Montag, 14. Januar 2008

Ach, Afrika, zweiter Teil

Aus dem Sudan hatte ich ja schon berichtet, wie schwer es mir fällt, die Afrikaner zu verstehen. Ich hatte allerdings gehofft, dass es vielleicht nur in diesem vom Bürgerkrieg so zerstörten Land so sein würde, da die Menschen dort nur Krieg kennen, Krieg, der sie zu dem werden ließ, was ich erlebt und beschrieben habe. Ghana dagegen ist ein freies Land und politisch stabil, dennoch erlebe ich die Menschen in Eikwe ähnlich wie die Menschen, die 2.000 km weiter östlich leben. Die sprichwörtliche afrikanische Fröhlichkeit erscheint mir oberflächlich und als Teil einer Kultur, die mir kaum zugänglich ist. Es wird getanzt und alles locker gesehen; immer ist man dabei auf den eigenen Vorteil und den der Familie bedacht. Um sich einen Vorteil zu verschaffen, benutzt man alle Tricks, die zur Verfügung stehen. Die Ehrlichkeit bleibt dabei auf der Strecke. Ich finde es sehr befremdlich, dass ich den Menschen eigentlich nie trauen kann. Man wird immer wieder so offensichtlich belogen, dass ich nur noch vorsichtig und teilweise sehr misstrauisch bin, was ganz gegen meine Natur ist und mir Kummer bereitet, weil so nicht sein will. Normalerweise begegne ich den Menschen in meiner offenen Art und Weise, die viele von Euch kennen, die aber sicher in Afrika nicht üblich ist. So verstehen sie mich wohl auch nicht, weil sie es nicht gewohnt sind, dass es jemand gut mit ihnen meint. Sie sind eher damit vertraut, dass man sie anschreit und warten lässt. Wie man dieses Knäuel auflösen kann, dafür fehlt mir jede Vorstellung.

Der Stamm der Ensema, der zu unserem Einzugsgebiet hört, hat über viele Jahrhunderte ziemlich isoliert gelebt und mehr Kontakt zu den Menschen der Elfenbeinküste als zu denen im eigenen Land gehabt. Die Ensema sind ein stolzes Volk und lassen Außenstehende wenig Raum Fuß zu fassen. Das gilt sowohl für Weiße als auch für Schwarze. Irgendwann kamen die Missionare, die Händler und Kaufleute, die ihren Regenwald abholzten, und es kam zur Gründung dieses Krankenhauses und zum Kontakt mit der westlichen Medizin. Mit dieser Entwicklung kam nicht unbedingt eine Verbesserung ihres Lebensstandards zustande. Auch die Tatsache, dass heute in jeder einfachen Hütte ohne Strom und Wasser ein mobiles Telefon klingelt, bedeutet keine wesentliche Aufwertung ihres Lebens. Die Menschen glauben allerdings, dass der Besitz eines Handys den modernen Menschen ausmacht. Die Telekom-
firmen sind in der Hand von Franzosen und Südafrikanern. Das Analphabetentum ist noch enorm hoch, trotz einer staatlichen Schul-
pflicht. Die Schulen in unserer Umgebung sind aber schlecht, und die etwas wohlhabenderen Menschen schicken ihre Kinder in die größere Stadt zu Verwandten. Deutlicher Ausdruck der fehlenden Bildung ist das enorme Bevölkerungs-
wachstum. Jede Frau bekommt in ihrem Leben acht bis zehn Kinder, von denen häufig die Hälfte in den nächsten Jahren wieder stirbt. Die Fehlgeburten und induzierten Aborte sind dabei nicht mit eingerechnet. Für diese Fälle ist das Hospital ein wirklicher Segen für die Frauen und Kinder.

Bevor man jedoch ins Krankenhaus geht, versucht man immer zuerst bei einem lokalen Heiler Hilfe zu bekommen. Das hat vielerlei Gründe. Er ist billiger als unser Krankenhaus, man hat den Heiler vor Ort, man ist ihnen verpflichtet und man hat Angst vor ihnen. Der Heiler gehört zu einer Jahrhunderte alten Kultur. Vielleicht macht unser Hospital aber auch Angst und bleibt so die letzte rettende Insel, wenn man gar nicht mehr weiter weiß. Ich kenne nun keinen dieser Heiler, denn sie vermeiden jeden Kontakt zum Krankenhaus. Ich sehe nur die tödlichen Nebenwirkungen ihrer Medizin. Im Sudan starben die Menschen, die von solchen Heilern kamen zumeist an einem cerebralen Fieber, hier im Nierenversagen oder an nicht beherrschbaren Blutungen. Auch das Traktieren mit dem Glüheisen gehört zum Standard und hinterlässt grausame Spuren. Ich bin sicher kein Gegner von Naturheilverfahren und kenne die Schwächen der Schulmedizin, Afrika hat aber wenig Positives auf dem Gebiet der alternativen Medizin zu bieten. In Asien und anderswo auf der Welt habe ich niemals solche tödlichen Effekte einer Medizin gesehen. Jeder Bauchschmerz oder irgendwelche Verstopfungen werden mit Einläufen und Kräutergetränken aus dem Busch therapiert, die oftmals verheerende Folgen haben. Die Kenntnis von Viren und Bakterien ist den Menschen nicht geläufig, und so glaubt der Erkrankte daran, dass er verhext wurde und einem Zauber ausgeliefert ist, dem man durch einen Gegenzauber begegnen muss. Solche Auffassung erinnert an Verhältnisse des Mittelalters in Europa.
In den Weihnachtstagen 2007 wurden zwei kleine Mädchen gefangen und barbarisch geschlachtet. Das Blut wurde offenbar getrunken, Organe wie Herz und Leber wurden gegessen. Geschehen hier in unmittelbarer Nähe. Eines der Mädchen war die Nichte einer unserer Hebammen. Die Angehörigen der Opfer wagen es nicht einmal diesen barbarischen Mord polizeilich verfolgen zu lassen, obwohl man Vermutungen hat, wer hinter diesen rituellen Morden stehen könnte. Sie haben einfach Angst vor weiteren bösen Flüchen. Als einzige Reaktion auf diese Vorfälle achten die Familien jetzt besser auf ihre Kinder. Auch einzeln reisende Personen wurden gelegentlich nicht wieder gefunden. Die Täter sind angeblich getaufte Menschen, was offenbar nichts bedeutet.
Die Menschen hier gehen jeden Sonntag brav in die Kirche und ertragen die Einschüchterungen des Priesters, die sie nach zwei Stunden berechtigterweise einschlafen lassen. Lebendig werden sie, wenn sie beteiligt werden, singen können und endlich den Ort der Segnungen verlassen dürfen. Die Kirche unterliegt in Afrika an den Orten, die ich kennen gelernt habe, einem Irrtum, wenn sie meint, die Menschen bekehrt zu haben. Sie sind auf dem Papier Christen, sind aber ihrer alten Kultur und deren Riten so sehr verhaftet, dass sie bislang noch nicht davon Abstand nehmen.

Ich begreife so langsam, dass hier ein Teil meines Unverständnisses zu suchen ist. Wenn man in Afrika arbeiten will, muss man sicher diese Umstände akzeptieren und damit leben lernen. Zu meiner Standardfragen gehört mittlerweile immer die nach „local treatment“. Leider gibt niemand freiwillig zu etwas genommen haben. Erst nach längerem Befragen am nächsten Tag, wenn die Menschen ein wenig Vertrauen gewonnen haben, erfährt man manchmal die Wahrheit. Selbst ein Pfleger aus unserem Haus, dessen Bruder im akuten Nierenversagen verstorben war, gab erst später zu, dass dieser vorher von einem Heiler behandelt worden war, der mit seiner Behandlung das Nierenversagen auslöste. Jetzt ist dieser Pfleger kooperativ und will mir die Kräuter besorgen, die seinen Bruder umgebracht haben. Ich will versuchen, sie in Deutschland analysieren zu lassen, um wenigstens einen Anhaltspunkt zu finden, in welche Richtung man die Erkrankten therapieren könnte. An Aufklärungskampagnen seitens der Behörden zu diesem Thema sind die Verantwortlichen nicht interessiert.

Es wird in Afrika einfach soviel ignoriert, und man hofft stets, dass sich ein Problem von alleine lösen wird. Augen zu und durch, irgendwie wird es schon klappen. Wie kann ich einem Analphabeten erklären, was Viren sind und wie tödlich die unsichtbaren Dinger wirken können. Nein -das muss doch Voodoo-Zauber sein! Den einzigen kostenlosen Spaß, Sex ohne Kondom, will man mir jetzt auch noch nehmen! Die spinnen doch, die Weißen oder die intellektuellen Schwarzen! Also geht es munter weiter so, bis es eben nicht mehr geht. Dann soll Medizin helfen, die ich als HIV-Patient regelmäßig einnehmen soll, mit den Mahlzeiten, vor den Mahlzeiten. Was ist aber, wenn ich mir die Mahlzeiten nicht einmal leisten kann? Und wenn es mir besser geht, soll ich wieder gut und viel essen, aber wovon denn bitte schön? Die Patienten müssen auf Nebenwirkungen achten, die sie nicht einmal sprachlich beschreiben können. Es gibt Medikamente für 30 Tage, sie kosten etwa 4 Euro. Woher nehmen, ich bin sogar zu schwach zum Stehlen. Dann habe ich kein Geld für den Bus, also kann ich mir keine neuen Medikamente besorgen. Einige Tage ohne Medikamente können unter Umständen die gesamte Therapie in Frage stellen. Das ghanaische Gesundheitssystem hat im ganzen Land HIV-Zentren eingerichtet und zur Zeit mit ausreichenden Medikamenten versorgt. Das Geld aus dem Ausland scheint zu fließen. Die verantwortlichen Schwestern fahren immer wieder zu Fortbildungen, es gibt einen Laptop, Fernsehen und Video, somit wird den Geldgebern Rechnung getragen. Trotzdem wird die Erkrankung unter dem Siegel einer völligen Verschwiegenheit geheim gehalten. Der erkrankte Ehepartner kann mit seiner Frau normal weiterleben, ohne sie von seiner Erkrankung in Kenntnis zu setzen. Zufällige positive HIV-Testergebnisse, zum Beispiel im Rahmen von Blutspenden, werden den Patienten berechtigterweise nicht mitgeteilt. Es gibt aber auch keine Überlegungen, solche HIV-Positiven zu einer Beratung zu schicken, um dann über einen Test zu sprechen. So wartet man, bis AIDS ausbricht, der Mensch also richtig krank wird, um ihn dann zu behandeln. Ich bezweifele, dass man das Problem jemals vernünftig in den Griff bekommt, auch wenn man noch mehr Geld in das System pumpt und weitere Medikamente bezahlbar werden. Der Mensch kann nur gesund werden, wenn er etwas von seiner Krankheit versteht und sich selbst hilft, seine Selbst-
heilungskräfte aktiviert. Wenn die Menschen aber an Magie als Auslöser glauben, sind wir mit unserer westlichen Medizin und unseren Vorstellungen nicht die richtigen Therapeuten, insofern werden wir in Afrika mit der Therapie von HIV/AIDS meiner Meinung nach scheitern. Mit dieser Meinung rufe ich sicherlich eine Menge Protest hervor, sie mag auch provokativ klingen.
Wenn ich aber jeden Tag gesunde Kinder an Malaria und Durchfallerkrankungen sterben sehe, junge Mütter während der Geburt versterben, dann möchte ich meine Prioritäten anders setzen und sinnvolle Hilfe auf solche Behandlungen konzentrieren. Man kann eine HIV-Behandlung in Deutschland nicht mit einer HIV-Behandlung in Afrika vergleichen.
Die wirklich guten Erfolge, die man in Deutsch-
land oder den westlichen Ländern sieht, bleiben hier Raritäten. Die HIV-Erkrankten in Afrika haben so viele andere Erkrankungen zu durchleben, die Lebensumstände auf dem Land und in den Riesenstädten sind so anders als bei uns, so dass diese Faktoren den Erfolg der Therapie immer gefährden werden. Die HIV-Infizierten erleiden den Ausbruch ihrer Krankheit sehr viel früher als in den westlichen Ländern und versterben daran. Was Statistiken uns sagen und wie sie erhoben werden, was für Manipulationsmöglichkeiten bestehen, weiß jeder, der mit solchen Statistiken arbeitet. Vielfach bekommt man das präsentiert, was man sehen möchte.

Es gibt sicher noch sehr viel über dieses Thema zu sagen. Andere Themen bewegen mich immer wieder in meiner täglichen Arbeit. Ich erlebe so viele Kontraste in der afrikanischen Lebens-
weise, über die ich noch viel erfahren muss. Die Schwestern und Pfleger sind sehr gut ausgebil-
det und ich kann von ihnen viel lernen, andererseits machen sie dann wieder mit Nachlässigkeiten ihre so gute Arbeit zunichte.

Mit dem Leben und Sterben geht man hier völlig anders als bei uns um. Emotionen werden Außenstehenden nie gezeigt. Es wird schnell geboren und mindestens so schnell wieder gestorben. Manchmal habe ich den Eindruck, dass das einzelne Leben in Afrika wenig zählt, was ich dann wiederum kaum glauben kann, wenn ich die übermüdeten Mütter an den Betten der Kinder schlafen sehe. Das Leben ist in Eikwe/Afrika enorm hart und für mich als reichen Europäer nur ansatzweise nachzuvoll-
ziehen. Alles ist so schwierig, und kleine Hilfen scheitern vielfach an dem mangelnden Geld, was benötigt wird, um das Auto oder den Bus ins Krankenhaus zu zahlen. Niemand hilft oder kann es sich leisten etwas umsonst zu machen. Der Staat müsste und könnte sicher mehr für die Menschen erreichen, wenn das Geld nicht immer wieder in korrupte Kanäle fließen würde. Das ist aber ein weiteres Bücher füllendes Problem.

Ich schaue weiter positiv auf meine restliche Zeit, rede viel mit dem Personal, um mehr von dieser mir immer noch fremden Welt zu verstehen. Mein derzeitiges Leben ist sehr abwechslungsreich, anstrengend und erfüllend. Ich bin dankbar hier sein zu dürfen. Ich kann für die Menschen etwas Sinnvolles tun und entwickle mich und meine medizinischen Kenntnisse weiter. Vielleicht gelingt es mir dann später auch die Menschen in Eikwe etwas besser zu verstehen. Im Moment kann ich manchmal nur leise vor mich hin grummeln- ach Afrika, ach Eikwe- wenn ich wieder mal an meine Grenzen des Verstehens komme.

Auf bald, Klaus

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