Liebe Freunde,
nun bin ich schon wieder 14 Tage in Bremen und bin immer noch sehr mit meinen Gedanken in Eikwe, zumal ich Ende Juni nochmals für 6 Wochen dort arbeiten werde. Dieser erneute Einsatz zeugt auch davon, dass ich mich mit der Arbeit und den vorgefundenen Bedingungen sehr wohl gefühlt habe im Vergleich zu der Arbeit im Sudan. Die Organisation „German Rotary Volunteer Doctors e.V.“, kurz GRVD, hält es für notwendig, regelmäßig deutsche Ärzte zur Unterstützung in das Missionshospital Eikwe zu entsenden.
Das wirft natürlich die Frage auf, warum Entwicklungsländer immer wieder diese Hilfe brauchen. Wo sind die ghanaischen Ärzte? Z.B. In London! Es gibt mehr ghanaische Ärzte in London als in der Hauptstadt Accra, ganz zu schweigen von den ländlichen Regionen. Ich habe gehört, das 80% der in Ghana oder für Ghana ausgebildeten Ärzte im Ausland arbeiten. Das sogenannte „Brain Drain“ Afrikas. Warum muss das so sein? Ich kann einerseits die afrikanischen Kollegen verstehen, dass sie sich für sich und ihre Familie ein besseres Leben wünschen, andererseits sind sie aber ihrem Land und den Menschen zu einem gewissen Dank verpflichtet. Wenn immer wieder Eliten das Land verlassen, kann sich kein wirklicher Fortschritt entwickeln. Der Kollege Cooper hat in Russland Medizin studiert. Russland hat für lange Jahre die Ausbildung von Afrikanern unterschiedlicher Nationen finanziert, warum auch immer. Es war wohl noch ein Relikt aus den Zeiten des kalten Krieges und der Einflussnahme auf diesen Kontinent. Danach hat Dr. Cooper eine erste Stelle in Eikwe gefunden. Die war an sich schon untypisch, da die meisten Ärzte in großen Städten arbeiten wollen. Nach zwei Jahren in Eikwe hat er ein Stipendium bekommen und in Deutschland eine gynäkologischen Facharztausbildung erhalten, die ihm auch die Möglichkeit gegeben hätte, bei uns zu arbeiten und zu leben. Er ist aber zurück in den Busch gegangen. Seine Motivation war die Entwicklung Ghanas und seine Liebe zu den Menschen dort. Diese Einstellung muss aus dem Herzen kommen, man kann sie kaum lernen.
Da den meisten afrikanischen Ärzten so ein Mitgefühl fehlt, muss man ihnen das Bleiben abringen. Das kann der ghanaische Staat nur bedingt leisten. Ein finanzieller Anreiz und die Aussicht auf eine ausländische Facharzt-
ausbildung wären sicher eine Verlockung. Dazu gehört aber auch die Mitarbeit der westlichen Staaten. Sie müssten den afrikanischen Ärzten nach der Facharztausbildung eine Anstellung verweigern. Dann und nur dann würden die Kollegen in Afrika bleiben, da ihnen die fehlende finanzielle Basis in den westlichen Ländern entzogen würde. Die entwickelten Staaten und das Kapital bedienen sich aber an dem afrikanischen geistigen Potenzial und Reichtum in jeglicher Hinsicht und es ist ihnen egal, wie es dem Land in der Ferne und seinen Menschen ergeht. Das schlechte Gewissen wird durch Spenden verdrängt, am wirkungsvollsten, wenn uns von neuen Katastrophen berichtet wird. Wir entsorgen dort unseren Müll, unsere alten Autos (in Ghana dominiert Opel), zerstören ihre Landschaft und betrachten es irgendwie als gutes Recht, legitimiert durch die Zahlung der Waren und Leistungen, wobei das Kapital des Westens den Preis bestimmt. Die Zahlung von Entwicklungshilfe gibt dem Ganzen dann noch ein humanes Mäntelchen. Die Frage nach Gewinnern und Verlierern ist schnell beantwortet.
Die kranken Menschen in Ghana sind die Verlierer, wenn man die medizinische Situation betrachtet. Daher finde ich es auch richtig, dass deutsche Ärzte kommen und sich um diese Menschen kümmern. Ebenso gilt es, die afrikanischen Ärzte zu unterstützen und zu motivieren. Ich empfand unsere Zusammenarbeit in Eikwe als sehr kollegial und befruchtend. Wir haben jeder voneinander gelernt und einander unser Wissen zur Verfügung gestellt. Ich habe einen Schnell-
durchgang durch die Gynäkologie erlebt und konnte die neuen Diagnostik- und Behandlungsmethoden in der inneren Medizin und Tropenmedizin vermitteln. Gemeinsam wurden neue Standards und Richtlinien definiert. So habe ich es mir immer gewünscht in Deutschland zu arbeiten, nur leider viel zu selten erlebt. Auch hier können wir von unseren afrikanischen Kollegen lernen.
So gut wie wir z.B. in Deutschland ausgebildet sind, so gut können wir als Ärzte in Afrika nie sein. Zum einen fehlt uns häufig die technische Ausrüstung, von der wir abhängig geworden sind, zum anderen fehlt uns das Verständnis für die fremde Kultur und Sprache. Auch da haben uns die afrikanischen Ärzte Einiges voraus. Ärztliche Arbeit lebt von der Sprache, darüber bekommen wir einen Zugang zu den Patienten. Wenn sie mir ihr Leid erzählen, ist vielfach schon geholfen. Sie können Vertrauen schöpfen, wenn ich meine Anteilnahme ausdrücke. Ich rede aber nicht in ihrer Muttersprache und muss alles übersetzen lassen. Was davon dann zum Patienten gelangt und in welcher Form, entzieht sich meiner Kenntnis. Viel liegt dabei auch an der Motivation und Erfahrung des Übersetzers. Wegen dieser Sprachbarriere sind immer wieder eigene Erfahrung, gute medizinische Kenntnisse und der klinische Blick gefragt. Ich bin zwar jetzt seit 10 Jahren mit der Drittweltarbeit vertraut, kann aber nicht sagen, dass ich immer richtig liege mit meiner Diagnostik und Therapie, wenn ich die Ergebnisse meiner Arbeit sehe. Es gibt im Kontakt mit den Menschen so viele Unwägbarkeiten, die in diese Arbeit einfließen. Sie lassen einen manchmal verzweifeln. Da fangen plötzlich Wunden an zu eitern ohne erkennbaren Grund. Später erfahre ich, dass die Angehörigen dem Operierten eine Masse auf den Bauch oder die Wunde geschmiert haben, die alles sein kann bis zum Morgenurin der Ziege. Von den jungen Menschen, die im Nierenversagen sterben, habe ich schon berichtet. Im Sudan habe ich Menschen in einem zentralen Fieber versterben sehen, auch sie hatten aus irgendeinem Grund Kräuter von Fetischpriestern bekommen. Für uns in Deutschland unvorstellbar, in Afrika die Regel.
Jeder Ort in der dritten Welt, an dem ich gearbeitet habe, hatte seine eigenen Probleme und Eigenarten. Sie mussten mir erklärt werden, meine Aufmerksamkeit musste darauf gerichtet werden, die einheimischen Kollegen kennen die Details, manchmal sogar die Menschen, die für die Probleme verantwortlich sind. So muss man irgendwie versuchen, einen Zugang zu den Menschen zu finden.
Anfänglich war ich nur sauer, aber auf wen? Ich bemerkte, dass ich der Außenseiter war, und dieses Gefühl behagte mir nicht. Ich habe dann versucht, nicht nur die Unvollkommenheiten zu beklagen, sondern auch das Positive zu sehen und zu betonen. Erst da bekam ich einen besseren Zugang zu den Menschen und ihren Problemen. So haben wir in Eikwe eine Zusammenarbeit mit einem Heiler begonnen, der schon seit vielen Jahren Knochenbrüche in der Region behandelt. Ich hatte in Deutschland von einer Frakturbehandlung nach Samiento gehört. Genau nach diesem Verfahren arbeitet der Bone Setter in Eikwe. Er hat zwar nicht so schöne Plastikmanschetten wie wir in Deutschland, sein fein bearbeiteter Bambus hat aber die gleiche Wirkung. Wir haben ihn angesprochen, da uns der Gips fehlte und ich ihn außerdem gerne kennen lernen wollte. Ich habe ihm zugeschaut und bin von seiner Arbeit nun überzeugt. Er schickt die Patienten in bestimmten Abständen zum Röntgen und wir sehen den Erfolg. Allen ist dabei geholfen. Der Heiler fühlt sich akzeptiert, er schickt uns Patienten, die zusätzliche Hilfe brauchen, der Patient bekommt eine kostengünstige Behandlung ohne Messer und Infektionen, das Hospital wird noch besser akzeptiert.
Ich habe es aufgegeben die Menschen verstehen zu wollen. In dieses Verstehenwollen fließt immer eine, vor allem meine, Wertung und Bewertung mit ein. Dieser Fakt verbaut mir aber den Zugang zu einer fremden Kultur. Ich versuche sie zu nehmen, wie sie ist, was nicht heißen soll, dass ich alles kritiklos schlucke. Ich kenne meine Grenzen und versuche diese deutlich zu machen, genau so wie ich ihre Grenzen akzeptiere und sie nicht überschreite. Manchmal ist das ein mühevolles Unterfangen. Es lässt mich aber in der fremden Kultur überleben. Das ist meine Erfahrung in all den Jahren meiner Arbeit und des Reisens in fremde Länder. Respekt vor den Menschen zu haben ist mir wichtig, Mitgefühl und Liebe für den Nächsten zu praktizieren. Dabei ist es unerheblich, wie gut oder schlecht der Mensch gekleidet ist, welcher Religion er angehört oder wie „gebildet“ er ist.
Der Dalai Lama sagte einmal: „Wenn wir das Mitgefühl sorgfältig pflegen, werden wir sehen, dass es die anderen guten menschlichen Eigenschaften hervorbringt“. Die Liebe zu den Menschen und die Vermittlung dieser Haltung öffnet Tore. Meines Erachtens ist Liebe die Grundlage des Mitgefühls. Liebe und Mitgefühl sind an keine Lehre oder Überzeugung gebunden, auch an keine Religion. Sie sind der Ursprung des Lebens selbst. Sie sind das, worauf sich wahre Menschlichkeit gründet.
So fahre ich auch ein zweites Mal und wohl auch noch des öfteren nach Eikwe. Ich werde weiterhin versuchen etwas von mir zu geben, versuchen zu lernen und zu wachsen. Auf die Kollegen und Mitarbeiter freue ich mich. Ich weiß, dass ich wieder viel arbeiten muss, diese Arbeit aber macht mich zufrieden. Der oft stumme Dank der Kranken und das fröhliche Lachen der wieder genesenen Kinder machen mir ein gutes Gefühl. Ich lebe!
Meine freie Zeit nutze ich im Moment auch für Dinge, die sonst liegen bleiben. So findet Ihr unter www.picasaweb.google.de/dr.med.klauseckert ein Fotoalbum von mir. Zur Zeit gibt es Bilder aus Ghana, dem Sudan, Nepal und von einigen von Euch. Die Galerie wird je nach Zeit erweitert.
Ich wünsche Euch allen einen blühenden Frühling
Euer
Klaus
Dienstag, 4. März 2008
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