Montag, 5. März 2007
Die Narben Afrikas
Liebe Freunde,
wieder ist eine Woche vergangen, nicht ohne eine weitere Schnitt- entbindung. Leider war das Kind schon tot, der Mutter konnten wir aber helfen, und es geht ihr trotz großem Blutverlust gut. Gewöhnen kann ich mich immer noch nicht an den damit verbunden Stress.
Das Foto der Nubafrau ist für mich ein Sinnbild, wie ich Afrika bisher erlebe: tiefe Narben, die in die Menschen und diesen Kontinent geschlagen wurden. Die Narben der Frau sind keine Unfallnarben, nein, sie hat sie sich selbst zugefügt. Es soll der Schönheit dienen, aber auch signalisieren, wie stark und kräftig man ist, diesem harten Leben die Stirn zu bieten, Gesicht zu zeigen. Ich verstehe nur wenig von den Menschen in meiner Umgebung, und es fällt mir sehr schwer in diese fremde Kultur einzusteigen.
Die Menschen sind sehr hart sich selbst und ihren Mitmenschen gegenüber. Emotionen sehe ich selten, alles wird stumm und kommentarlos akzeptiert, Widerstand selten geübt. Die Familie kommt mit den Kranken in Sorge. Sie tun die praktischen Dinge, die das Überleben sichern helfen, es fehlt mir aber in allem das, was ich mit einem Begriff des liebevollen Mitfühlens umschreiben würde. Vielleicht ist das ja auch ein Luxus, den nur wir uns in unserer Gesellschaft leisten können. Hier zählt einfach nur das Überleben und das gelingt nur, wenn man hart ist und bleibt. So wird auch kommentarlos akzeptiert, wenn dem Kranken nicht mehr zu helfen ist. Dann nehmen sie den Menschen zum Sterben mit nach Hause, wie immer das dann auch zu Ende geht. Der Wunsch kommt meistens vom Patienten, weniger von den Angehörigen. Das Sterben in dieser Gemein-
schaft ist Bestandteil des Lebens, und da haben sie uns in unserer Gesellschaft einfach etwas voraus. Das finde ich in all meiner Kritik bewundernswert, und insofern lerne ich von ihnen. Sie übernehmen im privaten Bereich Verantwortung für sich und fordern sie nicht von anderen ein. Sie hadern weniger mit ihrem Schicksal oder dem lieben Gott.
Gleichzeitig macht mich die Lethargie auch wiederum wütend, wenn es Lösungsmöglich-
keiten gibt. So schert es den Ehemann einer Patientin wenig, dass sie und das neugeborene Kind wahrscheinlich sterben werden, bloß weil sich niemand aus der Familie findet, der Blut spenden will. Ihm konnten wir nach viel Lärm 500 ml abzapfen, jetzt erzählt er allen, wie schwach er ist, und der Rest der Familie sucht das Weite. Das seine Frau kaum Kraft zum Atmen hat, geschweige denn genug Milch für das Kind vorhanden ist, interessiert ihn nicht. Wahrscheinlich hat er genug Geld, sich bald was Jüngeres fürs Bett und die harte Arbeit zu kaufen. Auch das zeigt die Härte dieser Menschen und ist für mich unverständlich. Es bleibt mir aber kaum etwas anderes übrig, als das zu akzeptieren. Es bestätigt die Thesen und Aussagen von Bartholomäus Grill in seinem Buch „Ach, Afrika“. Es war mir eine gute Hilfe in der Vorbereitung auf das Leben in Afrika.
Ich habe eh ein sehr gespaltenes Verhältnis zu den männlichen Patienten. Sie machen mich mitunter aggressiv. 90% von ihnen sind gesund und kommen mit Befindlichkeitsstörungen, die ich nicht mehr behandelt wissen möchte. Wie überall in der Dritten Welt sind die Frauen die Säulen der Gesellschaft. Sie leisten harte Arbeit, kümmern sich um die Kinder und die Familie und sind fast permanent schwanger. Deren Krankheiten versuche ich ernster zu nehmen, versuche zu helfen. Die Männer sind die großen Macher mit dem Maul. Vor allem, wenn sie meinen, etwas zu sagen zu haben. Gremienarbeit und Meetings sind ihr große Leidenschaft. Sie verlangen aber immer zu aller erst Geld, welches sie nicht besitzen. Sie erwarten von den internationalen Gesellschaften ein Sponsoring ohne Limit nach oben und bekommen das ja auch vielfach. Die Korruption lauert aber an jeder Ecke. Auch das ist Afrika, ein Fass ohne Boden und Menschen, die es gewohnt sind, die Hand aufzuhalten und uns ein schlechtes Gewissen zu machen, uns mit ihrem Elend und den Katastrophen drohen.
Ein katholischer Priester, der seit 30 Jahren in Afrika lebt und arbeitet, sagte mir neulich als Fazit seiner Erfahrung: „Gebt den Afrikanern für ihre Bodenschätze und Dinge, die sie zu bieten haben, das, was ihnen zusteht, behandelt sie korrekt wie jeden anderen Menschen, und lasst sie allein. Solange der weiße Mann sich kümmert und immer wieder in Situationen eingreift, von denen er nichts versteht, so lange wird sich auf diesem Kontinent nichts verändern.“
Ich weiß noch nicht so ganz, ob ich dem zustimmen kann, ich muss aber sehr häufig an diese Aussage denken. Das Leben geht hier weiter, ob ich/wir da sind oder nicht. Es wäre ein enorme Überheblichkeit, die Tatsache anders zu sehen.
Nichtsdestotrotz mache ich im Moment weiter, für meine Zukunft gilt es neue Überlegungen anzustellen.
Ich wünsche Euch alles Gute
Euer
Klaus
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