es ist sicher noch nicht die Zeit, um ein Fazit zu ziehen, es scheint aber so, dass es heute hier etwas ruhiger zugehen wird - was sich in Eikwe allerdings schnell ändern kann. So nutze ich die Zeit, um mich wieder bei Euch zu melden. Die Schwestern beten schon den ganzen Morgen, und die Action Church lärmt im Hintergrund. Es scheint eine Art von Sekte zu sein, von denen es viele in Ghana gibt. Diese Kirche zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Gottesdienste enorm laut sind, es wird viel getrommelt, und dazwischen wird Jesus! geschrieen oder ein Halleluja!. Also Action im Sinne des Wortes. Das dauert immer so etwa drei Stunden, und die Menschen kommen ziemlich verschwitzt, aber strahlend, aus der Bretterbude heraus, die sie sich als Versammlungsraum gezimmert haben. Diese Form von Gottesdienst scheint den Menschen in Afrika am liebsten zu sein.
Der Sonntag ist den Menschen hier heilig und etwas Besonderes. Das erinnert mich an meine Kindheit. Auch damals wurde für meinen Vater der Sonntagsanzug herausgelegt und wir Kinder bekamen eine ähnliche Verkleidung verpasst. Fürchterlich, da man sich nicht schmutzig machen durfte und der Tag irgendwie kein Ende zu nehmen schien. Immerhin blieb uns später der Kirchgang erspart. Hier ist der Besuch der Kirche aber die einzige Abwechslung vom täglichen Trott und dem immer währenden Kampf ums Überleben. Wenn man noch nie in solchen Verhältnissen gelebt hat, kann man sich das kaum vorstellen. Da die wenigsten von Euch solche Erfahrungen kennen, möchte ich einfach mal einige Schicksale beschreiben. Ich blicke jetzt auf zehn Jahre Arbeit in Drittweltländern zurück und kann sagen, dass es dabei egal ist, ob man in Südamerika, Asien oder Afrika tätig ist. Dort, wo es Armut gibt, leiden die Menschen und werden zwangsläufig krank und sterben früh. Diese Situation ist überall ähnlich.

Ich will jetzt nicht über die einzelnen Kulturen sprechen, da gibt es sicher Unterschiede, und der Wille zur Veränderung ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Eines ist jedoch offensichtlich: die Armut ist nicht selbst verursacht und die Menschen werden kaum eine Chance haben, sich aus dem Dreck zu ziehen, wenn sich die Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft und der Globalisierung in Zukunft nicht wesentlich ändern. Die Menschen in den Drittweltländern sind seit jeher ausgebeutet worden, und diese Ausbeutung hält unverändert an. Wir Weißen versklaven sie nicht mehr im ursprünglichen Sinne, wir geben ihnen aber einfach nicht, was ihnen zusteht, und so betrügen wir sie weiterhin. Die Macht des Kapitals, das Geld der weltweit operierenden Firmen, hat ein Monopol aufgebaut, das billig Arbeitskräfte einkauft, die Bodenschätze der Länder plündert und zerstörte Landschaften zurück lässt. Die Menschen, die bleiben müssen, werden allein gelassen und sterben an den Folgen des Raubbaus. Sie haben sowieso nicht viel von der Ausbeutung der Bodenschätze gehabt. Die gut dotierten Posten gehören den Weißen, die einfache Arbeit bleibt über. Arbeitsschutz ist dabei ein Fremdwort. Das tägliche Leben wird teurer, die Töchter prostituieren sich, wollen raus aus dem Dreck, aber der „Freund“ wird sie nicht mitnehmen... Er hinterlässt, wenn die Mädchen Glück haben, nur ein Kind, wahr-
scheinlicher ein Kind und HIV. Das Kapital zieht weiter auf seinen Beutezügen, ohne sich Gedanken über die Folgen zu machen. Dem Ganzen wird ein Mäntelchen der Legalität umgehängt, indem man Verträge mit den jeweiligen korrupten einheimischen Politikern abschließt. Das Geld wandert wiederum auf europäische Konten der Potentaten und wird in Villen in London, in der Schweiz oder sonst wo investiert. Die großen Firmen haben sogar Privatarmeen in Afrika, um zum Beispiel ihre Diamanten oder Goldminen zu schützen. Es wird auch vor keinem Tyrannenmord zurück-
geschreckt, wenn es dem Profit nutzt. Diese Form des Postkolonialismus findet man vor allem in Afrika. Peter Scholl-Latour hat vor einiger Zeit ein sehr interessantes Buch darüber geschrieben: „Afrikanische Totenklage. Der Ausverkauf des Schwarzen Kontinents“. Er konnte sehr einfach nachweisen, dass all die fürchterlichen Kriege in Afrika nach der Selbstständigkeit der Staaten letztlich Stellvertreterkriege der großen Firmen und ideologische Grabenkämpfe der Weltmächte USA/kommunistische Staaten waren. Vor allem die Amerikaner haben da immer die Finger im Spiel, um ihre Interessen zu wahren. Für ein gutes Geschäft wird gemordet, gefoltert und weiß Gott welche Perversitäten angeordnet. Wie sollen sich einfache und dazu noch ungebildete Menschen gegen diese Macht wehren? Es gibt da eigentlich nur zwei Wege. In Demut alles hinnehmen, was sich in Afrika zur Zeit noch abspielt oder radikal werden und alles zerstören. Die Frage ist, wer mehr zu verlieren hat, die Armen oder die Reichen. Für mich ist die Antwort ganz klar. Wenn wir Europäer kein Auto mehr fahren können, weil es kein Öl mehr gibt oder wenn ein Flugzeug in ein Hochhaus knallt, dann kracht bei uns die Börse in den Keller, Panik bricht aus, wir fühlen uns verloren. Wenn ein Wirbelsturm über die Grashütten in Afrika hinweg rauscht, sind diese zerstört, stehen aber wieder in drei Tagen. Die Menschen haben ihr Hab und Gut verloren, leiden in dem Sinne aber kaum, da es eh nicht viel zu verlieren gab. Sie haben aber ihren Zorn und Stolz, der für uns kaum zu verstehen ist. Ich finde die Menschen in Afrika nicht berechenbar, soweit ich das nach sechs Monaten sagen kann, was aber Langzeitexperten bestätigen. Sie können in einem Wahn töten und morden, der für uns nicht vorstellbar ist. Beispiele sind die Exzesse in Liberia und Sierra Leone.

Afrika scheint noch weit entfernt von Europa zu sein. Der Exodus findet aber schon statt. Ich erinnere da an die vielen Afrikaner, die auf unseren heiß geliebten Kanaren jeden Tag anlanden. Noch können wir unseren Urlaub nur einige Kilometer entfernt genießen, das kann sich aber schnell ändern. So hohe Zäune kann es nicht geben, dass Menschen sie nicht über-
winden könnten, wenn ihnen die Not keine andere Wahl lässt. Dann werden wir die afrikanischen Probleme am eigenen Leib spüren und erleben. Diese Emigranten werden sich nicht in unsere Lebensgemeinschaft integrieren lassen. Dazu ist die Lebensweise zu verschieden, der Bildungsstandard zu unterschiedlich. Die Kriminalitätsrate wird ansteigen, denn, was man mir nicht freiwillig gibt, das nehme ich mir, lautet die Devise. Wir Westler sind es nicht gewohnt uns entsprechend wehren zu müssen. Wahrscheinlich werden wir uns dann später in bewachten Wohngegenden wiederfinden, in denen wir unseren Rassismus pflegen können, da alles Böse von Außen kommt.

Jetzt bin ich aber etwas abgeglitten. Nun wieder zurück zu meinem derzeitigen kleinen Mikrokosmos. Viele der Menschen in Eikwe sind Fischer und leben seit Jahrhunderten von ihrer Arbeit. Seit etwa 5 – 8 Jahren besteht ein Abkommen zwischen der EU und den Regierungen Westafrikas. Der Fischfang innerhalb der staatlichen Fischereizonen wurde den großen Flotten erlaubt. Das Vertrags-
volumen beträgt etwa 40 Millionen Euro jährlich. Die großen Flotten haben unserer nordeuropäisches Meer leergefischt, jetzt geht es vor Afrika weiter. Der Wert der gefangenen Fische beträgt auf dem europäischen Markt etwa 200 Millionen Euro. Die Fischer von Eikwe fangen seitdem nur noch wenig. Ich sehe auf dem Markt selten einen großen Fisch und wenn, dann landet der unter Umständen noch auf unserem Tisch. Die kleinen Fische kann man nur räuchern, was den Nährwert beträchtlich schmälert. So haben die Fischer große Verdienstausfälle, das gute Eiweiß fehlt in der Nahrung, die Unterernährung nimmt zu. Einen Ausgleich des Verdienstausfalls gibt es nicht. Wer ist der Verlierer? Einen der Fischer habe ich gestern als Patienten gesehen. Die Tuberkulose war schnell diagnostiziert bei ihm. Er kann jetzt erst einmal für längere Zeit nicht arbeiten. Bei uns bekommt er die TB-Medizin kostenlos, die Kosten des Krankenhauses und die Begleitmedikation muss er aber selbst zahlen. Da sind seine wenigen Ersparnisse schnell aufgebraucht. Er hat noch Glück, dass er bei uns gelandet ist. Ein kleineres Krankenhaus, weiter westlich von uns, verkauft die Medikamente an die TB-Kranken, obwohl es Spenden aus Dänemark sind und auf der Packung steht, dass sie nicht verkauft werden dürfen! Die Patienten wissen das nicht, der betrügerische Arzt will das zusätzliche Einkommen, die Behörde will den Arzt nicht vergraulen, da sie froh ist, dass er überhaupt dort arbeitet. Es interessiert sie auch nicht wirklich. Eigentlich müsste der Staat viel mehr Geld für die Patienten ausgeben, da er Geld aus dem Topf der WHO bzw. des Global Fund bekommt. Schaut man auf die offizielle Seite des Gesundheitsministeriums von Ghana, dann wird die sogenannte DOTS TB Behandlung angeblich nach den Richtlinien der WHO durchgeführt. Das stimmt jedoch nicht, zumindest nicht in unserer Region. Nach den DOTS Richtlinien muss ein unabhängiger, allgemein respektierter Mensch die tägliche Medikamenteneinnahme überwachen. Das verlangt, eine entsprechende Infrastruktur in den Dörfern zu schaffen. Diese Mühe machte man sich von offizieller Seite nicht, und vom Personal unsres Hauses ist diese Aufgabe nicht auch noch zu schaffen. Es gibt im derzeitigen System lediglich Familienmitglieder, die die Therapie unter einander überwachen. Diese Form ist aber von den Geldgebern nicht gewollt, und sie funktioniert auch nicht. Entsprechend hoch ist die Rate der Therapieversager und der Patienten, die ihre Therapie vorzeitig abbrechen. Im Jahr 2007 waren das immerhin 15%, was unglaublich viel ist. Diese Zahlen findet man natürlich auf keiner offiziellen Verlautbarung des Staates. So kann keine sinnvolle TB-Therapie durchgeführt werden. Der Staat lässt die Menschen wieder allein. Da die antibiotische Therapie der TB sehr effektiv ist und schnell anschlägt, fühlen die Menschen sich schnell besser und sehen dann natürlich nicht ein, warum sie sich länger behandeln lassen und dafür Geld ausgeben sollten, Geld, das auch nicht vorhanden ist und für das sie sich verschulden müssten. In Indien dagegen habe ich gesehen, wie das DOTS-System funktionieren kann, wenn man sich bemüht und die entsprechende staatliche Unterstützung gewährleistet ist.

Ghana exportiert leckere Ananas. Diese wird während des Reifungsprozesses mit Chemikalien besprüht, die in Europa/USA/Indien hergestellt werden. Es ist das pure Gift. Im Beipackzettel steht, dass man beim Spritzen entsprechenden Schutz, Atemmasken etc. benutzen soll. Der Arbeiter kann das nicht lesen, den Planta-
genbesitzer interessiert das nicht, er will nicht in diese Dinge investieren. Der Arbeiter sprüht ohne jegliche Vorsichtsmaßnahmen. Dann kommt zu uns mit einer zunehmenden Luftnot. Man hört zwar kaum Lungengeräusch, der Mensch sieht noch irgendwie rosig aus. Im Röntgenbild sieht man allerdings dann eine schlimme atypische Pneumonie, die nur mit teuren Antibiotika intravenös behandelt werden kann. Wenn der Patient wieder gesund geworden ist, hat er seinen Job verloren, ca. 50 Euro Behandlungskosten gezahlt und einen Schaden an der Lunge, der ihn in Zukunft häufigere Entzündungen erleben lässt.

Über das Problem HIV/AIDS will ich heute nichts berichten. Das ist die Zeitbombe überhaupt. Das Problem bekommt Afrika nicht in den Griff, auch wenn es andere, offizielle Meinungen darüber gibt. Einzig eine Impfung könnte die jungen Leute retten. Die Infizierten sind verloren.

Manchmal habe ich das Gefühl, ich sollte von meiner medizinischen Arbeit Abstand nehmen und mich mehr politisch engagieren. Dann sehe ich jedoch die Politiker, die sich wichtiger nehmen als sie sind, denn Macht besitzen sie eh nicht. Sie lassen sich korrumpieren, weil sie ihr bisschen Ego bestätigt sehen wollen und kleben an ihrem Posten. Die Macht ist aber auf Seiten der großen, weltweiten Konzerne. Sie mani-
pulieren und suchen sich die Politiker aus, die ihnen genehm sind. Dazu habe ich wenig Lust und zudem kaum eine Chance. Gibt es unab-
hängige Organisationen, die wirklich etwas für die Armen und Rechtlosen machen und mit denen man arbeiten kann? Ich habe mich noch nicht bemüht, das genauer zu erforschen. Ist es nicht ebenso gut, auf dem Kissen zu sitzen und der Welt etwas von der guten Energie, die sich daraus ergibt, zukommen zu lassen? Ich beschäftige mich im Moment sehr viel mit Mystik und versuche in der Stille eine Antwort zu finden. Williges Jäger hat mir gesagt, dass der mystische Weg immer wieder zurück in die Welt und in die Weltverantwortung führt. „Er führt in Aktion, ins Handeln und zum Mitmenschen und ist Grundlage einer Ethik der Liebe, die im anderen Menschen sich selbst erkennt. Wir brauchen diese mystische Erfahrung, um die Erde und die Menschen heil in die Zukunft zu bringen“. Ich konnte es nie so gut ausdrücken wie Williges, habe die Wahrheit dieser Worte aber immer tief in meinem Innern gespürt. Im Moment überprüfe ich mich sehr, ob es für mich noch stimmig ist in solcher Aktion zu bleiben. Ich habe viel erlebt und eine Menge Erfahrungen gesammelt. Diese Erfahrungen gilt es neu zu überdenken. Ich fühle mich häufig allein. Renate fehlt mir, der Austausch mit meinen Freunden fehlt mir. Vieles geht in meinem Kopf herum und will bedacht sein.

Erstaunlicherweise ist es so, dass ich immer wieder Menschen ein wenig Mut machen kann, gerade dann, wenn ich stimmungsmäßig selbst etwas down bin. Dies wird dann an kleinen Begebenheiten deutlich. Gerade hier in Eikwe. Die Menschen sind schon froh, dass es dieses Krankenhaus gibt, von dem ich ein Mitglied geworden bin. Gelegentlich kommt doch ein leises Danke oder mal ein Handvoll Bananen. Was will ich mehr?

Also, bis in vier Wochen.
Euer Klaus

Montag, 14. Januar 2008

Ach, Afrika, zweiter Teil

Aus dem Sudan hatte ich ja schon berichtet, wie schwer es mir fällt, die Afrikaner zu verstehen. Ich hatte allerdings gehofft, dass es vielleicht nur in diesem vom Bürgerkrieg so zerstörten Land so sein würde, da die Menschen dort nur Krieg kennen, Krieg, der sie zu dem werden ließ, was ich erlebt und beschrieben habe. Ghana dagegen ist ein freies Land und politisch stabil, dennoch erlebe ich die Menschen in Eikwe ähnlich wie die Menschen, die 2.000 km weiter östlich leben. Die sprichwörtliche afrikanische Fröhlichkeit erscheint mir oberflächlich und als Teil einer Kultur, die mir kaum zugänglich ist. Es wird getanzt und alles locker gesehen; immer ist man dabei auf den eigenen Vorteil und den der Familie bedacht. Um sich einen Vorteil zu verschaffen, benutzt man alle Tricks, die zur Verfügung stehen. Die Ehrlichkeit bleibt dabei auf der Strecke. Ich finde es sehr befremdlich, dass ich den Menschen eigentlich nie trauen kann. Man wird immer wieder so offensichtlich belogen, dass ich nur noch vorsichtig und teilweise sehr misstrauisch bin, was ganz gegen meine Natur ist und mir Kummer bereitet, weil so nicht sein will. Normalerweise begegne ich den Menschen in meiner offenen Art und Weise, die viele von Euch kennen, die aber sicher in Afrika nicht üblich ist. So verstehen sie mich wohl auch nicht, weil sie es nicht gewohnt sind, dass es jemand gut mit ihnen meint. Sie sind eher damit vertraut, dass man sie anschreit und warten lässt. Wie man dieses Knäuel auflösen kann, dafür fehlt mir jede Vorstellung.

Der Stamm der Ensema, der zu unserem Einzugsgebiet hört, hat über viele Jahrhunderte ziemlich isoliert gelebt und mehr Kontakt zu den Menschen der Elfenbeinküste als zu denen im eigenen Land gehabt. Die Ensema sind ein stolzes Volk und lassen Außenstehende wenig Raum Fuß zu fassen. Das gilt sowohl für Weiße als auch für Schwarze. Irgendwann kamen die Missionare, die Händler und Kaufleute, die ihren Regenwald abholzten, und es kam zur Gründung dieses Krankenhauses und zum Kontakt mit der westlichen Medizin. Mit dieser Entwicklung kam nicht unbedingt eine Verbesserung ihres Lebensstandards zustande. Auch die Tatsache, dass heute in jeder einfachen Hütte ohne Strom und Wasser ein mobiles Telefon klingelt, bedeutet keine wesentliche Aufwertung ihres Lebens. Die Menschen glauben allerdings, dass der Besitz eines Handys den modernen Menschen ausmacht. Die Telekom-
firmen sind in der Hand von Franzosen und Südafrikanern. Das Analphabetentum ist noch enorm hoch, trotz einer staatlichen Schul-
pflicht. Die Schulen in unserer Umgebung sind aber schlecht, und die etwas wohlhabenderen Menschen schicken ihre Kinder in die größere Stadt zu Verwandten. Deutlicher Ausdruck der fehlenden Bildung ist das enorme Bevölkerungs-
wachstum. Jede Frau bekommt in ihrem Leben acht bis zehn Kinder, von denen häufig die Hälfte in den nächsten Jahren wieder stirbt. Die Fehlgeburten und induzierten Aborte sind dabei nicht mit eingerechnet. Für diese Fälle ist das Hospital ein wirklicher Segen für die Frauen und Kinder.

Bevor man jedoch ins Krankenhaus geht, versucht man immer zuerst bei einem lokalen Heiler Hilfe zu bekommen. Das hat vielerlei Gründe. Er ist billiger als unser Krankenhaus, man hat den Heiler vor Ort, man ist ihnen verpflichtet und man hat Angst vor ihnen. Der Heiler gehört zu einer Jahrhunderte alten Kultur. Vielleicht macht unser Hospital aber auch Angst und bleibt so die letzte rettende Insel, wenn man gar nicht mehr weiter weiß. Ich kenne nun keinen dieser Heiler, denn sie vermeiden jeden Kontakt zum Krankenhaus. Ich sehe nur die tödlichen Nebenwirkungen ihrer Medizin. Im Sudan starben die Menschen, die von solchen Heilern kamen zumeist an einem cerebralen Fieber, hier im Nierenversagen oder an nicht beherrschbaren Blutungen. Auch das Traktieren mit dem Glüheisen gehört zum Standard und hinterlässt grausame Spuren. Ich bin sicher kein Gegner von Naturheilverfahren und kenne die Schwächen der Schulmedizin, Afrika hat aber wenig Positives auf dem Gebiet der alternativen Medizin zu bieten. In Asien und anderswo auf der Welt habe ich niemals solche tödlichen Effekte einer Medizin gesehen. Jeder Bauchschmerz oder irgendwelche Verstopfungen werden mit Einläufen und Kräutergetränken aus dem Busch therapiert, die oftmals verheerende Folgen haben. Die Kenntnis von Viren und Bakterien ist den Menschen nicht geläufig, und so glaubt der Erkrankte daran, dass er verhext wurde und einem Zauber ausgeliefert ist, dem man durch einen Gegenzauber begegnen muss. Solche Auffassung erinnert an Verhältnisse des Mittelalters in Europa.
In den Weihnachtstagen 2007 wurden zwei kleine Mädchen gefangen und barbarisch geschlachtet. Das Blut wurde offenbar getrunken, Organe wie Herz und Leber wurden gegessen. Geschehen hier in unmittelbarer Nähe. Eines der Mädchen war die Nichte einer unserer Hebammen. Die Angehörigen der Opfer wagen es nicht einmal diesen barbarischen Mord polizeilich verfolgen zu lassen, obwohl man Vermutungen hat, wer hinter diesen rituellen Morden stehen könnte. Sie haben einfach Angst vor weiteren bösen Flüchen. Als einzige Reaktion auf diese Vorfälle achten die Familien jetzt besser auf ihre Kinder. Auch einzeln reisende Personen wurden gelegentlich nicht wieder gefunden. Die Täter sind angeblich getaufte Menschen, was offenbar nichts bedeutet.
Die Menschen hier gehen jeden Sonntag brav in die Kirche und ertragen die Einschüchterungen des Priesters, die sie nach zwei Stunden berechtigterweise einschlafen lassen. Lebendig werden sie, wenn sie beteiligt werden, singen können und endlich den Ort der Segnungen verlassen dürfen. Die Kirche unterliegt in Afrika an den Orten, die ich kennen gelernt habe, einem Irrtum, wenn sie meint, die Menschen bekehrt zu haben. Sie sind auf dem Papier Christen, sind aber ihrer alten Kultur und deren Riten so sehr verhaftet, dass sie bislang noch nicht davon Abstand nehmen.

Ich begreife so langsam, dass hier ein Teil meines Unverständnisses zu suchen ist. Wenn man in Afrika arbeiten will, muss man sicher diese Umstände akzeptieren und damit leben lernen. Zu meiner Standardfragen gehört mittlerweile immer die nach „local treatment“. Leider gibt niemand freiwillig zu etwas genommen haben. Erst nach längerem Befragen am nächsten Tag, wenn die Menschen ein wenig Vertrauen gewonnen haben, erfährt man manchmal die Wahrheit. Selbst ein Pfleger aus unserem Haus, dessen Bruder im akuten Nierenversagen verstorben war, gab erst später zu, dass dieser vorher von einem Heiler behandelt worden war, der mit seiner Behandlung das Nierenversagen auslöste. Jetzt ist dieser Pfleger kooperativ und will mir die Kräuter besorgen, die seinen Bruder umgebracht haben. Ich will versuchen, sie in Deutschland analysieren zu lassen, um wenigstens einen Anhaltspunkt zu finden, in welche Richtung man die Erkrankten therapieren könnte. An Aufklärungskampagnen seitens der Behörden zu diesem Thema sind die Verantwortlichen nicht interessiert.

Es wird in Afrika einfach soviel ignoriert, und man hofft stets, dass sich ein Problem von alleine lösen wird. Augen zu und durch, irgendwie wird es schon klappen. Wie kann ich einem Analphabeten erklären, was Viren sind und wie tödlich die unsichtbaren Dinger wirken können. Nein -das muss doch Voodoo-Zauber sein! Den einzigen kostenlosen Spaß, Sex ohne Kondom, will man mir jetzt auch noch nehmen! Die spinnen doch, die Weißen oder die intellektuellen Schwarzen! Also geht es munter weiter so, bis es eben nicht mehr geht. Dann soll Medizin helfen, die ich als HIV-Patient regelmäßig einnehmen soll, mit den Mahlzeiten, vor den Mahlzeiten. Was ist aber, wenn ich mir die Mahlzeiten nicht einmal leisten kann? Und wenn es mir besser geht, soll ich wieder gut und viel essen, aber wovon denn bitte schön? Die Patienten müssen auf Nebenwirkungen achten, die sie nicht einmal sprachlich beschreiben können. Es gibt Medikamente für 30 Tage, sie kosten etwa 4 Euro. Woher nehmen, ich bin sogar zu schwach zum Stehlen. Dann habe ich kein Geld für den Bus, also kann ich mir keine neuen Medikamente besorgen. Einige Tage ohne Medikamente können unter Umständen die gesamte Therapie in Frage stellen. Das ghanaische Gesundheitssystem hat im ganzen Land HIV-Zentren eingerichtet und zur Zeit mit ausreichenden Medikamenten versorgt. Das Geld aus dem Ausland scheint zu fließen. Die verantwortlichen Schwestern fahren immer wieder zu Fortbildungen, es gibt einen Laptop, Fernsehen und Video, somit wird den Geldgebern Rechnung getragen. Trotzdem wird die Erkrankung unter dem Siegel einer völligen Verschwiegenheit geheim gehalten. Der erkrankte Ehepartner kann mit seiner Frau normal weiterleben, ohne sie von seiner Erkrankung in Kenntnis zu setzen. Zufällige positive HIV-Testergebnisse, zum Beispiel im Rahmen von Blutspenden, werden den Patienten berechtigterweise nicht mitgeteilt. Es gibt aber auch keine Überlegungen, solche HIV-Positiven zu einer Beratung zu schicken, um dann über einen Test zu sprechen. So wartet man, bis AIDS ausbricht, der Mensch also richtig krank wird, um ihn dann zu behandeln. Ich bezweifele, dass man das Problem jemals vernünftig in den Griff bekommt, auch wenn man noch mehr Geld in das System pumpt und weitere Medikamente bezahlbar werden. Der Mensch kann nur gesund werden, wenn er etwas von seiner Krankheit versteht und sich selbst hilft, seine Selbst-
heilungskräfte aktiviert. Wenn die Menschen aber an Magie als Auslöser glauben, sind wir mit unserer westlichen Medizin und unseren Vorstellungen nicht die richtigen Therapeuten, insofern werden wir in Afrika mit der Therapie von HIV/AIDS meiner Meinung nach scheitern. Mit dieser Meinung rufe ich sicherlich eine Menge Protest hervor, sie mag auch provokativ klingen.
Wenn ich aber jeden Tag gesunde Kinder an Malaria und Durchfallerkrankungen sterben sehe, junge Mütter während der Geburt versterben, dann möchte ich meine Prioritäten anders setzen und sinnvolle Hilfe auf solche Behandlungen konzentrieren. Man kann eine HIV-Behandlung in Deutschland nicht mit einer HIV-Behandlung in Afrika vergleichen.
Die wirklich guten Erfolge, die man in Deutsch-
land oder den westlichen Ländern sieht, bleiben hier Raritäten. Die HIV-Erkrankten in Afrika haben so viele andere Erkrankungen zu durchleben, die Lebensumstände auf dem Land und in den Riesenstädten sind so anders als bei uns, so dass diese Faktoren den Erfolg der Therapie immer gefährden werden. Die HIV-Infizierten erleiden den Ausbruch ihrer Krankheit sehr viel früher als in den westlichen Ländern und versterben daran. Was Statistiken uns sagen und wie sie erhoben werden, was für Manipulationsmöglichkeiten bestehen, weiß jeder, der mit solchen Statistiken arbeitet. Vielfach bekommt man das präsentiert, was man sehen möchte.

Es gibt sicher noch sehr viel über dieses Thema zu sagen. Andere Themen bewegen mich immer wieder in meiner täglichen Arbeit. Ich erlebe so viele Kontraste in der afrikanischen Lebens-
weise, über die ich noch viel erfahren muss. Die Schwestern und Pfleger sind sehr gut ausgebil-
det und ich kann von ihnen viel lernen, andererseits machen sie dann wieder mit Nachlässigkeiten ihre so gute Arbeit zunichte.

Mit dem Leben und Sterben geht man hier völlig anders als bei uns um. Emotionen werden Außenstehenden nie gezeigt. Es wird schnell geboren und mindestens so schnell wieder gestorben. Manchmal habe ich den Eindruck, dass das einzelne Leben in Afrika wenig zählt, was ich dann wiederum kaum glauben kann, wenn ich die übermüdeten Mütter an den Betten der Kinder schlafen sehe. Das Leben ist in Eikwe/Afrika enorm hart und für mich als reichen Europäer nur ansatzweise nachzuvoll-
ziehen. Alles ist so schwierig, und kleine Hilfen scheitern vielfach an dem mangelnden Geld, was benötigt wird, um das Auto oder den Bus ins Krankenhaus zu zahlen. Niemand hilft oder kann es sich leisten etwas umsonst zu machen. Der Staat müsste und könnte sicher mehr für die Menschen erreichen, wenn das Geld nicht immer wieder in korrupte Kanäle fließen würde. Das ist aber ein weiteres Bücher füllendes Problem.

Ich schaue weiter positiv auf meine restliche Zeit, rede viel mit dem Personal, um mehr von dieser mir immer noch fremden Welt zu verstehen. Mein derzeitiges Leben ist sehr abwechslungsreich, anstrengend und erfüllend. Ich bin dankbar hier sein zu dürfen. Ich kann für die Menschen etwas Sinnvolles tun und entwickle mich und meine medizinischen Kenntnisse weiter. Vielleicht gelingt es mir dann später auch die Menschen in Eikwe etwas besser zu verstehen. Im Moment kann ich manchmal nur leise vor mich hin grummeln- ach Afrika, ach Eikwe- wenn ich wieder mal an meine Grenzen des Verstehens komme.

Auf bald, Klaus

Freitag, 4. Januar 2008

Ein Arbeitstag in Eikwe

Samstag, den 30.12.2007

Liebe Freunde,

jetzt will mal versuchen, Euch etwas aus meinem derzeitigen Leben zu erzählen, das sehr aufregend und vielfältig ist. Mir gehen dabei so viele Gedanken durch den Kopf, dass ich nicht recht weiß, wo ich anfangen soll.

Meine Tage fließen dahin, ich wundere mich, wie schnell es schon wieder dunkel wird und der Tag zu Ende geht. Erst dann merke ich, wie müde ich bin. Die Verarbeitung des Erlebten kommt dann so langsam. Renate bekommt davon am meisten mit, da wir jeden Tag lange telefonieren. Diesen Luxus gönne ich mir, zumal ich sonst keine Gelegenheit habe, mein Geld auszugeben.

Die Menschen in diesem westlichen Distrikt Ghanas sind schon recht arm, vor allem, wenn man die Menschen aus der Elfenbeinküste hinzu rechnet, die regelmäßig zur Behandlung kommen. Sie sind immer am schwersten erkrankt, vor allem an HIV/AIDS. Da weiß man kaum, was man zuerst und zuletzt machen soll. Die Unter-suchungsmöglichkeiten in unserem Haus sind schon recht gut, reichen aber immer noch nicht aus. Die Zeit ist vielfach auch nicht vorhanden, um sich intensiver um die Patienten zu kümmern. So ist die Therapie häufig nur symptombezogen, was mir widerstrebt, zumal ich weiß, wie man es besser machen könnte. Man kann aber nicht mit unseren deutschen Perfektionsansprüchen in diesen Bezügen arbeiten. Achtzig Prozent müssen reichen.

Ich will Euch einfach mal meinen gestrigen Freitag schildern.

Um 7.45 Uhr haben wir Ärzte uns zu einer Besprechung getroffen. Ich nutze diese Zeit, um eine kurze internistische Fortbildung zu geben, fast immer krankheitsbezogen. Ich sehe bei meinen Visiten und in der Ambulanz Fehler in der internistischen Therapie, die ich dann anspreche. Die Klinik ist halt gynäkologisch/
chirurgisch geprägt, und man kann als entsprechender Facharzt wirklich nicht alles wissen. So hatten wir an diesem Morgen eine längere Diskussion, die aber für alle Beteiligten lehrreich war.

Um 8.30 Uhr habe ich meine Visite auf der Aufnahmestation gemacht. Ich habe Patienten untersucht, entlassen, eben alles, was dazu gehört. Zwischendurch gab es Notfälle mit fieberkrampfenden Kindern und einem Alkoholiker im Delirium. Dann habe ich mir die neuen Patienten angesehen, die in der Nacht gekommen waren. Die Schwestern rufen uns Gott sei Dank nicht in jedem Fall. Darunter fand ich eine junge Frau mit einem inkompletten Abort, die entsprechend blutete. Da musste ich einfach mal zwischendurch eine Ausschabung machen, damit das Bluten ein Ende hatte.

Um 10.15 Uhr bin ich dann zum Ultraschall gegangen. Vor dem Untersuchungsraum saßen schon die Menschen in einer langer Reihe. Viele Routineuntersuchungen im Rahmen der Schwangeren-Vorsorge. Frau Dr. Köthe ist, nachdem sie die gynäkologische Abteilung visitiert hatte, in die Ambulanz gegangen. Kurze Zeit später schickte sie mir eine Frau, die Flüssigkeit im Bauch hatte und schwanger war. Also musste sie gleich in den Operationssaal, da es sich um eine extrauterine Schwanger-
schaft handelte, die sofort operiert werden muss. Der linke Eileiter war gerissen, aus dem die arme Frau blutete. Ich habe weitere schwerwiegende Befunde bei meinen Untersuchungen gesehen und dann gleich die entsprechende Therapie eingeleitet, was hier immer mit viel Schreiberei verbunden ist. Meine Kollegin, Frau Cooper, war am zweiten Gerät aktiv. Zwischendurch nehmen wir uns aber immer wieder die Zeit, wichtige Befunde zu demonstrieren und zu diskutieren. Da im Nachbarraum geröntgt wird, werden uns auch die Bilder zum Befunden immer wieder hineingereicht.

12 Uhr: Stellungswechsel. Ich bin kurz in mein Appartment gelaufen, um für meine Flüssigkeitsein- und -ausfuhr zu sorgen. Dann ging es in der Ambulanz weiter. Dort warteten vor meinem Zimmer schon eine Menge Leute. Viele Belanglosigkeiten, hervorgerufen durch die neue Krankenversicherung in Ghana. Der neu gewählte Präsident hat vor den Wahlen den Menschen versprochen, dass jeder Ghanaer eine Krankenversicherung bekommen kann. Sie zahlen etwa 140 Euro im Jahr. Die restlichen Kosten sollen aus dem Staatshaushalt mittels einer Art Mehrwertsteuer finanziert werden. Der Jahresbeitrag zur KV ist für die meisten Menschen noch zu-viel, so dass sich der Mittelstand versichern kann und jetzt sein Recht der Behandlung und vor allem der Therapie einfordert, denn alles zahlt die Versicherung. Dass es eine Solidarversicherung ist, verstehen die Menschen nicht, da die Gemeinschaft dem Einzelnen eh egal ist. Wenn keine Medizin verschrieben wird, gibt es immer Ärger. Das System kann so natürlich nicht funktionieren, und das Krankenhaus muss gelegentlich lange auf das Geld der Versicherung warten. Es gibt schon Krankenhäuser in Ghana, die die Behandlung auf Krankenschein ablehnen. Eikwe wird wohl bald folgen müssen. Dem neuen Präsidenten ist das jetzt aber offenbar egal. Er hat seine Wahl gewonnen und sein Versprechen eingelöst. Dennoch, es gibt auch bedauernswerte Menschen, die berechtigt nach Hilfe suchen.

13 Uhr Mittagspause, gebratener Reis und Fisch, war ja Freitag, wobei der Fisch vor der Tür gefangen wird und entsprechend frisch ist. Wenn sie in der Kantine die Musik leiser stellen würden, könnte man sich sogar etwas entspannen. So verschwinde ich lieber schnell in mein Zimmer, um mir noch einen Kaffee zu kochen.

Um 14 Uhr ging es in der Ambulanz weiter. Es kam eine HIV positive Mutter mit ihrem drei Monate alten Kind. Ich kannte sie schon aus der HIV Ambulanz. Der Mann ist vor drei Monaten an AIDS verstorben, das Kind ist auch HIV positiv, es ist der letzte Mensch, den sie hat. Das Kind hatte eine äußerst schwere Lungenent-
zündung und bekam kaum Luft. Die Mutter sah so traurig aus, den Kummer sah man in ihren Augen. Ich brauchte ihr nicht zu erzählen, dass es kaum Hoffnung gibt. In so einem Fall bräuchte ich mehr Zeit, um das Kind zu versor-
gen. Wie gerne hätte ich mit ihr persönlich gesprochen, für die Übersetzerin war das jedoch Zeitverschwendung. Allein an diesem Nachmittag habe ich drei neue HIV Fälle diagnostiziert. Auch die Syphilis treibt hier ihr Unwesen. Ein 28 Jahre alter Mann mit zwei hübschen Frauen holte sich seine Spritze ab. Beide Frauen hatten schon jeweils vier Kinder und der Spaßfaktor wurde außerehelich erhöht. So ging es im drei Minutentakt weiter, meine Übersetzerin und ich wurden leicht müde und die Schlange vor der Tür wurde nicht kürzer.

15.30 Uhr. Die ersten Verletzten eines Massenverkehrsunfalls wurden uns vor die Tür gelegt. Alle Mitarbeiter waren wieder hellwach. Die Verletzten hatten einen Bus gestürmt, um noch nach Hause zu kommen. Der Busfahrer hatte die Nase voll und ist einfach losgefahren. Die Leute sind von Dach und aus den Türen herausgefallen und dann in ihrer Panik übereinander getreten. Kinder waren darunter, ein Toter vor Ort. Die Patienten mit offenen Knochenbrüchen haben wir notfallmäßig behandelt und sofort ins nächste Krankenhaus verlegt, das die Brüche versorgen kann. Verletzte mit stumpfen Bauchtraumen, man war ja über sie hinweg gelaufen, habe ich sonographiert. Wir brauchten sie aber nicht zu operieren. Die meisten hatten fürchterlich schmutzige
Hautabschürfungen, teilweise bis auf die Knochen. So wurden die Wunden gesäubert, Verbände angelegt. Das alles inmitten der aufgeregten Angehörigen und Schaulustigen aus dem Krankenhaus. Es war wirklich ein Chaos, was auch nicht mit wütenden Ausbrüchen aufgelöst werden konnte. Frau Köthe war zwischenzeitlich im Kreißsaal, da ein Kind mit Steißlage geboren wurde und der Kopf stecken blieb, um den noch die Nabelschnur hing. Auch dieses Neugeborene musste wiederbelebt werden. Nachdem wir wieder einigermaßen einen Überblick hatten, wurden die letzten Patienten aus der Ambulanz versorgt.

18 Uhr, letzter Rundgang über die Aufnahme-
station. Die Veranda lag voll mit den Verletzten, da es kein Bett mehr gab im Hospital.

18.15 Uhr Geburtsstillstand bei einer Gebärenden seit einigen Stunden, genauer gesagt seit 12 Stunden. Das auswärtige Healthcenter schickte die Frau viel zu spät zum Kaiserschnitt, den sie dann auch erhielt. Mutter und Kind waren danach wieder in Ordnung.

19 Uhr Vorbereitung zum Abendessen, will heißen, endlich eine Dusche und raus aus den verschwitzten Klamotten.

19.15 Uhr Anruf aus der Aufnahmestation. Zwei Brandopfer aus der Elfenbeinküste. Benzin war explodiert und hat die beiden erwischt. Bei dem Einen war 20% der Haut betroffen, dem zweiten Opfer waren 15% der Haut verbrannt. Sie wurden entsprechend versorgt. Da wir nicht einmal ein Bett hatten, mussten zwei Patienten notfallmäßig entlassen werden. Sie haben draußen auf dem Rasen übernachtet.

20 Uhr Abendessen

21 Uhr Schlafen

3 Uhr klingelt das Telefon, wieder eine Frau, die so stark blutete, dass sie 30 Minuten später ausgeschabt werden musste wurde.

7 Uhr Anruf, Notfallkaiserschnitt.

Den heutigen Tag erspare ich Euch. Ich bin zwar jeden Abend müde und erschöpft, doch immer sehr zufrieden. Ich lerne jeden Tag neue Dinge, ich bin immer wieder gefordert und wundere mich, wie erfolgreich in all den Unzulänglich-
keiten unsere Arbeit ist. Die Brandverletzten würden in Deutschland in sterilen Spezial-
kliniken versorgt werden, hier muss es ohne sterile Raumluft gehen. 20 Meter weiter husten die TB Kranken Blut. Das HIV-Kind mit der Lungenentzündung schnauft wieder ruhiger, auch ohne Beatmung und Intensivstation. All diese positiven Erfahrungen lassen mich mit der Arbeit sehr zufrieden sein, lassen mich ruhig einschlafen. Ich habe jetzt nur von meinem Tag erzählt, die anderen Kollegen leisten die gleiche Arbeit und das schon seit vielen Jahren in eben diesem Tempo.

Ich nehme mir aber auch meine Auszeiten um in die Stille zu gehen. Meine morgend- und abendlichen Kontemplationen geben mir die Kraft, die ich im Moment sehr brauche. Vor allem auch, was die emotionale Verarbeitung der Arbeit angeht. Afrika ist wirklich ein besonderer Kontinent mit Menschen, die ich kaum verstehen kann. Doch dazu mehr im nächsten Blog.

Morgen werde ich mir einen Tag frei nehmen und in ein Hotel mit einem wirklich tollen Strand fahren. Weißer Sand, Palmen, frischer Fisch und viel Ruhe. Das Weihnachtsfest hält hier immer noch an. Es ist total laut und hat den Charakter von Karneval. Es gibt Umzüge mit lauter Musik und viel Alkohol. Ein so lautes Weihnachten habe ich noch nie erlebt. Auch das ist Afrika: laut und brüllend.

Euch Allen einen guten Rutsch ins neue Jahr. Mögen sich die Wünsche erfüllen!
Auf bald,

Euer Klaus