Dienstag, 7. August 2007

Fazit meiner Erfahrungen nach vier Monaten im Sudan

Liebe Freunde,

folgenden Artikel versuchte ich in diversen Zeitungen zu veröffentlichen. Leider kam ich etwas zu spät, und das Thema Entwicklungshilfe im Zusammenhang mit Afrika ist nicht mehr aktuell. Letztendlich wird die Zukunft zeigen, in wie weit die finanziellen Zusagen auch eingehalten werden oder ob sie nur Lippenbekenntisse von populistischen Politern waren. So stelle ich den Artikel nun in meinen Blog. Es ist mein Fazit nach zehn Jahren Arbeit in Dritt-Welt-Ländern und ersten Erfahrungen mit Afrika. Ich gebe nicht auf, sehe aber meine Arbeit sehr viel kritischer als zuvor.


Durch den G8 Gipfel in Heiligendamm rückte Afrika wieder einmal in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Politiker feilschten um Geld, das man den Regierungen afrikanischer Staaten für sogenannte Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen will. Globalisierungsgegner, Künstler, Kirchen und nichtstaatliche humanitäre Organisationen (NGO´s) forderten eine Unterstützung für die Not leidenden Menschen des schwarzen Kontinents.

Die Frage ist: Welche Menschen leiden? Und sind es tatsächlich die bedürftigen Afrikaner, die unsere Unterstützung am Ende erreicht? Denken wir auch bis ins Letzte über die Auswirkungen unserer Hilfen nach - oder wollen wir mit einer finanziellen Spende nur unser Gewissen beruhigen? Sind die politisch Verantwortlichen überhaupt am Schicksal dieses Kontinents interessiert - oder sind nicht eher die wirtschaftlichen Erwägungen und Vorteile, die mit Entwicklungshilfe verbunden sind, ausschlaggebend für unsere Großzügigkeit?

Als Arzt habe ich vier Monate für eine regierungsunabhängige deutsche Organisation in den Nuba-Bergen des Sudan gearbeitet und dort vielfältige Erfahrungen mit UN- Organisationen, privaten humanitären Organisationen unterschiedlicher Nationen, Kirchen aller Konfessionen und den staatlichen Regierungsstellen gemacht. Das Erfahrene hat mich sehr nachdenklich werden lassen. In dieser Zeit habe ich reichliche Erfahrungen mit dem System der Entwicklungshilfe machen können. Diese Erlebnisse haben zu einer radikalen Veränderung meiner Ansichten geführt

Mittlerweile lehne ich eine uneingeschränkte Hilfe für Afrika ab und vertrete den Standpunkt, dass wir Nichtafrikaner uns weitestgehend zurückziehen und den Afrikanern die Selbstständigkeit zubilligen sollten, die ihnen zusteht. Ich finde, wir benehmen uns immer noch wie Eltern, die ihre Kinder nicht erwachsen werden lassen wollen, weil sie fürchten, damit ihren Einfluss zu verlieren. Genau wie jene Eltern beklagen wir uns aber über die Unselbstständigkeit der Kinder, obwohl diese durch unser eigenes Verhalten begünstigt wird. Gleichzeitig nehmen wir ihnen aber weiterhin die Möglichkeit eigene Initiative zu entwickeln, die man doch notwendig braucht, um Erfahrungen zu sammeln und wundern uns, dass kaum ein Kind freiwillig das „Hotel Mama“ verlässt.

Unsere einfache Klinik wird täglich von bis zu 200 Menschen besucht. Alle medizinischen Leistungen gibt es zum Nulltarif. Das klingt gut, erweist sich in der Praxis aber nicht immer als sinnvoll. Denn es hat zu einem „Medizintourismus“ geführt, bei dem Menschen in die Nuba-Berge kommen, um dort vor allem Medikamente einzufordern. Ob diese nützlich oder gar notwendig sind, ist den vielfach ungebildeten „Patienten“ egal. Sie betrachten die Forderung nach Medizin als ihr Recht und bestehen mit allen Mitteln darauf.

Das Militär benutzt uns als Militärkrankenhaus und verlangt eine Sonderbehandlung, ohne auch nur einen Cent dafür zahlen zu wollen, obwohl es inzwischen eine verlässliche Einnahmequelle durch Ölfunde im Südsudan gibt, von denen vor allem das Militär profitiert. Dieses ist auch an den neuen Waffen und dem klimatisierten Geländewagen der Kommandanten abzulesen, sowie am Sold der Soldaten.

Warum sollen deutsche Spendengelder für die medizinische Versorgung des Militärs und unnütz verordnete Medizin ausgegeben werden? Offenbar, weil sich die Empfänger keine Gedanken darüber machen, was wir für die sudanesische Bevölkerung erreichen wollen und warum wir überhaupt an diesem Ort sind. Niemand - weder Offizielle noch Militärs noch einfache Patienten - haben mir jemals eine Frage über unsere Organisation oder zu meiner Motivation gestellt. Es gibt uns, und man nimmt, was man bekommen kann.

Die lokale sudanesische Gesundheitsbehörde verhält sich nicht anders und unternimmt keinerlei Anstrengungen, um ein eigenes System aufzubauen. Die Deutschen werden gelobt und immer wieder aufgefordert ihre Bemühungen zu intensivieren. Man hat sogar versucht unsere Klinik als HIV/AIDS- Behandlungszentrum bei der WHO zu melden, da man vom großen Kuchen des Global Fund auch etwas abbekommen möchte. Der Global Fund stellt dem Sudan 28,5 Millionen Dollar jährlich für die Bekämpfung von HIV/AIDS zur Verfügung. Ich als Experte sollte die Sache in eine Form gießen, die Statistiken fälschen (!) und die Erfolge dann den Geldgebern mitteilen. Die Qualität der Arbeit war den Verantwortlichen völlig gleichgültig. Den räumlichen und personellen Aufwand sollte unsere Organisation selbstredend aus eigener Tasche zahlen. Die Politiker des Landes wollten die Lorbeeren und das Geld einheimsen, die Ausländer sollten die Arbeit verrichten. Mein Angebot, als Berater tätig zu werden, wurde abgelehnt. Daher gibt es bis heute keine Möglichkeit der AIDS-Beratung und -Therapie in den Nuba-Bergen.

Dann sind da noch UNO und WHO als die größten Organisationen in den Nuba-Bergen. Sie haben das meiste Geld und sind am besten ausgerüstet. Und sie verderben das Selbstwertgefühl der Sudanesen am nachhaltigsten, weil sie ihnen vorführen, wie man in der „zivilisierten Welt“ lebt. Zum einen gibt es die gut ausgebildeten, hoch bezahlten Mitarbeiter aus den westlichen Ländern, die Schlüsselpositionen besetzen und viele Ideen haben. Es sind oftmals Ideen, die das Planungsstadium nicht überleben.

Auf der anderen Seite gibt es die Mitarbeiter für das Grobe aus Drittwelt- oder Schwellenländern. Polizisten aus Ländern, die es selbst nicht immer so genau mit demokratischen Richtlinien nehmen, bilden sudanesische Polizisten aus. Genauso fragwürdig wie die Rolle der Ausbilder ist die der Auszubildenden. Denn nur Sudanesen, die über „Vitamin B“ verfügen, kommen in solch einen Ausbildungskursus. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob sie lesen oder schreiben können. Daher sehen die internationalen Ausbilder in ihrer Arbeit wenig Sinn und erwarten keine spürbaren Erfolge. Sie reden häufig abfällig über die Auszubildenden und lassen sie ihren Unmut spüren. Sie sind wegen des hohen Gehalts in den Sudan gekommen und machen ihren Job - mehr nicht.

Ähnlich ist es bei den 50 Blauhelmsoldaten in unserem Distrikt, die gelangweilt in einem Zeltcamp sitzen und auf ihre Ablösung in einem Jahr warten. Sie sollen Frieden sichern, haben aber keine klaren Vorstellungen, wie. Stromgeneratoren rattern rund um die Uhr, damit die Klimaaggregate und das Kabelfernsehen funktionieren. Ihr Hightech-Ambulanzauto steht auf einer Betonplattform. Es würde keine 200 m auf der Sandpiste überleben. Der ägyptische Kollege ist nicht in der Lage das englische Handbuch der Mini-Intensivstation zu lesen. Gerne wüsste ich, welche Tageskosten so eine Einheit verschlingt...

Die besser besoldeten Mitarbeiter der WHO schreiben viele Entwürfe zu unterschiedlichen Problemen und bieten Lösungsvorschläge an. Sie selbst müssen diese allerdings nicht umsetzen. So ist es kein Wunder, dass die Vorschläge manchmal nicht mehr wert sind als das Papier, auf dem sie stehen.
Wenn ich als Arzt praktische Hilfe anforderte, ging meine Bitte im Kompetenzwirrwarr der Organisation unter - und letztlich geschah nichts. So setzte ich schließlich nur noch wenig Hoffnung in Versprechungen dieser Leute.

Man verliert offensichtlich das Gespür für ein Land und seine Menschen, wenn man in klimatisierten Büros und Autos sitzt und im Hubschrauber das Land von oben betrachtet. Es handelt sich übrigens um einen Hubschrauber, der erst nach Rücksprache mit Washington einen Krankentransport durchführen durfte. In dieser Zeit erlag der Patient seinem Leiden.

Mit den privaten Organisationen geht es oft nicht viel besser. Eine amerikanische NGO z. B., die sich zur Aufgabe gesetzt hat Kinder zu retten, gibt ihren gesamten Etat für Gebäude-, Personal- und Unterhaltungskosten aus und bittet uns um Medikamentenspenden. Darüber hinaus werden Kinder und Schwangere, die zu sterben drohen, eilig zu uns verlegt, damit die eigenen Statistiken sauber bleiben. Wenn so eine Organisation nicht einmal Babynahrung für den Notfall bereitstellen kann - wie will sie da ihrem Namen gerecht werden?

Die Hilfe der katholischen Kirche wird größtenteils am Bau von Kirchen sichtbar. Da lässt man aus Kostengründen gerne mal einen begonnenen Krankenhausbau ruhen. Allerdings leisten sie mit dem Bau und Unterhalt von Schulen der Bildung im Sudan einen guten Dienst. Ob die Motivation dabei rein altruistisch ist, bleibt zu fragen. Immerhin lassen sich junge Menschen leicht prägen und manche ungläubige Seele kann bekehrt werden.

Zurück zur Frage „Wie ist Afrika zu helfen und wer soll helfen?“
Mit Geld ist dem Kontinent nicht zu helfen. Das ist auch die These des Kenianers James Shikwati , Leiter des Instituts „Inter Region Economic Network“ in Nairobi. Ergänzen möchte ich sie durch die Aussage eines italienischen Priesters, den ich in Kenia kennen lernte und der seit 30 Jahren in Afrika lebt: „Lasst die Afrikaner endlich allein. Behandelt sie wirtschaftlich fair. Entweder schaffen sie es, oder sie werden untergehen. Ich kenne jedoch die Afrikaner. Sie sind stark und werden sich durchsetzen. Sie müssen nur endlich erwachsen werden.“

Das ist auch mein Fazit, nach einer, wie ich zugebe, relativ kurzen Zeit von vier Monaten. Würde unser kleines Krankenhaus an die Sudanesen übergeben, müssten sich die Verantwortlichen selbst darum kümmern. Einige der einheimischen Mitarbeiter haben gute klinische Erfahrungen, die anderen müssten weiter ausgebildet werden. Darauf könnten die Sudanesen aufbauen. Wenn die politisch Verantwortlichen sich dann immer noch nicht bewegen würden, käme sicher Druck von unten, denn die Menschen haben durch uns eine gute medizinische Versorgung kennen gelernt. Sollte es gewünscht werden, könnten westliche Mediziner in beratender Form tätig werden. Aktive medizinische Hilfe aber sollte kein deutscher Arzt mehr leisten.

Afrikaner bauen mittlerweile gute medizinische Ausbildungsinstitute auf, deren Studiengebühren sich jedoch nur wenige Afrikaner leisten können. Die Ausbildungskosten der Studenten könnte das Ausland übernehmen. Diese Mediziner blieben nach dem Abschluss ihres Studiums in ihrem Land - anders als die afrikanischen Studenten mit einem vollfinanzierten Auslandsstudium, die häufig nicht mehr in ihre Heimat zurück kehren.

Die bisherige Praxis der Entwicklungshilfe erscheint mir vielfach als Selbsthilfe für uns Westler. Ein gut dotierter Job in einem fremden Land macht Eindruck. Da es auf Resultate nicht allzu sehr ankommt, entsteht nur selten Stress bei der Arbeit. Kann man sogar noch die Familie mitnehmen, umso besser.

So wird für die Versorgung der Helfer viel Geld aufgewendet. Ein weiterer großer Teil fließt in die Kanäle der Korruption und erst der Rest geht an die Bedürftigen. Viele Organisationen verfolgen primär ihre Eigeninteressen. Es geht um Jobs, um Rohstoffe, um politischen Einfluss und beim Einzelnen auch ein wenig um die Stärkung des Selbstwertgefühls. Mit unserem Geld und unserem Wissen sind wir die Mächtigen - wir wissen, wie die Welt zu regieren ist. Wenn dieses Abhängigkeitsverhältnis so bestehen bleibt, wird nie ein Austausch zwischen Gleichen stattfinden.

Deshalb spreche ich mich für einen Stopp der Entwicklungshilfe in der derzeitigen Form aus und für die Öffnung der westlichen Märkte für afrikanische Waren. Dazu gehört auch die faire Bezahlung der Rohstoffe aus Afrika und Investitionen in die wirtschaftlichen Infrastrukturen vor Ort, damit auch eine Veredelung der Rohstoffe im eigenen Land erfolgen kann.

Für den medizinischen Bereich wünschte ich mir mehr Unterstützung von Seiten der Pharmaindustrie. Es gibt schon seit vielen Jahren kaum neue Medikamente zur Bekämpfung der häufigsten Tropenerkrankungen. Während auf HIV/AIDS geblickt wird, vergisst man zum Beispiel, dass jährlich eine Millionen Menschen an Malaria sterben. Innovationen für medikamentöse Therapien kommen – wenn überhaupt - vielfach aus der Veterinärmedizin. Unsere an Profit orientierte Industrie sieht im armen Afrika noch keine geeigneten Absatzmärkte.

Klar ist für mich: Afrika muss geholfen werden. Das geht aber nur, wenn wir die Menschen als Partner ernst nehmen und ihnen auf gleicher Stufe begegnen. Dabei müssen wir es ertragen, dass die Entwicklung des Kontinents und seiner Menschen Zeit braucht und nicht immer nach unseren Wünschen verläuft. Wir müssen den kulturellen Unterschieden, den klimatischen Problemen und sogar Katastrophen Tribut zollen. Gezielte Hilfe ist weiterhin notwendig und sinnvoll. Sie sollte jedoch nur in Form von Ausbildung geleistet werden, nicht länger durch aktive Mitarbeit von außen. Demokratische Strukturen lassen sich nur mit gebildeten Menschen aufbauen und pflegen. Mit Menschen, die dann vielleicht einen eigenen afrikanischen Weg finden, der anders sein darf als der Weg, den wir gegangen sind.

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