Sonntag, 22. April 2007
Entwicklungsarbeit, Teil zwei
Gestern bekam ich eine sudanesische Zeitung mit dem klangvollen Namen Sudan Vision vom 17.April 2007 geschenkt. Darin fand ich den fotografierten Artikel, der mich sehr nachdenklich und später ärgerlich gemacht hat. Jetzt verstehe ich auch die Hektik, mit der offizielle Gesundheitsbeauftragte in unserer Region das Problem HIV/AIDS behandelt wissen wollen: es gibt 28,5 Millionen US Dollar vom Global Fund, von dem jeder etwas abbekommen will.
Vor etwa zwei Monaten wurde ich zu einem Meeting über das Thema HIV/AIDS vom Secretary of Health eingeladen. Es gab wenig Informatives, keine Daten oder nähere Auskünfte zu diesem Thema. Sie wollten aber unbedingt etwas initiieren, zumindest in die Aufklärung und Diagnostik einsteigen und baten mal wieder um Hilfe. Sie hatten keinerlei Konzept, und es sollte darauf hinauslaufen, dass die ausländischen Organisationen ihnen diese Arbeit abnehmen. Cap-Anamur ist die einzige medizinische Hilfsorganisation in der Region, mit anderen Worten: ich sollte es tun. Wenn ich damit begonnen hätte, wäre für jede weitere Tätigkeit keine Zeit mehr gewesen, außerdem finde ich andere Probleme weitaus wichtiger. So habe ich klar und deutlich gesagt, dass wir nicht helfen werden. Das hat von den Offiziellen niemand verstehen wollen.
Eine Woche später kam eine Delegation aus der Kreisstadt mit einer Wagenladung von Papier, Postern, Kondomen, HIV-Tests und vielen Formularen, damit unser Krankenhaus als HIV Anlaufstation beginnen sollte. Wir verstanden uns zunächst nicht, da ich nicht wusste, was sie von mir wollten, und sie verstanden nicht, dass ich so ablehnend war. Das Secretary of Health hatte ihnen geschrieben, dass es bei uns losgehen kann. So wurden sie echt böse mit mir, als ich sie mit all ihrem Kram wieder fortschickte und auch eine Unterschrift unter ein Formular in arabischer Sprache verweigerte.
Rückblickend wird mir jetzt Vieles klar. Sie wollten dem Global Fund nachweisen, dass sie aktiv sind, Zentren eingerichtet haben usw., damit sie dann dafür Geld bekommen. Dabei scheint es unerheblich zu sein, wie effektiv so ein Zentrum ist. Wenn man die Betreuung von HIV Kranken ernst nimmt, dann ist das ein enormer Aufwand, und es braucht eine Menge geschultes Personal. Das wollte man mal kurz am Wochenende ausbilden, wir sollten das Personal zahlen und die Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Durch viel Geld werden so immer wieder Begehrlichkeiten erzeugt, es wird irgendwie versucht, von dem Kuchen etwas abzube-
kommen. Statistiken werden gefälscht, alles wird immer positiv dargestellt. Die Geldgeber sind weit entfernt von jeglicher Kontrollmög-
lichkeit. So wird meiner Meinung nach sehr viel Geld von diesen 28,5 Millionen US Dollar in Ineffektivität und private Taschen fließen, so wie bei uns Medikamente aus der Apotheke verschwinden, weil nicht einmal ich in dieser kleinen Einheit genügend kontrollieren kann.
Das World Food Programm versorgt viele Menschen im Südsudan mit Grundnahrungs-
mitteln. Auch wir bekommen für unsere stationären Patienten diese Nahrung. Es wird genau vorgeschrieben, wie viel wir abgeben dürfen. Die Menge der verteilten Lebensmittel variiert je nach Patientenzahl. So haben wir im Moment genug Vorrat in unserem Lager. Gestern bekamen wir die Aufforderung, die nächste Lieferung abzuholen. Auf die Antwort, dass wir noch genug haben, antwortete man, das sei egal, wir sollten es jetzt holen, sonst gäbe es nichts mehr. Ihnen ist es egal, ob jetzt die Ratten sich den Bauch voll fressen, Hauptsache, die Statistik stimmt. Da sitzen die Jungs hinter ihrem Schreibtisch und unser Techniker muss die Säcke allein schleppen. Auch ein Beispiel dafür, wie wir Internationalen uns um alles kümmern. Wir sind diejenigen, die die praktische Arbeit machen und sich um ihre Leute bemühen, während sie in Ruhe zuschauen.
Es gibt im Sudan noch enorm viel zu tun. HIV/AIDS ist nur ein Problem, es gibt keine Infrastruktur, das Leben ist enorm schwer, nur: wir tun diesen Menschen keinen Gefallen damit, dass wir ihnen immer wieder Geld geben und auch bildlich gesprochen „die Säcke schleppen“. Solange fremde Menschen und vor allem weiße Menschen ihnen die Arbeit abnehmen, werden sie nie selbstständig. Jeder, der Kinder erzogen hat, weiß wovon ich rede. Wir internationalen Helfer behandeln die Afrikaner immer noch wie Kinder, denen wir eine Selbstständigkeit absprechen und sie benehmen sich auch entsprechend.
Das Hotel Mama verlassen in Deutschland viele der Kinder nicht mehr freiwillig, sie brauchen einen sanften Tritt. Dieser Tritt fehlt auch diesen Ländern und im Speziellen dem Südsudan. So erinnere ich mich immer wieder an meine erste Begegnung mit dem italienischen Pater und an das Verhalten von Renate mit ihren Kindern. Die Kinder in die eigene Verantwortung zu entlassen ist sicher nicht einfach, aber zwingend notwendig. Wichtig ist eine liebevolle Begleitung, da sein, wenn man gebraucht wird, es ertragen können, wenn mal etwas nicht so läuft, wie man es selbst machen würde, Fehler zulassen, die Kinder eigene Erfahrungen machen lassen und auf Gott vertrauen.
Wie ihr aus der Entwicklung meiner Berichte und meiner eigenen Person erkennen könnt, ändert sich meine Einstellung zu meiner Arbeit ein wenig. Es ist nur gut, dass auch ich mich in diesem Kontext kritischer sehe. Ich bringe eine Menge Diskussionsstoff mit nach Hause und würde mich freuen, wenn ich von Euch dazu auch Meinungen erfahren könnte.
So wie es aussieht, bin ich Mitte Mai wieder in Bremen. Ich habe das Büro in Köln um eine vorzeitige Ablösung gebeten.
Auf bald, Euer
Klaus
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