Montag, 5. Oktober 2009

White man, give us money...












...so werde ich immer wieder am Strand oder auf der Straße angesprochen. Der ghanaische Präsident formuliert das etwas unverbindlicher und diplomatischer, was aber auf die gleiche Einstellung hinaus läuft: „ Help Africa deal with financial problems“. Mit diesem Satz hat Präsident Mills seine Rede vor den Vereinten Nationen am 24.9.2009 begonnen.

Löst Geld wirklich die Probleme in Afrika? Man kann es bei einer einfachen Beantwortung belassen: nein. Das ist nicht nur meine persönliche Meinung, sondern auch die anerkannter afrikanischer Ökonomen. Ich verweise auf einen meiner Blogs aus dem Jahre 2007. Deutschland hat seit 1983 insgesamt 161 Millionen Euro nach Ghana transferiert. Wo ist das Geld geblieben, und was ist daraus entstanden? Darauf bekommt man keine Antwort.

Mir ist immer wichtig zu sehen, was die Menschen erreicht, die in Armut leben. Genau diese Menschen nämlich müssen wir mit unserer Hilfe erreichen. Sie haben kaum Fürsprecher und stehen immer an letzter Stelle. Das Gesundheitssystem in Ghana steckt trotz aller Fortschritte immer noch in den Kinderschuhen und hinkt unserer Entwicklung circa 30 Jahre hinterher. Es gibt weiterhin zu wenig Ärzte und für diese wiederum zu wenige attraktive Stellen, die eine gute Versorgung der Menschen dann gewährleistet. Krankenhäuser sind ausreichend vorhanden, die Ausstattung lässt jedoch immer zu wünschen übrig. Was mir aber viel wichtiger erscheint, ist die Versorgung der Bevölkerung mit medizinischem Personal und Ausrüstung im Bereich von Public Health. Vorbeugung und Aufklärung ist angesagt, Schulung und Beratung zu spezifischen Problemen muss in den Focus rücken. Damit wird Geld gespart, und die Menschen werden weniger krank. Bei uns muss man sich um die Wohlstandserkrankungen kümmern, das ist in Ghana eher ein Rand-
problem. Die Infektionserkrankungen sind es, um die es geht, und Familienplanung, HIV/AIDS, Teenagerschwangerschaften, das macht etwa 80% unserer täglichen Arbeit aus, und an diesen Erkrankungen versterben die Kinder und jungen Frauen. Für die Aufklärungs-
arbeit braucht man kaum Ärzte, aber junge engagierte Menschen könnten viel bewegen.

In unserer PHC arbeiten derzeit etwa zehn Schwestern mit unterschiedlicher Qualifikation. Sie sind aber fast ausschließlich im Bereich HIV/AIDS tätig, allerdings nicht mehr in der Aufklärungsarbeit, nein, sie sind nur noch mit den erkrankten Menschen beschäftigt und mit deren Versorgung. Anders wäre so ein Ansturm von Infizierten kaum zu bewältigen. Die monatlichen Reports, die an das Gesundheits-
ministerium geschickt werden, fragen unter anderem nur nach den verordneten Pillen und den Neuerkrankungen, niemanden interessieren die Aktivitäten bezüglich Aufklärungskam-
pagnen in den Dörfern.
Dabei hatte alles mal ganz gut angefangen. Frau Dr. Köthe ist selbst in den Dörfern unterwegs gewesen und das Team war äußerst kreativ, um den einfachen Menschen eine komplexe, tödliche Erkrankung zu erklären. Mir wurde von lebhaften Diskussionen berichtet und dem großen Interesse der Zielgruppe. Jeder wollte helfen und sich schützen. All das ist verloren gegangen, und man betrachtet nur noch müde den AIDS Patienten. Gerade jetzt wäre mit Blick auf die vielen Erkrankten eine groß angelegte Kampagne vonnöten. Es ist so viel Geld im Topf der WHO und des Global Fund, aber man gibt es lieber für Therapien aus, von denen einige Wenige und die Organisationen profitieren. Die Infizierten sterben nach wie vor und wesentlich früher als in der westlichen Welt. Das ist nicht eine Folge von mangelndem Geld, wie uns die afrikanischen Staaten und einige NGOs weiß machen wollen, das ist die Folge fehlende Aufklärung.

Ghana hat kaum eine Rohstoff verarbeitende Industrie. Die Rohstoffe werden exportiert, die verarbeiteten Produkte dann wieder für viel Geld importiert. Der Kakao kommt aus Ghana, die Schokolade, die man im Land produziert, ist aber kaum genießbar. Es muss doch möglich sein, Menschen in Ghana so auszubilden und einen Stand der Produktionstechnik zu erreichen, dass die ghanaischen Produkte wettbewerbsfähig werden. Ich weiß nicht, ob wir uns mit unserem Wissen und einem fehlenden Wissenstransfer eventuelle Konkurrenten vom Hals halten oder ob die Afrikaner keine Notwendigkeit in einer qualifizierten Ausbildung sehen. Zumindest beobachte ich, dass die Ghanaer eine schnelle Auffassungsgabe besitzen und - wenn sie wollen- auch können. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass fast alle in Ghana produzierten Waren in Europa nicht konkurrenzfähig wären. Die Ghanaer selbst begnügen sich mit dem billig produzierten Müll aus China.

Die Straßen in Ghana sind eine Katastrophe. Sie werden einmal ( und das auch noch schlecht) gebaut und dann selten gewartet. So kommen fast jeden Tag schwer unfallverletzte Menschen in unser Krankenhaus. Die riesigen LKWs, immer überladen, ruinieren in Kürze den Asphalt und es entstehen durch Sonne und Regen große Schlaglöcher, denen jeder Autofahrer auszuweichen versucht. In uneinsehbaren Kurven führt dies häufig dazu, dass es knallt. So ist die Todesursache Nummer zwei in Afrika der Verkehrsunfall. Die ghanaischen Tiefbauingenieure müssten besser ausgebildet werden. Unsere Entwicklungshilfe lässt aber lieber Hochtief oder wen auch immer aus Deutschland die Arbeit machen.

Ghana hat sich von China die Stadien für die afrikanische Fußballmeisterschaft im Jahre 2008 bauen lassen und sich damit verschuldet. China hat seine Strafgefangenen auf den Baustellen eingesetzt, konnte damit billig produzieren und blieb konkurrenzlos günstig im Angebot. Um ein bisschen Nationalstolz zu befriedigen wurden Schulden gemacht, dafür wurde Geld ausgegeben.

"Help Africa deal with financial problems."

Kreieren die Afrikaner nicht auch selbst ihre Probleme? Sicher, vieles ist auf diesem Kontinent nicht einfach. Das Klima, die fehlende Bildung, der schnelle Eintritt in die Globalisierung unserer Welt, die politische Instabilität und die damit verbundenen Kriege, die Naturkatastrophen etc., all das wirft den Fortschritt manchmal zurück und erklärt häufig auch die Not. Aber der Ruf nach Hilfe ist immer die erste Handlung, die Besinnung auf Eigenverantwortung fehlt. Verantwortung wollen die Politiker erst wieder übernehmen, wenn das Geld aus dem Westen eingetroffen ist. Dieser Mechanismus muss ein Ende haben.

Versteht mich nicht falsch, ich bin immer dafür Bedürftigen zu helfen. Solche Hilfe sollte aber eher auf dem Boden einer Kleinkreditvergabe erfolgen, so wie es uns der Friedensnobel-
preisträger Muhammad Yunus vorgemacht hat. Vielleicht z.B. einen Motor für das Boot einer Dorfgemeinschaft anschaffen. Dann könnten die Bewohner weiter auf’s Meer hinaus fahren und mehr Fisch fangen. Mit dem Mehrfang könnte das Geld zurückgezahlt werden, ein zweiter Motor gekauft werden, Geld für einen weiteren Lehrer, Geld für Ausbildungen zur PHC Schwester...
Unsere Schwestern gehen schon seit langem so einen Weg. Sie schicken junge Menschen in Ausbildungen jeglicher Art, nicht nur für das Krankenhaus. Ein junger Mann leitet so inzwischen eine Bank in Takoradi und vergibt auch kleine Kredite an Menschen mit Ideen. Die Menschen können dann stolz auf sich sein, werden unabhängig und fragen den weißen Mann nicht mehr nach seinem Geld.

Meine Zeit in Eikwe ist in einer Woche beendet. Ich habe wieder etwas helfen können, fahre aber mit gemischten Gefühlen heim. Wie ich schon geschrieben habe, bedrückt mich eine immer wieder auftretende Hilflosigkeit, wenn ich Menschen sterben sehe, die in unserem System niemals sterben würden. So habe ich heute einen 26 Jahre alten Mann mit einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz zum Sterben heimgeschickt, ein zweiter junger Mann wird das gleiche Schicksal erleiden. Ich versuche noch eine Therapie mit Kortison, die vielleicht sein Sterben hinauszögern mag. Auf der Kinder-
station liegt ein Kind, aufgeblasen wie ein Ballon, das kaum noch Urin ausscheidet und vielleicht in seinem Wasser erstickt. Das kann ich nur noch sedieren. Gestern ist ein 38 Jahre alter Farmer verstorben. Er hatte eine hohe Querschnittslähmung. Ein gefällter Baum war ihm ins Kreuz gefallen. Er ist sehr merkwürdig verstorben. Die Symptome lassen sich mit der Verletzung nicht erklären. Die Schwestern meinen, dass er sich Gift besorgen ließ. Eine befreundete Kinderärztin, die im Frühjahr hier war, fand diese Form des Sterbens kaum akzeptabel. Aber das ist der Stand der Medizin in Ghana, das sind die 30 Jahre, von denen ich zu Anfang sprach. Das Krankenhausteam schlägt sich jeden Tag tapfer und bewundernswert, sie schaffen viel, und müssen Prioritäten setzen, und dazu gehört auch das Sterben zu akzeptieren.
Ich habe das Gefühl, dass die Menschen in Ghana das besser schaffen als wir in unserer behüteten Welt. Sie nehmen das Leben so, wie es sich ihnen bietet, leben im Jetzt und hadern nicht permanent mit dem Schicksal. Sie wollen nicht mit Gewalt ihren Willen durchsetzen, und zerbrechen selten an Schicksalsschlägen. Ich kann da nur von ihnen lernen.
So geht eine anstrengende Zeit vorüber, ich verlasse Freunde und Mitarbeiter und freue mich dafür auf Renate, Bremen und Euch. Die vertrauten Gespräche habe ich des öfteren vermisst.

Auf bald,
Euer Klaus